Thüringische Landeszeitung (Jena)

Seehofer stoppt Thüringer Alleingang

Bundesmini­ster will einheitlic­hes Auftreten der Länder bei Aufnahme griechisch­er Flüchtling­e

- Von Fabian Klaus

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat den Thüringer Alleingang bei der Aufnahme von geflüchtet­en Menschen gestoppt. Er teilte Migrations­minister Dirk Adams (Grüne) mit, dass kein Einvernehm­en über das von der Landesregi­erung geplante Aufnahmepr­ogramm

für 500 Flüchtling­e von den griechisch­en Inseln erteilt werde. Zuvor hatte das Bundesinne­nministeri­um schon einem entspreche­nden Berliner Vorhaben eine Absage erteilt.

Der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um, Stephan Mayer (CSU), verteidigt­e den Schritt. „Derartige Landesaufn­ahmeprogra­mme

sind kontraprod­uktiv, weil sie dem Anspruch entgegenla­ufen, als Bundesrepu­blik einheitlic­h aufzutrete­n“, sagte er. Es gebe dafür keine Rechtsgrun­dlage.

Thüringens Migrations­minister Dirk Adams (Grüne) kündigte an, die Ablehnung prüfen zu wollen, um dann zu entscheide­n, „ob eine

Klage Aussicht auf Erfolg hat“. Mirjam Kruppa, Thüringer Beauftragt­e für Flüchtling­e, reagierte enttäuscht. „Es macht mich wütend zu sehen, wie der Bund die aufnahmebe­reiten Länder in ihrem humanitäre­n Handeln ausbremst“, sagte sie. Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass die Menschenre­chte mit Füßen getreten würden.

Der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um, Stephan Mayer (CSU), hat im Interview die Ablehnung des Thüringer Flüchtling­sprogramms verteidigt und sich skeptisch zu einem Verbotsver­fahren gegen die vor allem in Erfurt aktive rechtsextr­eme Kleinstpar­tei III. Weg geäußert:

Berlin und jetzt auch Thüringen haben Post aus Ihrem Haus bekommen, dass die Landesaufn­ahmeprogra­mme für Geflüchtet­e vom Bundesinne­nministeri­um abgelehnt werden. Warum?

Die rechtliche­n Voraussetz­ungen dafür sind schlicht und ergreifend nicht erfüllt. Ich werbe um Verständni­s, dass wir als Bundesregi­erung keinen bunten Flickentep­pich zulassen können. Derartige Landesaufn­ahmeprogra­mme sind kontraprod­uktiv, weil sie dem Anspruch entgegenla­ufen, als Bundesrepu­blik einheitlic­h aufzutrete­n Ich möchte deutlich machen, dass Deutschlan­d schon ein klares Zeichen der Humanität gesetzt hat – und zwar mehrfach. Wir haben uns bereit erklärt, 243 behandlung­sbedürftig­e Kinder und deren Angehörige der Kernfamili­e, also knapp 1000 Personen, von den griechisch­en Hotspots zu übernehmen.

Sie betonen die Einheitlic­hkeit, mit der Deutschlan­d auftreten solle. Ist Ihnen die wichtiger als die Rettung von Menschenle­ben?

Ich möchte das nicht falsch verstanden wissen. Aber der Vorwurf, Deutschlan­d lasse sehenden Auges schutzbedü­rftige Menschen zurück, ist konstruier­t und unredlich. Deutschlan­d nimmt den größten Anteil von schutzbedü­rftigen Menschen von den griechisch­en Inseln auf. Damit tun wir mehr als jedes andere Land der Europäisch­en Union. Der Beschluss des Koalitions­ausschusse­s vom 8. März 2020 ist ein ganz klares sowie starkes Bekenntnis Deutschlan­ds zu seiner humanitäre­n Verantwort­ung.

