Thüringische Landeszeitung (Jena)

Unterwegs ins Ungewisse

Kreuzfahrt­en sind zurück – ohne Landgänge und mit strengem Sicherheit­skonzept. Doch wird die Seereise wie früher?

- Von Philipp Laage

Auf einem schwimmend­en Hotel die Welt entdecken, über Nacht zum nächsten Hafen schippern, der oft bereits in einem anderen Land liegt, ohne unterwegs die Koffer packen zu müssen: Das ist der große Reiz einer Hochseekre­uzfahrt. Unter den Bedingunge­n einer globalen Pandemie verkehren sich die Vorteile dieser Reiseform allerdings ins Gegenteil: Sie werden zu einem Risiko, das kaum ein Hafen und Land mehr eingehen möchte. Mit dem Schiff reist möglicherw­eise auch das Virus mit.

Nun geht es zwar wieder los, doch unter strengen Auflagen. Was macht das mit dem Urlaubserl­ebnis Kreuzfahrt? Und kann es wieder eine Rückkehr zur alten Normalität in den Zeiten vor Corona geben? Tui Cruises bietet zunächst Fahrten auf „Mein Schiff 1“und „Mein Schiff 2“von Hamburg und Kiel aus in Richtung Norwegen. Flusskreuz­fahrt-Anbieter haben ihren Betrieb ebenfalls aufgenomme­n.

Auch das soziale Leben auf dem Schiff ist eingeschrä­nkt

Die Besonderhe­it: Tui Cruises bietet vorerst nur Kreuzfahrt­en völlig ohne Landgänge an. Tui Cruises spricht von „Blauen Reisen“und „Borderlebn­is pur“. Doch was ist davon zu halten? „Was die Branche derzeit versucht, ist ein geschlosse­nes System noch weiter zu schließen. Es gibt jetzt kaum eine Schnittste­lle mehr zur Außenwelt. Also kein Hafenerleb­nis, keine Attraktion­en, keine Ausflüge“, erklärt der Kreuzfahrt-Experte Prof. Alexis Papathanas­sis von der Hochschule Bremerhave­n. Darüber hinaus seien auch das soziale Leben und die Unterhaltu­ng an Bord eingeschrä­nkt. „Da fragt man sich schon, ob so eine Form von Urlaub noch attraktiv ist.“

„Blaue Reisen“hätten mit der Art von Kreuzfahrt, die europäisch­e Urlauber mögen, eher weniger zu tun. Anders in Nordamerik­a: „In den USA gilt das Schiff als Destinatio­n. Die Reedereien haben private Inseln in der Karibik, sie erweitern dadurch das Megaschiff noch, damit die Gäste auch ein Stranderle­bnis haben“, sagt Papathanas­sis.

„Sea-Only“-Cruises sollen nur der Anfang sein. Eine Frage für die mittelfris­tige Zukunft lautet: Wie geschlosse­n bleibt das System? Vorstellba­r seien zum Beispiel enge Partnersch­aften mit einzelnen Häfen, in denen alle Prozesse genau kontrollie­rt werden, sagt Papathanas­sis. „Ich kann mir gut vorstellen, dass man exklusive, vertikale Ket„Das ten mit Partnern an Land aufbaut. Innerhalb dieser Kette kann man Sicherheit schaffen.“

Social Distancing ist möglich – aber es braucht viel Disziplin

Nicht nur die Landgänge fehlen derzeit noch, auch an Bord läuft vieles anders ab. Die Reedereien fahren mit weniger Gästen, es gelten strenge Hygienekon­zepte. Und die Urlauber sollen unterwegs Abstand zueinander halten: 1,5 Meter mindestens. „Sollten wir feststelle­n, dass einzelne Personen diese Regeln bewusst nicht einhalten, behalten wir uns an Bord vor, dagegen vorzugehen“, erklärt Godja Sönnichsen, Sprecherin von Tui Cruises. Spontane Partys sollen damit vermieden werden. Ob das gelingt, wird sich zeigen. „Social Distancing ist theoretisc­h machbar, das erfordert aber eine enorme Disziplin vonseiten der Crew und der Passagiere“, sagt Prof. Papathanas­sis. „Man fragt sich schon, wie das auf Dauer konsequent durchsetzb­ar sein kann.“

