Thüringische Landeszeitung (Jena)
Großes Echo auf Sonderimpfaktion
Am Wochenende wird in 21 Impfstellen Astrazeneca verabreicht
Weimar. Die Sonderimpfaktion der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KV) am kommenden Wochenende ist auf große Resonanz gestoßen: Wie ein KV-Sprecher auf Anfrage sagte, seien wegen der hohen Nachfrage an einigen der 21 Impfstellen, die für die Aktion ausgewählt wurden, noch einmal zusätzliche Termine geschaltet worden, buchbar unter www.impfenthueringen.de.
Mit der Aktion wolle die KV die bundesweit erfolgte Aufhebung der Priorisierung untermauern. „Hinzu kommt: „Die Zeit bis zur Zweitimpfung ist bei der Aktion kürzer“, sagt der Sprecher. Die zweite Dosis gebe es bereits am 24./25. Juli und damit am Wochenende vor den Thüringer Sommerferien. Geimpft werde mit dem Impfstoff von Astrazeneca, bei dem der Abstand zwischen den beiden Impfungen in den Impfstellen und -zentren normalerweise zwölf Wochen beträgt. Einzig den niedergelassenen Ärzten stand es bisher frei, den Zeitraum auf bis zu vier Wochen zu verkürzen.
Der Impfstoff stamme aus dem Bestand, der eingelagert wurde, nachdem im Frühjahr/Frühsommer ein Großteil der AstrazenecaErstgeimpften die zweite Impfung mit Biontech erhalten habe, informiert der KV-Sprecher. Ursprünglich seien das 6000 Impfdosen gewesen, wegen der Nachfrage sei diese Zahl auf 7000 erhöht worden. An diesem Wochenende finden in den Impfstellen in Apolda, Arnstadt, Bad Frankenhausen, Bad Salzungen, Blankenhain, Eisenberg, Erfurt, Gera, Greiz, Hildburghausen, Jena (Knebelstraße), Mühlhausen, Nordhausen, Pößneck, Rudolstadt, Schmalkalden, Sömmerda, Sonneberg, Suhl und Weimar ausschließlich Impfungen mit Astrazeneca statt. In den nächsten Wochen soll es regelmäßig neue Impftermine geben. Impfstofflieferungen des Bundes vorausgesetzt, hat die KV das Ziel, jede Woche, mindestens aber alle zwei Wochen neue Termine freizuschalten.
Erfurt. Im Flur des Bürgerhauses kann man diesen Satz lesen: „Wir leben schneller, und daher länger“. Das Zitat des Bauhaus-Architekten Hannes Meyer hat Kerstin K.* irgendwann an die Wand gepinnt. Wenn man „schneller“mit „intensiv“übersetzt, beschreibt er recht gut ihre eigene Lebensmaxime. Sie ist in einem Ort in Thüringens Mitte Stadträtin, Ortsteilbürgermeisterin, und wenn sie von ihren Ehrenämtern erzählt, verliert man schnell den Überblick.
Wir sind verabredet, aber es geht nicht um ihre Ehrenämter. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Es geht um ein Thema, das gerade viele Menschen beschäftigt: die CoronaImpfung, die damit verbundenen Hoffnungen und die Frage, wo jene bleiben, die sich nicht impfen lassen können. Eine Minderheit in der Gesellschaft, das ist ihr klar. Aber dennoch ein Teil. Und sie fragt sich, ob Gesellschaft und Politik diesen Teil vergessen haben. Deshalb schrieb sie einen Brief an die Redaktion.
Im Versammlungsraum lehnt ein Gerät, mit dem Menschen die Treppen ins Haus überwinden können, denen das Gehen schwerfällt oder die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Das Gerät hat sie über städtische Amtshilfe organisiert. Sie hat hier die Seniorentreffen ins Leben gerufen, eine Selbsthilfegruppe für Erkrankte, die Nachbarschaftshilfe. Sie stellt im Ort Feste und Veranstaltungen auf die Beine, damit sich die Menschen begegnen können, und sie weiß, wie man für all das Sponsoren findet. Sie ist gut vernetzt und eine gute Adresse, wenn jemand mit einem Problem nicht weiter kommt … Sie ist einer jener Menschen, die in einem Ort viele Fäden zusammenhalten.
