Thüringische Landeszeitung (Jena)
Unterwegs ins Ungewisse
Kreuzfahrten sind zurück – ohne Landgänge und mit strengem Sicherheitskonzept. Doch wird die Seereise wie früher?
Auf einem schwimmenden Hotel die Welt entdecken, über Nacht zum nächsten Hafen schippern, der oft bereits in einem anderen Land liegt, ohne unterwegs die Koffer packen zu müssen: Das ist der große Reiz einer Hochseekreuzfahrt. Unter den Bedingungen einer globalen Pandemie verkehren sich die Vorteile dieser Reiseform allerdings ins Gegenteil: Sie werden zu einem Risiko, das kaum ein Hafen und Land mehr eingehen möchte. Mit dem Schiff reist möglicherweise auch das Virus mit.
Nun geht es zwar wieder los, doch unter strengen Auflagen. Was macht das mit dem Urlaubserlebnis Kreuzfahrt? Und kann es wieder eine Rückkehr zur alten Normalität in den Zeiten vor Corona geben? Tui Cruises bietet zunächst Fahrten auf „Mein Schiff 1“und „Mein Schiff 2“von Hamburg und Kiel aus in Richtung Norwegen. Flusskreuzfahrt-Anbieter haben ihren Betrieb ebenfalls aufgenommen.
Auch das soziale Leben auf dem Schiff ist eingeschränkt
Die Besonderheit: Tui Cruises bietet vorerst nur Kreuzfahrten völlig ohne Landgänge an. Tui Cruises spricht von „Blauen Reisen“und „Borderlebnis pur“. Doch was ist davon zu halten? „Was die Branche derzeit versucht, ist ein geschlossenes System noch weiter zu schließen. Es gibt jetzt kaum eine Schnittstelle mehr zur Außenwelt. Also kein Hafenerlebnis, keine Attraktionen, keine Ausflüge“, erklärt der Kreuzfahrt-Experte Prof. Alexis Papathanassis von der Hochschule Bremerhaven. Darüber hinaus seien auch das soziale Leben und die Unterhaltung an Bord eingeschränkt. „Da fragt man sich schon, ob so eine Form von Urlaub noch attraktiv ist.“
„Blaue Reisen“hätten mit der Art von Kreuzfahrt, die europäische Urlauber mögen, eher weniger zu tun. Anders in Nordamerika: „In den USA gilt das Schiff als Destination. Die Reedereien haben private Inseln in der Karibik, sie erweitern dadurch das Megaschiff noch, damit die Gäste auch ein Stranderlebnis haben“, sagt Papathanassis.
„Sea-Only“-Cruises sollen nur der Anfang sein. Eine Frage für die mittelfristige Zukunft lautet: Wie geschlossen bleibt das System? Vorstellbar seien zum Beispiel enge Partnerschaften mit einzelnen Häfen, in denen alle Prozesse genau kontrolliert werden, sagt Papathanassis. „Ich kann mir gut vorstellen, dass man exklusive, vertikale Ket„Das ten mit Partnern an Land aufbaut. Innerhalb dieser Kette kann man Sicherheit schaffen.“
Social Distancing ist möglich – aber es braucht viel Disziplin
Nicht nur die Landgänge fehlen derzeit noch, auch an Bord läuft vieles anders ab. Die Reedereien fahren mit weniger Gästen, es gelten strenge Hygienekonzepte. Und die Urlauber sollen unterwegs Abstand zueinander halten: 1,5 Meter mindestens. „Sollten wir feststellen, dass einzelne Personen diese Regeln bewusst nicht einhalten, behalten wir uns an Bord vor, dagegen vorzugehen“, erklärt Godja Sönnichsen, Sprecherin von Tui Cruises. Spontane Partys sollen damit vermieden werden. Ob das gelingt, wird sich zeigen. „Social Distancing ist theoretisch machbar, das erfordert aber eine enorme Disziplin vonseiten der Crew und der Passagiere“, sagt Prof. Papathanassis. „Man fragt sich schon, wie das auf Dauer konsequent durchsetzbar sein kann.“