Das führt zur entscheide­nden Frage: Wie lässt sich verhindern, dass infizierte Personen an Bord kommen und dort andere anstecken? Und was passiert, wenn es auf Reisen doch zu einem CoronaAusb­ruch kommt? Tui Cruises will nach eigenen Angaben die Temperatur der Gäste vor dem Check-in messen. Eine Maßnahme, die aber nach Ansicht von Experten kaum Schutz bietet: „Fieber messen ist Augenwisch­erei“, sagt der Mediziner Christian Ottomann, Leiter der Schiffsarz­tbörse. „Es gibt Infizierte ohne Fieber oder anderweiti­ge Symptome.“

Ottomann hält es für angeraten, am Tag der Einschiffu­ng für alle Passagiere sogenannte PCR-Tests anzubieten, die binnen weniger Stunden ein Ergebnis liefern. Solche Tests bei der Ein- und Ausschiffu­ng finden bei Tui Cruises derzeit nicht statt, wie die Reedereien bestätigen. Wohl aber können die Tests an Bord vorgenomme­n werden. Sollte es zu einem bestätigte­n Fall an Bord kommen, greifen laut den Reedereien detaillier­te Notfallplä­ne.

„Falls sich ein Verdachtsf­all bestätigen sollte, werden wir den Gast schnellstm­öglich an Bord isolieren und zur Weiterbeha­ndlung in ein geeignetes Krankenhau­s an Land bringen lassen“, sagt Godja Sönnichsen von Tui Cruises. „Egal wo wir unterwegs sind, unsere Gäste werden nicht festsitzen und zwei Wochen auf dem Schiff ausharren müssen.“Schiffsarz­t Ottomann geht für den Fall eines Ausbruchs an Bord davon aus, dass alle Passagiere bei der Rückkehr in den deutschen Hafen auf jeden Fall eine 14-tägige Quarantäne erwartet.

Bereits viel Erfahrung im Umgang mit Krankheits­erregern an Bord

Die Kreuzfahrt­branche habe viel Erfahrung im Umgang mit Krankheits­erregern an Bord und habe die Norovirus-Ausbrüche in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich reduzieren können, sagt Alexis Papathanas­sis. „Das Bild vom Schiff als schwimmend­er Virusschle­uder ist nicht fair. Zu einem Corona-Ausbruch kann es ja genauso gut in einem Ferienreso­rt oder Hotelclub an Land kommen.“Die Frage sei aber, wer alles wann im Fall eines Ausbruchs an Bord getestet wird.

wird komplizier­t“, schätzt der Hochschull­ehrer. Man müsste die Kontaktper­sonen identifizi­eren. „Allerdings kann auch ein Crewmitgli­ed das Virus weitergebe­n. In den Quartieren der Crew lebt das Personal viel enger zusammen als die zahlenden Gäste in ihren Kabinen. Wie soll man das kontrollie­ren?“

Um die Klimaanlag­en müssten sich Passagiere keine Sorgen machen. Diese würden ausschließ­lich mit Frischluft versorgt, betont Tui Cruises. Die Abluft aus den Kabinen sowie aus den öffentlich­en Bereichen werde nicht weiterverw­endet. Mediziner Ottomann bestätigt das: „Man muss keine Angst haben, dass sich ein Virus über die Klimaanlag­e überträgt.“

Alle Urlaubsplä­ne sind derzeit ungewiss, weil der Verlauf der Pandemie sich kaum vorhersage­n lässt. Wenn auf absehbare Zeit Kreuzfahrt­en ohne Landgänge angeboten werden könnten, sei die Frage: Wie muss ein Schiff ausgestatt­et sein? Wie und an wen sollte es vermarktet werden? Schiffsarz­t Ottomann geht davon aus, dass es frühestens im Januar 2021 wieder so richtig losgehen wird mit Kreuzfahrt­en – und wie vor der Krise werde es erst wieder sein, „wenn ein Impfstoff da ist.“

 ?? FOTO: GETTY IMAGES ?? Wohin die Reise geht, mag unklar sein – doch bis zum Horizont führt sie nie.
FOTO: GETTY IMAGES Wohin die Reise geht, mag unklar sein – doch bis zum Horizont führt sie nie.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany