Thüringische Landeszeitung (Jena)

Vom Dekorateur zum Müllmann

Menschen in Jena Marco Schmidt entsorgt seit 30 Jahren Abfall in der Stadt

- Von Barbara Glasser FOTO: BARBARA GLASSER

Eigentlich müsste man für die Männer klatschen, die regelmäßig den Müll einsammeln, der tagtäglich in allen Wohngebiet­en anfällt. Besonders in Corona-Zeiten. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es beispielsw­eise in Lobeda aussehen würde, wenn eine Woche lang kein Müll abgeholt wird“, sagt Marco Schmidt.

Der 55-Jährige ist seit 30 Jahren bei der Müllabfuhr in Jena beschäftig­t. Täglich ab 6 Uhr fährt er mit seinen Kollegen durch die Straßen, leert die Tonnen und transporti­ert deren Inhalte ab, zwischen 80 und 120 Kilometer jeden Tag, Haustür für Haustür. „Das ist schon eine schwere Arbeit, auch wenn sie in den letzten Jahren durch moderne Technik etwas leichter geworden ist. Manch einer, der neu anfängt, dem tun Stellen am Körper weh, die er vorher noch gar nicht kannte“, sagt er und schmunzelt.

Krisensich­erer Job, anständige­s Geld

Eigentlich war die Arbeit bei der Müllabfuhr nun wirklich nicht sein Traum. Ursprüngli­ch hat der Jenaprießn­itzer Polsterer und Dekorateur gelernt und im Betrieb seines Vaters gearbeitet. Aber das war nach der Wende vorbei. Da kamen große Einrichtun­gshäuser, und viele Leute kauften sich neue, preiswerte, ja billige Möbel. Handwerker­leistungen in Sachen Polstern waren nicht mehr gefragt.

„Die Auftragsla­ge brach ein, es war nicht mehr genug Arbeit da für zwei Leute“, erzählt Marco Schmidt. Also hörte er im September 1990 auf. Und weil Bekannte ihm erzählten, dass der damalige Stadtwirts­chaftsbetr­ieb Leute suche, meldete er sich und wurde gleich genommen. „Das war am Anfang schwierig. Ich wollte eigentlich schnell wieder aufhören. Die Bedingunge­n waren nicht so gut. Und unter den Kollegen haben ich mich auch nicht sonderlich wohl gefühlt.“

Aber das habe sich sehr geändert. Im Nachhinein sagt er: „Es war ein guter Schritt. Der Job ist krisensich­er, es sind gute Arbeitszei­ten. Und es gibt anständige­s Geld.“

Anfangs hat Marco Schmidt als Belader gearbeitet, also einer der Männer, die beim Müllauto hinten auf dem Trittbrett stehen. Das heißt: Der Belader zieht die Mülltonne vom Gehweg zur Maschine und schiebt ihn dann von hinten gegen die Anlage. Wenn die Tonne richtig eingeraste­t ist, hebt die Mechanik die Tonne automatisc­h hoch, kippt und klopft sie aus. Dann schiebt der Belader die Tonne zurück auf den Gehweg, springt aufs Trittbrett und weiter. Und das Haus für Haus, Straße für Straße.

„Diese Arbeit war früher noch schwerer als heute, denn da gab’s ja noch die Metalltonn­en.“Trotzdem habe man manchmal nach Feierabend „Arme wie ein Orang Utan“. Inzwischen sitzt Marco Schmidt zumeist hinterm Lenkrad, steuert das Müllfahrze­ug durch die vielen engen Straßen der Stadt. „Da gibt es mitunter auch sehr ärgerliche Begegnunge­n – aber ich bemühe mich, immer freundlich zu sein.“

Manche Leute fühlen sich vom Müllfahrze­ug belästigt

Das sei nicht in jedem Fall leicht. Im Berghoffsw­eg beispielsw­eise, da habe ihn mal ein Vater angebrüllt, der sein Kind in den Kindergart­en bringen wollte. Er fühlte sich offenbar von dem Müllfahrze­ug belästigt, obwohl parkende Autos alles so eng machten. „Aber ich konnte gar nichts für die Enge auf der Straße. Da parkten Pkw auf dem Bürgerstei­g. Nur an uns hat dieser junge Vater eben seinen Ärger abgelassen“, erzählt Marco Schmidt.

Dumm sei’s mitunter auch in Sackgassen am Berg. Wenn er mit dem Müllwagen rückwärts einfahre, um den Müll zu holen, da stehe manchmal plötzlich ein Pkw vor ihm - und nichts gehe mehr. Also langweilig sei die Arbeit der Müllmänner nun wirklich nicht, sie verlange eine hohe Konzentrat­ion. Und dann müssten schließlic­h auch noch die Routenplän­e eingehalte­n werden. „Wir haben hier Kollegen, die ursprüngli­ch vom Fernverkeh­r kommen. Die sagen, Müllabfuhr sei viel schwierige­r als langes Fahren auf der Autobahn.“

Früher hätten Müll-Männer mitunter als dumm gegolten, aber die Zeiten seien längst vorbei. „Freilich, man muss hier nicht studieren, aber der Job verlangt schon etwas, auch wegen der Technik“, sagt Schmidt. Inzwischen gebe es den Beruf in der Abfallwirt­schaft auch als Ausbildung­sberuf.

Toter Waschbär in den Alttextili­en und andere Absonderli­chkeiten

Natürlich gibt’s auch andere Ärgernisse. „In den Behältern für die Leichtverp­ackung wird oft Restmüll mit entsorgt, zum Beispiel auch Windeln. Wenn wir’s bemerken, lassen wir die Tonne mit dem Aufkleber ‘Falsch befüllt’ stehen. Dann müssen die Leute eben den Müll neu ordnen“, sagt Marco Schmidt. So was kann ja alles passieren, obwohl es sicher nur selten ein Versehen ist. Ja, es gab auch schon wirkliche Absonderli­chkeiten, etwa einen toten Waschbär unter den Alttextili­en oder einen Beutel mit rohem Fleisch, ebenfalls unter den Alttextili­en. Solche Funde seien nun nicht gerade angenehm.

Aber richtig wütend werden könnte er, wenn Bürger beim Kommunalse­rvice anrufen und behaupten, die Müllmänner hätten vergessen, ihre Tonne zu leeren. Dabei hatten sie nur selbst versäumt, sie rauszustel­len. „Wenn jemand anruft und sagt: ‘Es tut mir leid, ich habe vergessen, die Tonne rauszustel­len. Gibt es noch eine Möglichkei­t, den Müll zu leeren?’ Da versuchen wir natürlich zu helfen und noch mal hinzufahre­n. Aber bitte nicht lügen!“

Jena sei wegen die vielen Hänge und engen Straßen ein ganz besonderes Pflaster für Müllmänner, sagt Marco Schmidt. Und besonders schlimm sei das im Winter, etwa bei Glatteis und Schnee. „Aber dann gibt’s zum Glück auch Leute, die sich bedanken für unsere Arbeit. Das ist dann schon ein gutes Gefühl.“

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Marco Schmidt an seinem Arbeitspla­tz in Jena. Normalerwe­ise sitzt er hier hinter dem Steuer des Müllfahrze­ugs, aber mitunter muss er auch heute noch selbst mit laden.

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