Thüringische Landeszeitung (Jena)
Seehofer stoppt Thüringer Alleingang
Bundesminister will einheitliches Auftreten der Länder bei Aufnahme griechischer Flüchtlinge
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat den Thüringer Alleingang bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen gestoppt. Er teilte Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) mit, dass kein Einvernehmen über das von der Landesregierung geplante Aufnahmeprogramm
für 500 Flüchtlinge von den griechischen Inseln erteilt werde. Zuvor hatte das Bundesinnenministerium schon einem entsprechenden Berliner Vorhaben eine Absage erteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), verteidigte den Schritt. „Derartige Landesaufnahmeprogramme
sind kontraproduktiv, weil sie dem Anspruch entgegenlaufen, als Bundesrepublik einheitlich aufzutreten“, sagte er. Es gebe dafür keine Rechtsgrundlage.
Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) kündigte an, die Ablehnung prüfen zu wollen, um dann zu entscheiden, „ob eine
Klage Aussicht auf Erfolg hat“. Mirjam Kruppa, Thüringer Beauftragte für Flüchtlinge, reagierte enttäuscht. „Es macht mich wütend zu sehen, wie der Bund die aufnahmebereiten Länder in ihrem humanitären Handeln ausbremst“, sagte sie. Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass die Menschenrechte mit Füßen getreten würden.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), hat im Interview die Ablehnung des Thüringer Flüchtlingsprogramms verteidigt und sich skeptisch zu einem Verbotsverfahren gegen die vor allem in Erfurt aktive rechtsextreme Kleinstpartei III. Weg geäußert:
Berlin und jetzt auch Thüringen haben Post aus Ihrem Haus bekommen, dass die Landesaufnahmeprogramme für Geflüchtete vom Bundesinnenministerium abgelehnt werden. Warum?
Die rechtlichen Voraussetzungen dafür sind schlicht und ergreifend nicht erfüllt. Ich werbe um Verständnis, dass wir als Bundesregierung keinen bunten Flickenteppich zulassen können. Derartige Landesaufnahmeprogramme sind kontraproduktiv, weil sie dem Anspruch entgegenlaufen, als Bundesrepublik einheitlich aufzutreten Ich möchte deutlich machen, dass Deutschland schon ein klares Zeichen der Humanität gesetzt hat – und zwar mehrfach. Wir haben uns bereit erklärt, 243 behandlungsbedürftige Kinder und deren Angehörige der Kernfamilie, also knapp 1000 Personen, von den griechischen Hotspots zu übernehmen.
Sie betonen die Einheitlichkeit, mit der Deutschland auftreten solle. Ist Ihnen die wichtiger als die Rettung von Menschenleben?
Ich möchte das nicht falsch verstanden wissen. Aber der Vorwurf, Deutschland lasse sehenden Auges schutzbedürftige Menschen zurück, ist konstruiert und unredlich. Deutschland nimmt den größten Anteil von schutzbedürftigen Menschen von den griechischen Inseln auf. Damit tun wir mehr als jedes andere Land der Europäischen Union. Der Beschluss des Koalitionsausschusses vom 8. März 2020 ist ein ganz klares sowie starkes Bekenntnis Deutschlands zu seiner humanitären Verantwortung.
Die Aufnahme von Geflüchteten hat seit 2015 dazu geführt, dass die Gesellschaft auseinandergedriftet ist und der rechte Rand immer stärker wurde. In Thüringen haben wir wiederholt erlebt, dass mutmaßlich rechtsextreme Schläger andere Menschen aus wahrscheinlich rassistischen Motiven angegriffen haben. Wie schätzen Sie solche Entwicklungen ein?
Um eines ganz klar zu sagen: Das sind schändliche Delikte. Ich mache generell eine überaus besorgniserregende Zunahme des Radikalismus und zunehmend sinkende Schwelle der Gewaltbereitschaft aus, am rechten wie am linken Rand. Aus meiner Sicht kann man wie in einem Brennglas zum Beispiel in Erfurt eine Entwicklung exemplarisch nachvollziehen, die sich in der gesamten deutschen Gesellschaft widerspiegelt. Die Verrohung nimmt zu.
Der Thüringer Innenminister hat sich nach den jüngsten Taten von Erfurt zu einer Justizschelte hinreißen lassen. Sie auch?
Ich möchte den Polizeibehörden erst mal zu dem schnellen Zugriff und der Ermittlung der Tatverdächtigen gratulieren. Die weiteren Ermittlungen dauern im Übrigen an. Ich maße mir nicht an, die Arbeit der Erfurter Strafverfolgungs- und Justizbehörden zu beurteilen.
Was aber mittelbar mit dem Thema zu tun hat, ist die Forderung nach einem Verbot der rechtsextremen Splitterpartei „III. Weg“. Mit Blick auf die NPD wurde festgestellt, dass diese verfassungswidrig ist, aber nicht verboten wird, weil sie politisch nicht relevant ist. Droht Ähnliches, würde man sich einem Verbot des III. Wegs widmen?
Bund und Länder müssen jede Art von Extremismus nachdrücklich bekämpfen. Wir sehen das im Bundesinnenministerium als eine unserer vordringlichsten Aufgaben an und Horst Seehofer als Bundesinnenminister hat es sich zu eigen gemacht, dem Extremismus jedweder Form deutlich den Kampf anzusagen. Ich gehe davon aus, dass die 16 Landesinnenminister und ihre Ämter für Verfassungsschutz das genauso tun. In der Vergangenheit hat man ja in Thüringen durchaus auch mal gegenteilige Stimmen mit Blick auf den Verfassungsschutz gehört
Welche Chancen sehen Sie konkret für ein Verbot des III. Weg?
Vor dem Hintergrund des von Ihnen erwähnten NPD-Verbotsverfahrens würde ich es mit Boris Becker halten, der einmal gesagt hat, man dürfe jeden Fehler machen – aber nur einmal. Höchstrichterlich festgestellt wurde nicht, dass die NPD verfassungswidrig ist, sondern dass sie verfassungsfeindlich ist. Aber die Wirkmächtigkeit der NPD ist nicht so, dass sie in der politischen Landschaft in Deutschland Einfluss nehmen könnte. Im Lichte dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes …
… würde man ja keiner dieser kleinen rechtsextremen Gruppen in irgendeiner Form beikommen?
Meine persönliche Auffassung ist, vor dem Hintergrund des Urteils des Verfassungsgerichtes, dass man vorsichtig sein sollte. Was bringt ein gescheitertes Verbotsverfahren? Man holt sich eine blutige Nase in Karlsruhe und die betreffenden Protagonisten würden den Gerichtssaal erhobenen Hauptes verlassen und sich als Märtyrer gerieren können. Damit wäre nichts gewonnen und würde niemandem geholfen.