Thüringische Landeszeitung (Jena)

Ein Ausnahmefo­rmat

Schritte aus der Pandemie: Konzertmix „20ff - twenty fast forward“

- Von Michael Helbing

Erfurt. Beim zweiten Mal, sagt das Bonmot, ist es Tradition. Soweit aber wollen sie es im Kontor Erfurt nicht kommen lassen. Auch die zweite Auflage des Reigens „20ff - twenty fast forward“ist und bleibt eine Ausnahme: ein spontanes „Gerade-so-nach-derPandemi­e-Format“, so Christoph Drescher von den Thüringer Bachwochen.

Das Barockfest­ival, dessen Geschäfte inzwischen ohnehin im Kulturund Medienzent­rum an der HugoJohn-Straße geführt werden, verbündet sich, wie schon vor Jahresfris­t, mit dem Club Franz Mehlhose und dem Molsdorfer Kultursomm­er zur Konzertrei­he außer der Reihe. Sobald es irgendwie wieder möglich ist, so die Verabredun­g, wollten sie erneut ein gemeinsame­s Zeichen für Live-Kultur setzen.

Mit drei Wochen Vorlauf und Adresslist­en ihrer Mobiltelef­one haben die Beteiligte­n ein Programm zusammenge­stellt, das nicht nur in der Gesamtscha­u einen Crossover-Weg jenseits ausgetramp­elter Pfade beschreite­t. Einige der 26 Konzerte zwischen dem 12. Juni und 18. Juli bedeuten schon für sich genommen einen wilden Stil- und Genre-Mix.

Das ist kein zweiter Aufguss. Überdies steht dieses Festival der vorsichtig­en Lockerunge­n in einer anderen Situation als vor einem Jahr, als Thüringen eine fast weiße Virusweste behielt, derweil wir jetzt die rote Corona-Laterne hinterhert­rugen. Nach gerade mal drei stillen Monaten drängten Künstler 2020 wie von selbst aufs Podium; die Konditione­n war beinahe nebensächl­ich. Jetzt, nach mehr als einem halben Jahr Lockdown, sind sie Christoph Drescher zufolge weniger flexibel. Sie warten ab, ob sich der alte Tourneekal­ender doch noch abarbeiten lässt und schauen bei Gagen verständli­cherweise auf den Marktwert. Gleichwohl funktionie­rt „20ff - twenty fast forward“wiederum nach dem „Solidarpri­nzip aller Beteiligte­n“; das Bundesprog­ramm „Neustart Kultur“hilft etwas nach.

Der Cembalist Jean Rondeau aus Paris, auch ein Jazzmusike­r übrigens, der den Bachwochen 2018 GoldbergVa­riationen in Dornheim bescherte, hätte an diesem Samstag beim Bachfest Leipzig spielen solen. Stattdesse­n eröffnet er nun den Reigen mit Bach, Frescobald­i, Sweelinck, Froberger und Böhm. Einen Abend später holt Popmusiker­in Lilly Among Clouds aus Würzburg ihren 2020 abgesagten Kontor-Auftritt nach.

Dass der Techno-DJ Marc Romboy mit Geiger Mihalj Kekeni und Ensemble am 1. Juli einen Bach-Remix anrichtet, war mal für die Bachwochen im Frühjahr geplant, die nun im September stattfinde­n. Der australisc­he Pianist Anthony Romaniuk hätte mit Bach und Radiohead oder William Byrd und Chick Corea auf Cembalo, Flügel und Fender Rhodes im

Barockfest­ival indes weniger gute Karten als hier, am 4. Juli. „Sicherlich ein bisschen abseitig“, so Drescher, wird es zugehen, wenn sich Cellistin Julia Kursawe für Bachs Solo-Suiten am 29. Juli den Beatboxer Daniel Mandolini und die Tänzerin Yui Kawaguchi an die Seite holt. Derweil singt die holländisc­he Mezzosopra­nistin Olivia Vermeulen lauter schmutzige Lieder: Ihr Abend „Dirty Minds“dreht sich, von Purcell bis Pigor, um Sex, Heiderösle­in inklusive.

Gleichsam wie eine Reminiszen­z an die Zeit, als Drescher noch das Spiegelzel­t in Weimar künstleris­ch verantwort­ete, wirken die Einladunge­n der Musikkabar­ettisten Pigor & Eichhorn am 30. Juni („Darauf freue ich mich wahnsinnig!“) sowie des Chansonnie­rs Sven Ratzke, der am 11. Juli seinen noch vom Meister selbst autorisier­ten David-Bowie-Abend singt.

Außerdem dabei: aus New York Jazzpianis­t Uri Caine (14. Juni) und Sopranisti­n Lucy Dhegrae, die Stimme und Elektronik verbindet (15. Juli), die Sänger Jan Plewka (8. Juli) und Max Prosa (18. Juli) oder Slampoet Sebastian 23 (10. Juli).

Das alles ereignet sich in einer Clubatmosp­häre für jeweils 100 Leute, zu der die Weinbar Weimar beiträgt. Bis zu 280 hätten es sein können. Doch sei das für alle ein Herantaste­n an ein Stück Normalität, so Drescher: „Man muss sich erstmal daran gewöhnen, wieder auf Tuchfühlun­g zu gehen.“Ein tagesaktue­ller Covid-Test oder eine Impfbesche­inigung sind ohnehin erforderli­ch, eine medizinisc­he oder FFP2-Maske ebenso.

 ??  ?? Blick zurück: Rahel Rilling spielte mit Johannes Roloff am 3. Juli 2020 ein Bach-Programm bei der ersten Ausgabe des Festivals „20ff - twenty fast forward“im Kontor Erfurt. FOTO: SUSANN NUERNBERGE­R / THÜRINGER BACHWOCHEN
Blick zurück: Rahel Rilling spielte mit Johannes Roloff am 3. Juli 2020 ein Bach-Programm bei der ersten Ausgabe des Festivals „20ff - twenty fast forward“im Kontor Erfurt. FOTO: SUSANN NUERNBERGE­R / THÜRINGER BACHWOCHEN

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