Thüringische Landeszeitung (Jena)
Ein Ausnahmeformat
Schritte aus der Pandemie: Konzertmix „20ff - twenty fast forward“
Erfurt. Beim zweiten Mal, sagt das Bonmot, ist es Tradition. Soweit aber wollen sie es im Kontor Erfurt nicht kommen lassen. Auch die zweite Auflage des Reigens „20ff - twenty fast forward“ist und bleibt eine Ausnahme: ein spontanes „Gerade-so-nach-derPandemie-Format“, so Christoph Drescher von den Thüringer Bachwochen.
Das Barockfestival, dessen Geschäfte inzwischen ohnehin im Kulturund Medienzentrum an der HugoJohn-Straße geführt werden, verbündet sich, wie schon vor Jahresfrist, mit dem Club Franz Mehlhose und dem Molsdorfer Kultursommer zur Konzertreihe außer der Reihe. Sobald es irgendwie wieder möglich ist, so die Verabredung, wollten sie erneut ein gemeinsames Zeichen für Live-Kultur setzen.
Mit drei Wochen Vorlauf und Adresslisten ihrer Mobiltelefone haben die Beteiligten ein Programm zusammengestellt, das nicht nur in der Gesamtschau einen Crossover-Weg jenseits ausgetrampelter Pfade beschreitet. Einige der 26 Konzerte zwischen dem 12. Juni und 18. Juli bedeuten schon für sich genommen einen wilden Stil- und Genre-Mix.
Das ist kein zweiter Aufguss. Überdies steht dieses Festival der vorsichtigen Lockerungen in einer anderen Situation als vor einem Jahr, als Thüringen eine fast weiße Virusweste behielt, derweil wir jetzt die rote Corona-Laterne hinterhertrugen. Nach gerade mal drei stillen Monaten drängten Künstler 2020 wie von selbst aufs Podium; die Konditionen war beinahe nebensächlich. Jetzt, nach mehr als einem halben Jahr Lockdown, sind sie Christoph Drescher zufolge weniger flexibel. Sie warten ab, ob sich der alte Tourneekalender doch noch abarbeiten lässt und schauen bei Gagen verständlicherweise auf den Marktwert. Gleichwohl funktioniert „20ff - twenty fast forward“wiederum nach dem „Solidarprinzip aller Beteiligten“; das Bundesprogramm „Neustart Kultur“hilft etwas nach.
Der Cembalist Jean Rondeau aus Paris, auch ein Jazzmusiker übrigens, der den Bachwochen 2018 GoldbergVariationen in Dornheim bescherte, hätte an diesem Samstag beim Bachfest Leipzig spielen solen. Stattdessen eröffnet er nun den Reigen mit Bach, Frescobaldi, Sweelinck, Froberger und Böhm. Einen Abend später holt Popmusikerin Lilly Among Clouds aus Würzburg ihren 2020 abgesagten Kontor-Auftritt nach.
Dass der Techno-DJ Marc Romboy mit Geiger Mihalj Kekeni und Ensemble am 1. Juli einen Bach-Remix anrichtet, war mal für die Bachwochen im Frühjahr geplant, die nun im September stattfinden. Der australische Pianist Anthony Romaniuk hätte mit Bach und Radiohead oder William Byrd und Chick Corea auf Cembalo, Flügel und Fender Rhodes im
Barockfestival indes weniger gute Karten als hier, am 4. Juli. „Sicherlich ein bisschen abseitig“, so Drescher, wird es zugehen, wenn sich Cellistin Julia Kursawe für Bachs Solo-Suiten am 29. Juli den Beatboxer Daniel Mandolini und die Tänzerin Yui Kawaguchi an die Seite holt. Derweil singt die holländische Mezzosopranistin Olivia Vermeulen lauter schmutzige Lieder: Ihr Abend „Dirty Minds“dreht sich, von Purcell bis Pigor, um Sex, Heideröslein inklusive.
Gleichsam wie eine Reminiszenz an die Zeit, als Drescher noch das Spiegelzelt in Weimar künstlerisch verantwortete, wirken die Einladungen der Musikkabarettisten Pigor & Eichhorn am 30. Juni („Darauf freue ich mich wahnsinnig!“) sowie des Chansonniers Sven Ratzke, der am 11. Juli seinen noch vom Meister selbst autorisierten David-Bowie-Abend singt.
Außerdem dabei: aus New York Jazzpianist Uri Caine (14. Juni) und Sopranistin Lucy Dhegrae, die Stimme und Elektronik verbindet (15. Juli), die Sänger Jan Plewka (8. Juli) und Max Prosa (18. Juli) oder Slampoet Sebastian 23 (10. Juli).
Das alles ereignet sich in einer Clubatmosphäre für jeweils 100 Leute, zu der die Weinbar Weimar beiträgt. Bis zu 280 hätten es sein können. Doch sei das für alle ein Herantasten an ein Stück Normalität, so Drescher: „Man muss sich erstmal daran gewöhnen, wieder auf Tuchfühlung zu gehen.“Ein tagesaktueller Covid-Test oder eine Impfbescheinigung sind ohnehin erforderlich, eine medizinische oder FFP2-Maske ebenso.