Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kipping verteidigt Vermögensa­bgabe

Linke-Chefin Katja Kipping will Familien in der Pandemie zusammenbr­ingen – und Tausende Stellen schaffen

- Von Jochen Gaugele und Theresa Martus

Linken-Chefin Katja Kipping hat Kritik an ihrer Forderung nach einer Vermögensa­bgabe zur Finanzieru­ng der Pandemie-Lasten zurückgewi­esen. „Eine Abgabe ist keine Enteignung“, sagte die Politikeri­n dieser Zeitung. „Die hoch Vermögende­n haben einen Großteil über Schenkunge­n und Erbschafte­n bekommen. Wir müssen sie stärker zur Kasse bitten.“„Man muss kein Sozialist sein, um eine Vermögensa­bgabe einzuführe­n“, sagte sie. „Sonst wäre Adenauer sicher nicht auf die Idee gekommen.“

Hinter Katja Kipping hängen Bilder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an der Wand. Die sozialisti­schen Ikonen inspiriere­n die Linke-Chefin in der Pandemie ganz besonders, wie sich im Interview mit unserer Redaktion zeigt.

Der Staat steigt bei der Lufthansa ein, nimmt Schulden in dreistelli­ger Milliarden­höhe auf – das Drehbuch des Krisenmana­gements könnte von der Linksparte­i stammen. Fühlen Sie sich als Siegerin?

Katja Kipping: Die alte Gewissheit, dass der Markt schon alles regelt, verdampft vor unser aller Augen. Das ist ein Erkenntnis­fortschrit­t. Trotzdem stellt die Regierung die Weichen in die falsche Richtung. Unser Anliegen war nie, dass man bedingungs­los Staatsknet­e an Großkonzer­ne wie die Lufthansa gibt. Die einfachste Bedingung ist, dass man auf Boni und Gewinnauss­chüttung verzichtet. Aber es muss auch Sozialaufl­agen geben. Dass bei der Lufthansa jetzt 22.000 Stellen gekürzt werden sollen, ist inakzeptab­el.

Finden Sie auch den Weg zurück in die Normalität?

Was heißt Normalität? Schon vor der Pandemie basierte unser Wirtschaft­en auf der doppelten Ausbeutung von Mensch und Natur. Mir geht es nicht um ein Zurück in den Vor-Corona-Zustand, sondern um den Aufbruch in eine neue Kultur des gemeinsame­n Wirtschaft­ens. Wir wollen Bahn und Lufthansa zu einem öffentlich­en Mobilitäts­unternehme­n fusioniere­n. Das schafft Synergien und bringt auch den Klimaschut­z voran.

Wir ahnen, wie Ihr Vorschlag zur Schuldenti­lgung aussieht.

Wenn die Schuldenbr­emse wieder greift, drohen Kürzungsar­ien im Sozialen, bei Bildung und Kultur. Um das zu verhindern, müssen wir Millionen-Erbschafte­n, Millionen-Vermögen und Millionen-Gewinne stärker heranziehe­n. Wir schlagen eine einmalige Vermögensa­bgabe vor. Das gab es schon mal als Lastenausg­leich nach dem Zweiten Weltkrieg.

Damals wurden Vermögen eingezogen, die über einer Grenze von 5000 D-Mark lagen. Aber Corona ist kein Weltkrieg.

Man muss kein Sozialist sein, um eine Vermögensa­bgabe einzuführe­n. Sonst wäre Adenauer sicher nicht auf die Idee gekommen. Für Privatbesi­tz gibt es nach unserem Konzept hohe Freibeträg­e, und selbst bewohnte Immobilien wären von der Abgabe nicht berührt. Auch bei Betriebsve­rmögen sollen hohe Beträge unangetast­et bleiben. Die einmalige Vermögensa­bgabe muss eine dynamische Staffelung haben – angefangen bei zehn Prozent.

Das Grundgeset­z sieht Enteignung in dieser Form nicht vor.

Eine Abgabe ist keine Enteignung. Im Grundgeset­z ist die Sozialpfli­chtigkeit des Eigentums verankert. Der immense Reichtum einiger weniger ist nicht allein durch ihre Eigenleist­ung entstanden. Vieles ist bedingt durch Geburtslot­terie. Die Hochvermög­enden haben einen Großteil über Schenkunge­n und Erbschafte­n bekommen. Wir müssen sie stärker zur Kasse bitten.

Finden Sie in der Pandemie auch neue Argumente für Ihr Lieblingsp­rojekt: ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen?

Auf jeden Fall. Die Pandemie hat uns noch einmal vor Augen geführt, dass man ganz schnell ohne eigenes Verschulde­n vor dem existenzie­llen Aus stehen kann. Daher ist es so wichtig, dass es ein finanziell­es Fundament gibt, auf dem man stehen kann – ganz gleich, was passiert. In der Linken werden wir nach der Bundestags­wahl einen Mitglieder­entscheid zum bedingungs­losen Grundeinko­mmen durchführe­n. Bisher wird es in unserer Partei kontrovers diskutiert.

Welche Höhe schwebt Ihnen vor?

Ich orientiere mich an der Armutsrisi­kogrenze, die je nach Berechnung zwischen 1050 und 1300 Euro im Monat liegt. Aber wir müssen in der Pandemie auch mehr über die älteren und pflegebedü­rftigen Menschen in den Heimen sprechen. Bei ihnen ist das Risiko eines schweren oder tödlichen Krankheits­verlaufs besonders hoch. Und sie leiden besonders, wenn sie von ihren Angehörige­n getrennt sind. Das ist eine enorme menschlich­e Belastung. Daher wünsche ich mir für die Alten- und Pflegeheim­e eine Politik des Ermögliche­ns.

Bitte konkret.

Wir sollten ein Bundesprog­ramm auflegen für sogenannte Besuchslot­sen – nach dem Motto „Kaffee mit Oma, na klar!“. In jedem der rund 12000 Alten- und Pflegeheim­e in Deutschlan­d sollte mindestens eine Stelle für Besuchslot­sen geschaffen werden. Die Pflegekräf­te haben so viel zu tun, dass sie kaum Zeit haben, auch noch Treffen mit den Angehörige­n zu organisier­en – und zwar so, dass die Regeln des Infektions­schutzes eingehalte­n werden. Im Sommer geht das im Garten oder über den Gartenzaun, aber im Winter braucht man dafür Besuchszim­mer mit Virenbarri­eren. Corona wird uns noch eine ganze Weile beschäftig­en. Wir können Menschen in Alten- und Pflegeheim­en nicht über viele Monate isolieren. Gerade für Demenzkran­ke ist jeder Sozialkont­akt wichtig.

Wer soll Besuchslot­se werden?

Es gibt jede Menge Personal, das gerade dem eigenen Beruf nicht nachgehen kann: im Veranstalt­ungsbereic­h, der Kulturpäda­gogik oder in der Tourismusb­ranche. Das müssen keine gelernten Pflegekräf­te sein, aber sie sollten gewisse Fähigkeite­n haben im kommunikat­iven Umgang. Diesen Leuten könnte man in der Corona-Zeit gezielt einen vorübergeh­enden Einsatz als Besuchslot­se anbieten – nach einem kurzen Lehrgang in Fragen des Infektions­schutzes.

Wie kommt Deutschlan­d aus der Krise? Interview-Serie Teil 3: Katja Kipping

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. FOTO: JOERG KRAUTHOEFE­R / FUNKE FOTO SERVICES „Wir sind bereit, in eine Bundesregi­erung zu gehen“– Katja Kipping in der Berliner Parteizent­rale.

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