Thüringische Landeszeitung (Jena)
Die Krönung der Naturbildhauerei
Eine atemberaubende Wandertour führt rund um den „Wilden Kaiser“und seine imposanten Felstürme. Und auch Kletterern bietet der Gebirgszug in den Ostalpen steile Herausforderungen
Da wollen wir hin!“, stellt der Organisator unserer kleinen Wandergruppe fest und deutet auf einen Punkt in der Fels-Skyline, die sich eindrucksvoll hinter dem Ort Scheffau erhebt. „Zum Kaiserkopf! Oder genauer gesagt zur Gruttenhütte, direkt unter dem markanten über
2000 Meter hohen Berg.“Majestätisch ragen die zerklüfteten Flanken des Wilden Kaisers vor uns auf. Der ist aber nicht einfach nur wild, sondern auch wildromantisch – und sowieso wunderschön: Die harmonischen Proportionen der Gipfel, unterbrochen vom Halbrund des Ellmauer Tors, lassen das rund
20 Kilometer breite Bergmassiv wie das Werk eines Bildhauers wirken. Oder wie hatte es am Vortag die nette Bedienung in der erst vor Kurzem eröffneten Kaiserlodge (einer Art Luxus-Naturhotel mit Ferienappartements und sogar einem eigenem See) ausgedrückt, indem sie schwärmte: „Zu jeder Tageszeit fällt das Licht anders auf die steilen Wände und Felstürme. Kaum hat man eine Stunde mal nicht hingesehen, ist er schon wieder neu geschminkt.“
In der Tat, gestern Abend noch erstrahlte der „Koasa“, wie die Einheimischen ihren Hausberg nennen, in schönsten Rottönen. Am Morgen, an dem wir starten, zeigt er sich eher wolkenverhangen. Eineinhalb Stunden später, als wir nach dem Durchqueren der schönen Rehbachschlucht auf der Hinterschießlingalm Hollerschorlen bestellen, ist er wieder voll zu sehen, wenn auch mystisch-schattenbefleckt. Und so unbeständig wird es weitergehen. Die Vorhersage sagt nach wochenlanger Trockenheit sogar Dauerregen an.
Wir hoffen das natürlich nicht, passen aber nicht zuletzt deshalb die Tour an. Die gesamte „Kaiserkrone“, die erst vor wenigen Jahren, wenn auch auf bereits bestehenden Wegen, konzipiert wurde, führt ja in fünf Tagen auf 65 Kilometern und rund 5000 Höhenmetern im Aufund Abstieg einmal rund um das Kaiser-Massiv. Wir entscheiden uns für die Drei-Tage-Variante. Und obendrein nicht für den Klassiker, der in Going startet, sondern für den Seiteneinstieg im benachbarten Scheffau. Diese Flexibilität ist ohnehin einer der Vorteile der „Kaiserkrone“: Sind die bevorzugten Hütten ausgebucht, kann man auf andere Unterkünfte ausweichen. Entlang der gesamten Umrundung kommen über ein Dutzend dafür in Frage, im größeren Einzugsgebiet sind es mit Pensionen und Co. sogar noch mehr.
Weitere Pluspunkte: Es gibt attraktives Kartenmaterial, zuverlässige Wegmarkierungen und stets großartige Ausblicke. So wie der kurz hinter der Hinterschießlingalm, wenn man zur Abwechslung mal nicht den Kaiser vor Augen hat, sondern den Hintersteiner See. Wahnsinn, dieses klare, türkisblaue
Wasser! Da fällt es einem schwer, den erfreulich wanderfreudigen Teenagern zu erklären, dass hier das Baden außerhalb ausgewiesener Plätze offiziell verboten ist – weil Privatbesitz. Aber an seinem überwiegend steilen Südufer gibt es ohnehin kaum Möglichkeiten, ans Ufer zu gelangen. Dafür bewundern wir den „Koasa“mittlerweile in grellster Mittagssonne.
Bei der Pension Maier geht es auf zur letzten, etwa einstündigen Etappe des Tages, den breiten Forstweg
45 hinauf zu den Almhütten unterhalb des Kreuzbichl auf knapp
1200 Metern Höhe. Wir kommen gerade rechtzeitig bei der Walleralm an, als ein Gewitter einsetzt. Blitze, Donner, Starkregen: Wir sitzen unter dem Dach und erleben, in Decken gehüllt, Naturkino vom Feinsten – inklusive Dolby-Surround und atemberaubenden Lichteffekte.
Technisch nicht anspruchsvoll, dafür variabel und intensiv
Der nächste Tag startet wieder mit Sonne. Und mit einer herrlichen Wanderpassage, dem Jägersteig. Auf halber Höhe führt dieser Richtung Osten, über Wurzeln und Steine und durch einen zauberhaften, moosbewachsenen Wald, mal an einem Wasserfall vorbei, mal mit Panoramablick auf die Berge gegenüber. Technisch nicht schwierig zu gehen, aber abwechslungsreich und intensiv – typisch für die „Kaiserkrone“. Dazu gehört auch, dass immer wieder Blicke auf den Kaiser selbst freiwerden. Nach einer Weile erreichen wir die Steiner Hochalm, betrieben von den betagten Hüttenwirten Maridi und Peter. Während sie Buttermilch serviert, holt er – nur für uns – seine Harfe hervor und intoniert ein paar schöne Volkslieder. Das tröstet darüber hinweg, dass es hier nichts zu essen gibt.
Auf den weiteren, stetig bergauf führenden Pfaden begegnen uns nur gelegentlich Wanderer. Für das größte Gesellschaftsereignis sorgt eine Herde zutraulicher junger Kühe. Der sich zunehmend verdunkelnde Himmel lässt uns auf dem Weg durch Latschenfelder und Bergwälder Gas geben. Je länger es dauert, desto stärker wird der Regen, der mittlerweile eingesetzt hat. Pitschnass erreichen wir die Gruttenhütte auf 1620 Metern Höhe. Das im Jahr 1900 eingeweihte Haus wurde superschön modernisiert, im 21. Jahrhundert ein wahres Aushängeschild für den Alpenverein.
Der Schleierwasserfall braust eine 60 Meter hohe Felswand hinunter
Ein Grund zum Jubeln stellt im Normalfall auch die traumhafte Lage dar – am Fuß der Ellmauer Halt und des Kaiserkopfs. Traumziele, die aufgrund ihrer schwarzen Markierung etwas für trittsichere, schwindelfreie Bergwanderer und Kletterer sind. Doch auch die Etage darunter hat es in sich. „Wir haben vor dem Regen gerade noch den Klamml-Klettersteig geschafft. Die zwölf Meter lange Zwei-Seilbrücke im Mittelteil war echt stark“, schwärmen unsere Tischnachbarn.
Jubiläums-Steig, KaiserschützenSteig, Wilder-Kaiser-Steig – es gäbe so viel zu erwandern! Die Fortführung der „Kaiserkrone“sowieso. Da ginge es weiter zum Weiler Griesenau und zum Stripsenjochhaus, auf einem Sattel zu Füßen der legendären Felswände „Totenkirchl“und „Fleischbank“gelegen.
Auch nach so einer Wanderung bleiben Träume: etwa von der „Kaiserkronen“-Vollendung, inklusive dem malerisch in einem Kessel gelegenen „Anton-Karg-Haus“, dem Bettler-Steig und der Kaindlhütte, von der es wieder via Walleralm nach Scheffau ginge. Für uns gibt es diesmal aber eben die Kurzform. In weitem Bogen gehen wir also an
Tag 3 hinunter nach Going, vorbei an der Gaudeamushütte und der Oberen Regalm, vorbei am Schleierwasserfall, der eine 60 Meter hohe Felswand hinunterbraust. Die gilt als Mekka für Extremkletterer. Wir aber saunieren erst mal, ziehen trockene Klamotten an und werfen einen letzten Blick hinüber zum „Koasa“. Der aber versteckt sich hinter grauen Regenwolken.
„Zu jeder Tageszeit fällt das Licht anders auf die steilen Wände und Felstürme. Kaum hat man eine Stunde mal nicht hingesehen, ist er schon wieder neu geschminkt.“
Bedienung im Hotel Kaiserrlodge