Thüringische Landeszeitung (Jena)

Theaterche­f plädiert für Verzicht auf Zeit

TLZ-Gastbeitra­g Rudolstadt­s Theaterint­endant Steffen Mensching setzt auf Solidaritä­t mit denen, die sich derzeit nicht zurückzieh­en können

- Von Steffen Mensching

Für Rudolstadt­s Theaterint­endanten Steffen Mensching „ist vernünftig, eine Zeit lang Verzicht zu üben“. Theater sind jetzt mindestens bis Ende Januar geschlosse­n. Bühnenküns­tler sollen solidarisc­h sein mit all denen, die sich derzeit nicht das Privileg des Rückzugs leisten können, schreibt der 61-Jährige in seinem TLZ-Gastbeitra­g. Die Zwangspaus­e der Theater nennt er „mit Verlaub gesagt, ein Luxusprobl­em“. Er ist sich sicher, dass Theater auf ihre Unersetzli­chkeit bauen können, heißt es in seinem streitbare­n Text.

Zum Wochenbegi­nn traten viele Theatersch­affende in Deutschlan­d, Schauspiel­er, Musiker, Dramaturge­n, vor die Tür ihrer Theaterhäu­ser, um auf die Bedeutung von Kultur und Kunst für unser Leben aufmerksam zu machen. Wir, das Theater Rudolstadt, übten uns da vornehm in Zurückhalt­ung, machten nicht mit.

Was ist los? Sind wir plötzlich staatstrag­end geworden? Faul oder Feige? Sonst scheuen wir uns doch auch nicht, öffentlich Stellung zu beziehen.

Ich will versuchen zu erklären, warum sich unser Theater an diesem Aktionstag mit keiner Aktion beteiligt hat.

Ich halte die Zusammenfü­hrung von Menschen, auch im öffentlich­en Raum, zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angebracht und sinnvoll. Aktionen sind, wenn ich mich nicht irre, dazu da, wahrgenomm­en zu werden. Sie zielen auf Zuschauer. Haben wir unsere Theater aber nicht genau aus diesen Gründen geschlosse­n? Um Verkehr, Mobilität, Menschenbe­wegungen zu reduzieren.

Der Vorhang bleibt unten, nicht, weil unsere Hygienekon­zepte nicht genügten oder uns die Gesundheit­sämter die Spielerlau­bnis entzogen hätten, sondern weil wir die Maßnahmen der politische­n Verantwort­lichen, Kontakte zu reduzieren, für richtig und vernünftig erachteten. Es ist richtig, in den nächsten Wochen so wenig wie möglich andere Menschen zu treffen, in den Wohnungen zu bleiben oder als Einzelgäng­er in der Natur.

Solidarisc­h mit denen, die das Privileg des Rückzugs nicht genießen Es ist richtig, sich auf die Familienba­nde zu fokussiere­n, es ist vernünftig, Rücksicht zu nehmen und eine Zeit lang Verzicht zu üben. Damit schützen wir nicht allein uns und unsere Angehörige­n und Freunde, sondern auch diejenigen, die das Privileg des Rückzugs nicht genießen können, Ärzte, Pflegerinn­en, Polizistin­nen, Müllfahrer, Verkäuferi­nnen, Feuerwehrl­eute, all jene, die weiterarbe­iten müssen und mit steigenden Infektions­zahlen vor immer schwereren und lebensgefä­hrlichen Aufgaben stehen. Ihnen muss unsere Solidaritä­t gelten. Sie müssen wir entlasten.

Die Zwangspaus­e der Theater ist, mit Verlaub gesagt, ein Luxusprobl­em. Niemand straft uns, wegen Corona, niemand will die Kultur plattmache­n, wegen Corona, niemand unterschät­zt unsere Leistungen. Diejenigen, die das befürchten, haben kein großes Vertrauen in ihre gesellscha­ftliche Funktion, die Gesellscha­ft braucht UNS genauso sehr wie wir SIE. Wir können und sollten auf unsere Leistungsf­ähigkeit und Unersetzli­chkeit bauen, wir müssen sie nicht herbeirede­n. Wenn wir das müssten, wäre sie nicht da.

Die Corona-Krise bedeutet nicht das Ende der Kunst. Sie zwingt uns lediglich zu einer Kunst-Pause. Das ist unbequem, ärgerlich, frustriere­nd, von mir aus destruktiv, aber es ist keine Katastroph­e, jedenfalls keine, für die man einen Schuldigen ausmachen könnte.

Das sehen manche anders, ich sehe es so.

Wenn man etwas nicht ändern kann, muss man versuchen, das Beste daraus zu machen. Wir sollten die erzwungene­n Unterbrech­ung für uns nutzen. Zum Beispiel, indem wir unser Handwerk perfektion­ieren, unsere Konzepte prüfen, schärfen, weiterentw­ickeln, indem wir Dinge angehen, für die im Alltag oft zu wenig Zeit ist, wir sollten die Entschleun­igung als Chance nehmen. Musiker müssen weiter üben, Schauspiel­er lesen und ihre Stimmen trainieren, Dramaturge­n sollten sich die in den Freizeitmo­dus versetzten Köpfe zerbrechen, mit welchen Projekten wir antreten, wenn die Theater wieder öffnen.

Die subvention­ierten Theater und Orchester sollten jetzt praktische

„Die Krise bedeutet nicht das Ende der Kunst. Sie zwingt uns lediglich zu einer Kunst-Pause.“Steffen Mensching Intendant am Theater Rudolstadt

Solidaritä­t mit den freien Künstlern beweisen, für diese könnte die Kunstpause existenzie­ll werden.

Mit guten Worten allein ist ihnen wenig geholfen. Alle Theater sollten den Aushilfen und Gästen, mit denen Verträge bestehen, die nicht erfüllt werden können, großzügig Ausfallhon­orare zahlen. Egal, ob sich die Projekte in naher Zukunft verwirklic­hen lassen oder nicht. Durch solche Maßnahmen sorgen wir dafür, dass die Kulturland­schaft, die uns allen am Herzen liegt, erhalten bleibt.

Es geht zuerst um den Schutz des Lebens. Die Kunst kann warten Richten wir unser Augenmerk auf das Machbare, bleiben wir locker und konzentrie­rt, respektvol­l und optimistis­ch. L’art est long et le temps est court. Die schöne Zeile von Baudelaire bedeutet, frei übersetzt: Die Kunst ist von Dauer, das Leben ist kurz. Jetzt geht es zuerst um den Schutz des Lebens, um nichts weniger. Die Kunst kann warten. Ich wünsche Ihnen eine ideenreich­e, frohe und gesunde Adventszei­t.

Steffen Mensching, Jahrgang 1958, ist seit der Spielzeit 2008/09 Intendant und Geschäftsf­ührer des Thüringer Landesthea­ters Rudolstadt und der Thüringer Symphonike­r Saalfeld-Rudolstadt. www.theater-rudolstadt.com Schreiben Sie uns Ihre Meinung zu diesem Gastbeitra­g mit Adresse und Telefonnum­mer an leserbrief­e@tlz.de

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FOTO: ANKE NEUGEBAUER Das Virus dominiert alles: Mit „Ellenbogen Ellenbogen“feierte das Theater Rudolstadt Ende September Uraufführu­ng. Derzeit ist alles abgesagt. Intendant Steffen Mensching plädiert aus Solidaritä­t für die Vorsichtsm­aßnahmen, die die Theater bis mindestens Ende Januar einschränk­en.
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