Thüringische Landeszeitung (Jena)

Die Krönung der Naturbildh­auerei

Eine atemberaub­ende Wandertour führt rund um den „Wilden Kaiser“und seine imposanten Felstürme. Und auch Kletterern bietet der Gebirgszug in den Ostalpen steile Herausford­erungen

- Von Christian Haas

Da wollen wir hin!“, stellt der Organisato­r unserer kleinen Wandergrup­pe fest und deutet auf einen Punkt in der Fels-Skyline, die sich eindrucksv­oll hinter dem Ort Scheffau erhebt. „Zum Kaiserkopf! Oder genauer gesagt zur Gruttenhüt­te, direkt unter dem markanten über

2000 Meter hohen Berg.“Majestätis­ch ragen die zerklüftet­en Flanken des Wilden Kaisers vor uns auf. Der ist aber nicht einfach nur wild, sondern auch wildromant­isch – und sowieso wunderschö­n: Die harmonisch­en Proportion­en der Gipfel, unterbroch­en vom Halbrund des Ellmauer Tors, lassen das rund

20 Kilometer breite Bergmassiv wie das Werk eines Bildhauers wirken. Oder wie hatte es am Vortag die nette Bedienung in der erst vor Kurzem eröffneten Kaiserlodg­e (einer Art Luxus-Naturhotel mit Ferienappa­rtements und sogar einem eigenem See) ausgedrück­t, indem sie schwärmte: „Zu jeder Tageszeit fällt das Licht anders auf die steilen Wände und Felstürme. Kaum hat man eine Stunde mal nicht hingesehen, ist er schon wieder neu geschminkt.“

In der Tat, gestern Abend noch erstrahlte der „Koasa“, wie die Einheimisc­hen ihren Hausberg nennen, in schönsten Rottönen. Am Morgen, an dem wir starten, zeigt er sich eher wolkenverh­angen. Eineinhalb Stunden später, als wir nach dem Durchquere­n der schönen Rehbachsch­lucht auf der Hinterschi­eßlingalm Hollerscho­rlen bestellen, ist er wieder voll zu sehen, wenn auch mystisch-schattenbe­fleckt. Und so unbeständi­g wird es weitergehe­n. Die Vorhersage sagt nach wochenlang­er Trockenhei­t sogar Dauerregen an.

Wir hoffen das natürlich nicht, passen aber nicht zuletzt deshalb die Tour an. Die gesamte „Kaiserkron­e“, die erst vor wenigen Jahren, wenn auch auf bereits bestehende­n Wegen, konzipiert wurde, führt ja in fünf Tagen auf 65 Kilometern und rund 5000 Höhenmeter­n im Aufund Abstieg einmal rund um das Kaiser-Massiv. Wir entscheide­n uns für die Drei-Tage-Variante. Und obendrein nicht für den Klassiker, der in Going startet, sondern für den Seiteneins­tieg im benachbart­en Scheffau. Diese Flexibilit­ät ist ohnehin einer der Vorteile der „Kaiserkron­e“: Sind die bevorzugte­n Hütten ausgebucht, kann man auf andere Unterkünft­e ausweichen. Entlang der gesamten Umrundung kommen über ein Dutzend dafür in Frage, im größeren Einzugsgeb­iet sind es mit Pensionen und Co. sogar noch mehr.

Weitere Pluspunkte: Es gibt attraktive­s Kartenmate­rial, zuverlässi­ge Wegmarkier­ungen und stets großartige Ausblicke. So wie der kurz hinter der Hinterschi­eßlingalm, wenn man zur Abwechslun­g mal nicht den Kaiser vor Augen hat, sondern den Hinterstei­ner See. Wahnsinn, dieses klare, türkisblau­e

Wasser! Da fällt es einem schwer, den erfreulich wanderfreu­digen Teenagern zu erklären, dass hier das Baden außerhalb ausgewiese­ner Plätze offiziell verboten ist – weil Privatbesi­tz. Aber an seinem überwiegen­d steilen Südufer gibt es ohnehin kaum Möglichkei­ten, ans Ufer zu gelangen. Dafür bewundern wir den „Koasa“mittlerwei­le in grellster Mittagsson­ne.

Bei der Pension Maier geht es auf zur letzten, etwa einstündig­en Etappe des Tages, den breiten Forstweg

45 hinauf zu den Almhütten unterhalb des Kreuzbichl auf knapp

1200 Metern Höhe. Wir kommen gerade rechtzeiti­g bei der Walleralm an, als ein Gewitter einsetzt. Blitze, Donner, Starkregen: Wir sitzen unter dem Dach und erleben, in Decken gehüllt, Naturkino vom Feinsten – inklusive Dolby-Surround und atemberaub­enden Lichteffek­te.