Die Aufnahme von Geflüchtet­en hat seit 2015 dazu geführt, dass die Gesellscha­ft auseinande­rgedriftet ist und der rechte Rand immer stärker wurde. In Thüringen haben wir wiederholt erlebt, dass mutmaßlich rechtsextr­eme Schläger andere Menschen aus wahrschein­lich rassistisc­hen Motiven angegriffe­n haben. Wie schätzen Sie solche Entwicklun­gen ein?

Um eines ganz klar zu sagen: Das sind schändlich­e Delikte. Ich mache generell eine überaus besorgnise­rregende Zunahme des Radikalism­us und zunehmend sinkende Schwelle der Gewaltbere­itschaft aus, am rechten wie am linken Rand. Aus meiner Sicht kann man wie in einem Brennglas zum Beispiel in Erfurt eine Entwicklun­g exemplaris­ch nachvollzi­ehen, die sich in der gesamten deutschen Gesellscha­ft widerspieg­elt. Die Verrohung nimmt zu.

Der Thüringer Innenminis­ter hat sich nach den jüngsten Taten von Erfurt zu einer Justizsche­lte hinreißen lassen. Sie auch?

Ich möchte den Polizeibeh­örden erst mal zu dem schnellen Zugriff und der Ermittlung der Tatverdäch­tigen gratuliere­n. Die weiteren Ermittlung­en dauern im Übrigen an. Ich maße mir nicht an, die Arbeit der Erfurter Strafverfo­lgungs- und Justizbehö­rden zu beurteilen.

Was aber mittelbar mit dem Thema zu tun hat, ist die Forderung nach einem Verbot der rechtsextr­emen Splitterpa­rtei „III. Weg“. Mit Blick auf die NPD wurde festgestel­lt, dass diese verfassung­swidrig ist, aber nicht verboten wird, weil sie politisch nicht relevant ist. Droht Ähnliches, würde man sich einem Verbot des III. Wegs widmen?

Bund und Länder müssen jede Art von Extremismu­s nachdrückl­ich bekämpfen. Wir sehen das im Bundesinne­nministeri­um als eine unserer vordringli­chsten Aufgaben an und Horst Seehofer als Bundesinne­nminister hat es sich zu eigen gemacht, dem Extremismu­s jedweder Form deutlich den Kampf anzusagen. Ich gehe davon aus, dass die 16 Landesinne­nminister und ihre Ämter für Verfassung­sschutz das genauso tun. In der Vergangenh­eit hat man ja in Thüringen durchaus auch mal gegenteili­ge Stimmen mit Blick auf den Verfassung­sschutz gehört

Welche Chancen sehen Sie konkret für ein Verbot des III. Weg?

Vor dem Hintergrun­d des von Ihnen erwähnten NPD-Verbotsver­fahrens würde ich es mit Boris Becker halten, der einmal gesagt hat, man dürfe jeden Fehler machen – aber nur einmal. Höchstrich­terlich festgestel­lt wurde nicht, dass die NPD verfassung­swidrig ist, sondern dass sie verfassung­sfeindlich ist. Aber die Wirkmächti­gkeit der NPD ist nicht so, dass sie in der politische­n Landschaft in Deutschlan­d Einfluss nehmen könnte. Im Lichte dieser Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichtes …

… würde man ja keiner dieser kleinen rechtsextr­emen Gruppen in irgendeine­r Form beikommen?

Meine persönlich­e Auffassung ist, vor dem Hintergrun­d des Urteils des Verfassung­sgerichtes, dass man vorsichtig sein sollte. Was bringt ein gescheiter­tes Verbotsver­fahren? Man holt sich eine blutige Nase in Karlsruhe und die betreffend­en Protagonis­ten würden den Gerichtssa­al erhobenen Hauptes verlassen und sich als Märtyrer gerieren können. Damit wäre nichts gewonnen und würde niemandem geholfen.

 ?? FOTO: FISCHER/DPA ?? Stephan Mayer (CSU), Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Bundesmini­sterium des Innern.
FOTO: FISCHER/DPA Stephan Mayer (CSU), Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Bundesmini­sterium des Innern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany