Thüringische Landeszeitung (Jena)
Süß wie ein Studentenkuss
Urlaubstage sind kostbar. Da ist es besser, man weiß, worauf man sich einlässt – und worauf lieber nicht. Heute: Heidelberg
Sagen wir, wie’s ist: „Der Vaterlandsstädte Ländlichschönste“, wie Hölderin um 1798 die Stadt am Neckar nannte, ist wie kandiert, in ihrer Lieblichkeit auf ewig konserviert, süß wie ein „Studentenkuß“der örtlichen Konditorei Knösel.
Und es gibt in Heidelberg kaum mehr zu entdecken als all das, was seit Jahrzehnten in den Reiseführern steht: die Hauptstraße mit ihrem Geschäften, die Untere Straße mit ihren Bars und (jenseits von Corona-Zeiten) Jungesellinnenabschieden, die Heiliggeistkirche mit ihren integrierten Souvenirständen, die Alte Brücke über den Neckar, der Philosophenweg über den Studentenverbindungsvillen, die Bergbahnen (ja, Plural, weil man auf der gerade mal 1500 Meter langen Strecke einmal umsteigen muss) und das Schloss natürlich, Ruine wie eh und je und immer einen Aufstieg wert. Doch selbst die Max Bar am Marktplatz, anno 1991 nach dem Vorbild parisischer Künstler-Bistrots eröffnet und von der örtlichen Boheme gefeiert, war womöglich nie etwas anderes als ihr eigenes eingewecktes Klischee.
Wer dennoch (nicht) an Heidelberg vorbeikommt, lässt die Altstadt deshalb vielleicht einfach mal links liegen und fährt hinauf zum Bierhelderhof – tagsüber auf ein Kaltgetränk im unspektakulären Biergarten oder nachts, um auf einer der umliegenden Wiesen dem Meteoritenschauer der Laurentiustränen entgegenzufiebern, die hier dieser Tage wieder wie jedes Jahr das hübsch-untote Städtchen zu beweinen scheinen.