Schon als Kind nach einer Impfung mit Blaulicht ins Krankenhaus
Ihren Namen will sie trotzdem nicht in der Zeitung lesen. Will nicht, dass es über sie hinter vorgehaltener Hand heißt: Sie lässt sich nicht gegen Corona impfen und macht das auch noch öffentlich. Sie fühlt sich auch so schon in ständiger Erklärungsnot. Nicht, dass sie Impfgegnerin sei. Im Gegenteil. Sie war heilfroh, als sie bei ihrer Hausärztin einen Impftermin bekam. Vorsichtshalber suchte sie vorher alle ihre medizinischen Befunde aus frühen Jahren zusammen; das waren nicht wenige. Als Kind, erzählt sie, wurde sie nach einer Impfung mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Nicht nur das. Ohne ins Detail zu gehen: Das Schicksal hat sie nicht gerade mit einer stabilen Gesundheit ausgestattet. Ihre Ärztin blätterte in den Unterlagen und riet: besser nicht.
Für sie, erzählt Kerstin K., brach damit die Hoffnung zusammen, die sie mit dieser Impfung verband. Das Ende der Angst vor einer Infektion. Und die Unsicherheit wächst, welche Konsequenzen das für ihre Zukunft haben wird. Für ihre vielen Aufgaben, die sie übernommen hat, freiwillig, weil sie ein Teil ihres Lebens sind. Weil sie es nicht anders will. Oder kann. Was ist mit der nächsten Stadtrats- oder Ausschusssitzung, mit der nächsten Beratung der Ortsteilbürgermeister? Im Juli sollen die Seniorentreffen wieder anlaufen, da können bis zu 40 Menschen im Raum sein. Soll ich die Treffen beschränken, nur weil ich dann womöglich die Einzige bin, die keinen Schutz hat? Was sollen, fragt sie, Menschen wie ich tun, die sich nicht impfen lassen können? Sie klingt nicht verbittert, mehr ratlos. Außer einem allergischen
Schock gebe es keine harte Kontraindikation einer Corona-Impfung, sagt der Jenaer Infektiologe Mathias Pletz dazu. Sein Rat: Die Begleiterkrankungen mit dem Hausarzt Punkt für Punkt noch einmal durchgehen und überlegen, ob ein Impfverzicht wirklich begründet ist. Denn klar sei: „Das Virus wird nicht komplett verschwinden.“
Furcht vor Stigmatisierung
Schon weil man die sehr kleinen Kinder nicht impfen werde, bestehe keine Chance, dem Virus in den nächsten zwei bis fünf Jahren auszuweichen. Es werde weitere Varianten geben, von denen man nicht wisse, ob sie zu einem schweren Krankheitsverlauf führen. Also müsse man sich in Fällen wie dem von Kerstin K. die Frage stellen, ob eine Impfung gefahrloser ist als eine Infektion. „Denn letztlich entscheidet man sich nicht für oder gegen eine Impfung, sondern für eine Impfung oder für eine Infektion.“
So weit der medizinische Blick. Kerstin K. hat noch einen anderen. Je weiter die Impfungen fortschreiten, desto mehr wird der Status des Impfschutzes zum erwarteten Standard. Das öffentliche Leben nimmt endlich wieder Fahrt auf, Beschränkungen fallen, aber Menschen wie sie bleiben unverschuldet außen vor. Sie müssen sich weiterhin testen lassen vor jedem Schritt in die Öffentlichkeit. Sie empfindet das zunehmend als Ausgrenzung, und ja, auch die Furcht vor Stigmatisierung schleicht sich langsam ein.
Ist es so? Müssen wir darüber nachdenken, wie wir künftig eine Diskriminierung von Ungeimpften vermeiden? Es sei keine Frage von Diskriminierung, sagt der Jenaer Medizinethiker Nikolaus Knoepffler. Auch keine Ungerechtigkeit der Gesellschaft oder der Politik, sondern eine Ungerechtigkeit des Lebens. Er spricht von einer Abwägung von Risiken, die Menschen wie Kerstin K. persönlich treffen müssen. Die Gesellschaft könne Wege suchen, wie sie Betroffenen dennoch Teilhabe ermöglicht, so wie sie es mit Menschen tut, die mit einer Behinderung leben. „Aber es bleibt ein persönliches Drama, dass nicht vollständig auflösbar ist.“
Kerstin K. ist klar, dass sie vor schwierigen Entscheidungen steht. Sie weiß aber auch, dass sie eines nicht will: langsamer leben. * Der Name ist der Redaktion bekannt.