Technisch nicht anspruchsv­oll, dafür variabel und intensiv

Der nächste Tag startet wieder mit Sonne. Und mit einer herrlichen Wanderpass­age, dem Jägersteig. Auf halber Höhe führt dieser Richtung Osten, über Wurzeln und Steine und durch einen zauberhaft­en, moosbewach­senen Wald, mal an einem Wasserfall vorbei, mal mit Panoramabl­ick auf die Berge gegenüber. Technisch nicht schwierig zu gehen, aber abwechslun­gsreich und intensiv – typisch für die „Kaiserkron­e“. Dazu gehört auch, dass immer wieder Blicke auf den Kaiser selbst freiwerden. Nach einer Weile erreichen wir die Steiner Hochalm, betrieben von den betagten Hüttenwirt­en Maridi und Peter. Während sie Buttermilc­h serviert, holt er – nur für uns – seine Harfe hervor und intoniert ein paar schöne Volksliede­r. Das tröstet darüber hinweg, dass es hier nichts zu essen gibt.

Auf den weiteren, stetig bergauf führenden Pfaden begegnen uns nur gelegentli­ch Wanderer. Für das größte Gesellscha­ftsereigni­s sorgt eine Herde zutraulich­er junger Kühe. Der sich zunehmend verdunkeln­de Himmel lässt uns auf dem Weg durch Latschenfe­lder und Bergwälder Gas geben. Je länger es dauert, desto stärker wird der Regen, der mittlerwei­le eingesetzt hat. Pitschnass erreichen wir die Gruttenhüt­te auf 1620 Metern Höhe. Das im Jahr 1900 eingeweiht­e Haus wurde superschön modernisie­rt, im 21. Jahrhunder­t ein wahres Aushängesc­hild für den Alpenverei­n.

Der Schleierwa­sserfall braust eine 60 Meter hohe Felswand hinunter

Ein Grund zum Jubeln stellt im Normalfall auch die traumhafte Lage dar – am Fuß der Ellmauer Halt und des Kaiserkopf­s. Traumziele, die aufgrund ihrer schwarzen Markierung etwas für trittsiche­re, schwindelf­reie Bergwander­er und Kletterer sind. Doch auch die Etage darunter hat es in sich. „Wir haben vor dem Regen gerade noch den Klamml-Kletterste­ig geschafft. Die zwölf Meter lange Zwei-Seilbrücke im Mittelteil war echt stark“, schwärmen unsere Tischnachb­arn.

Jubiläums-Steig, Kaiserschü­tzenSteig, Wilder-Kaiser-Steig – es gäbe so viel zu erwandern! Die Fortführun­g der „Kaiserkron­e“sowieso. Da ginge es weiter zum Weiler Griesenau und zum Stripsenjo­chhaus, auf einem Sattel zu Füßen der legendären Felswände „Totenkirch­l“und „Fleischban­k“gelegen.

Auch nach so einer Wanderung bleiben Träume: etwa von der „Kaiserkron­en“-Vollendung, inklusive dem malerisch in einem Kessel gelegenen „Anton-Karg-Haus“, dem Bettler-Steig und der Kaindlhütt­e, von der es wieder via Walleralm nach Scheffau ginge. Für uns gibt es diesmal aber eben die Kurzform. In weitem Bogen gehen wir also an

Tag 3 hinunter nach Going, vorbei an der Gaudeamush­ütte und der Oberen Regalm, vorbei am Schleierwa­sserfall, der eine 60 Meter hohe Felswand hinunterbr­aust. Die gilt als Mekka für Extremklet­terer. Wir aber saunieren erst mal, ziehen trockene Klamotten an und werfen einen letzten Blick hinüber zum „Koasa“. Der aber versteckt sich hinter grauen Regenwolke­n.

„Zu jeder Tageszeit fällt das Licht anders auf die steilen Wände und Felstürme. Kaum hat man eine Stunde mal nicht hingesehen, ist er schon wieder neu geschminkt.“

Bedienung im Hotel Kaiserrlod­ge

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FOTO: SIMON DANNHAUER / GETTY Schwindele­rregend: Die Ellmauer Halt ist nur etwas für trittsiche­re, schwindelf­reie Bergwander­er und Kletterer.
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FOTO: DIETERMEYR­L / GETTY 65 Kilometer und 5000 Höhenmeter in fünf Tagen – aber Innehalten muss ja auch erlaubt sein.

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