Thüringische Landeszeitung (Jena)
Vom Dekorateur zum Müllmann
Menschen in Jena Marco Schmidt entsorgt seit 30 Jahren Abfall in der Stadt
Eigentlich müsste man für die Männer klatschen, die regelmäßig den Müll einsammeln, der tagtäglich in allen Wohngebieten anfällt. Besonders in Corona-Zeiten. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es beispielsweise in Lobeda aussehen würde, wenn eine Woche lang kein Müll abgeholt wird“, sagt Marco Schmidt.
Der 55-Jährige ist seit 30 Jahren bei der Müllabfuhr in Jena beschäftigt. Täglich ab 6 Uhr fährt er mit seinen Kollegen durch die Straßen, leert die Tonnen und transportiert deren Inhalte ab, zwischen 80 und 120 Kilometer jeden Tag, Haustür für Haustür. „Das ist schon eine schwere Arbeit, auch wenn sie in den letzten Jahren durch moderne Technik etwas leichter geworden ist. Manch einer, der neu anfängt, dem tun Stellen am Körper weh, die er vorher noch gar nicht kannte“, sagt er und schmunzelt.
Krisensicherer Job, anständiges Geld
Eigentlich war die Arbeit bei der Müllabfuhr nun wirklich nicht sein Traum. Ursprünglich hat der Jenaprießnitzer Polsterer und Dekorateur gelernt und im Betrieb seines Vaters gearbeitet. Aber das war nach der Wende vorbei. Da kamen große Einrichtungshäuser, und viele Leute kauften sich neue, preiswerte, ja billige Möbel. Handwerkerleistungen in Sachen Polstern waren nicht mehr gefragt.
„Die Auftragslage brach ein, es war nicht mehr genug Arbeit da für zwei Leute“, erzählt Marco Schmidt. Also hörte er im September 1990 auf. Und weil Bekannte ihm erzählten, dass der damalige Stadtwirtschaftsbetrieb Leute suche, meldete er sich und wurde gleich genommen. „Das war am Anfang schwierig. Ich wollte eigentlich schnell wieder aufhören. Die Bedingungen waren nicht so gut. Und unter den Kollegen haben ich mich auch nicht sonderlich wohl gefühlt.“
Aber das habe sich sehr geändert. Im Nachhinein sagt er: „Es war ein guter Schritt. Der Job ist krisensicher, es sind gute Arbeitszeiten. Und es gibt anständiges Geld.“
Anfangs hat Marco Schmidt als Belader gearbeitet, also einer der Männer, die beim Müllauto hinten auf dem Trittbrett stehen. Das heißt: Der Belader zieht die Mülltonne vom Gehweg zur Maschine und schiebt ihn dann von hinten gegen die Anlage. Wenn die Tonne richtig eingerastet ist, hebt die Mechanik die Tonne automatisch hoch, kippt und klopft sie aus. Dann schiebt der Belader die Tonne zurück auf den Gehweg, springt aufs Trittbrett und weiter. Und das Haus für Haus, Straße für Straße.
„Diese Arbeit war früher noch schwerer als heute, denn da gab’s ja noch die Metalltonnen.“Trotzdem habe man manchmal nach Feierabend „Arme wie ein Orang Utan“. Inzwischen sitzt Marco Schmidt zumeist hinterm Lenkrad, steuert das Müllfahrzeug durch die vielen engen Straßen der Stadt. „Da gibt es mitunter auch sehr ärgerliche Begegnungen – aber ich bemühe mich, immer freundlich zu sein.“
Manche Leute fühlen sich vom Müllfahrzeug belästigt
Das sei nicht in jedem Fall leicht. Im Berghoffsweg beispielsweise, da habe ihn mal ein Vater angebrüllt, der sein Kind in den Kindergarten bringen wollte. Er fühlte sich offenbar von dem Müllfahrzeug belästigt, obwohl parkende Autos alles so eng machten. „Aber ich konnte gar nichts für die Enge auf der Straße. Da parkten Pkw auf dem Bürgersteig. Nur an uns hat dieser junge Vater eben seinen Ärger abgelassen“, erzählt Marco Schmidt.
Dumm sei’s mitunter auch in Sackgassen am Berg. Wenn er mit dem Müllwagen rückwärts einfahre, um den Müll zu holen, da stehe manchmal plötzlich ein Pkw vor ihm - und nichts gehe mehr. Also langweilig sei die Arbeit der Müllmänner nun wirklich nicht, sie verlange eine hohe Konzentration. Und dann müssten schließlich auch noch die Routenpläne eingehalten werden. „Wir haben hier Kollegen, die ursprünglich vom Fernverkehr kommen. Die sagen, Müllabfuhr sei viel schwieriger als langes Fahren auf der Autobahn.“
Früher hätten Müll-Männer mitunter als dumm gegolten, aber die Zeiten seien längst vorbei. „Freilich, man muss hier nicht studieren, aber der Job verlangt schon etwas, auch wegen der Technik“, sagt Schmidt. Inzwischen gebe es den Beruf in der Abfallwirtschaft auch als Ausbildungsberuf.
Toter Waschbär in den Alttextilien und andere Absonderlichkeiten
Natürlich gibt’s auch andere Ärgernisse. „In den Behältern für die Leichtverpackung wird oft Restmüll mit entsorgt, zum Beispiel auch Windeln. Wenn wir’s bemerken, lassen wir die Tonne mit dem Aufkleber ‘Falsch befüllt’ stehen. Dann müssen die Leute eben den Müll neu ordnen“, sagt Marco Schmidt. So was kann ja alles passieren, obwohl es sicher nur selten ein Versehen ist. Ja, es gab auch schon wirkliche Absonderlichkeiten, etwa einen toten Waschbär unter den Alttextilien oder einen Beutel mit rohem Fleisch, ebenfalls unter den Alttextilien. Solche Funde seien nun nicht gerade angenehm.
Aber richtig wütend werden könnte er, wenn Bürger beim Kommunalservice anrufen und behaupten, die Müllmänner hätten vergessen, ihre Tonne zu leeren. Dabei hatten sie nur selbst versäumt, sie rauszustellen. „Wenn jemand anruft und sagt: ‘Es tut mir leid, ich habe vergessen, die Tonne rauszustellen. Gibt es noch eine Möglichkeit, den Müll zu leeren?’ Da versuchen wir natürlich zu helfen und noch mal hinzufahren. Aber bitte nicht lügen!“
Jena sei wegen die vielen Hänge und engen Straßen ein ganz besonderes Pflaster für Müllmänner, sagt Marco Schmidt. Und besonders schlimm sei das im Winter, etwa bei Glatteis und Schnee. „Aber dann gibt’s zum Glück auch Leute, die sich bedanken für unsere Arbeit. Das ist dann schon ein gutes Gefühl.“