Das führt zur entscheidenden Frage: Wie lässt sich verhindern, dass infizierte Personen an Bord kommen und dort andere anstecken? Und was passiert, wenn es auf Reisen doch zu einem CoronaAusbruch kommt? Tui Cruises will nach eigenen Angaben die Temperatur der Gäste vor dem Check-in messen. Eine Maßnahme, die aber nach Ansicht von Experten kaum Schutz bietet: „Fieber messen ist Augenwischerei“, sagt der Mediziner Christian Ottomann, Leiter der Schiffsarztbörse. „Es gibt Infizierte ohne Fieber oder anderweitige Symptome.“
Ottomann hält es für angeraten, am Tag der Einschiffung für alle Passagiere sogenannte PCR-Tests anzubieten, die binnen weniger Stunden ein Ergebnis liefern. Solche Tests bei der Ein- und Ausschiffung finden bei Tui Cruises derzeit nicht statt, wie die Reedereien bestätigen. Wohl aber können die Tests an Bord vorgenommen werden. Sollte es zu einem bestätigten Fall an Bord kommen, greifen laut den Reedereien detaillierte Notfallpläne.
„Falls sich ein Verdachtsfall bestätigen sollte, werden wir den Gast schnellstmöglich an Bord isolieren und zur Weiterbehandlung in ein geeignetes Krankenhaus an Land bringen lassen“, sagt Godja Sönnichsen von Tui Cruises. „Egal wo wir unterwegs sind, unsere Gäste werden nicht festsitzen und zwei Wochen auf dem Schiff ausharren müssen.“Schiffsarzt Ottomann geht für den Fall eines Ausbruchs an Bord davon aus, dass alle Passagiere bei der Rückkehr in den deutschen Hafen auf jeden Fall eine 14-tägige Quarantäne erwartet.
Bereits viel Erfahrung im Umgang mit Krankheitserregern an Bord
Die Kreuzfahrtbranche habe viel Erfahrung im Umgang mit Krankheitserregern an Bord und habe die Norovirus-Ausbrüche in den vergangenen Jahren kontinuierlich reduzieren können, sagt Alexis Papathanassis. „Das Bild vom Schiff als schwimmender Virusschleuder ist nicht fair. Zu einem Corona-Ausbruch kann es ja genauso gut in einem Ferienresort oder Hotelclub an Land kommen.“Die Frage sei aber, wer alles wann im Fall eines Ausbruchs an Bord getestet wird.
wird kompliziert“, schätzt der Hochschullehrer. Man müsste die Kontaktpersonen identifizieren. „Allerdings kann auch ein Crewmitglied das Virus weitergeben. In den Quartieren der Crew lebt das Personal viel enger zusammen als die zahlenden Gäste in ihren Kabinen. Wie soll man das kontrollieren?“
Um die Klimaanlagen müssten sich Passagiere keine Sorgen machen. Diese würden ausschließlich mit Frischluft versorgt, betont Tui Cruises. Die Abluft aus den Kabinen sowie aus den öffentlichen Bereichen werde nicht weiterverwendet. Mediziner Ottomann bestätigt das: „Man muss keine Angst haben, dass sich ein Virus über die Klimaanlage überträgt.“
Alle Urlaubspläne sind derzeit ungewiss, weil der Verlauf der Pandemie sich kaum vorhersagen lässt. Wenn auf absehbare Zeit Kreuzfahrten ohne Landgänge angeboten werden könnten, sei die Frage: Wie muss ein Schiff ausgestattet sein? Wie und an wen sollte es vermarktet werden? Schiffsarzt Ottomann geht davon aus, dass es frühestens im Januar 2021 wieder so richtig losgehen wird mit Kreuzfahrten – und wie vor der Krise werde es erst wieder sein, „wenn ein Impfstoff da ist.“