Thüringische Landeszeitung (Jena)
Innovationen kamen zuletzt vor allem aus Amerika und Asien. Doch der Standort Deutschland nimmt Fahrt auf
Berlin. Deutschland und die Digitalisierung – diese Kombination steht meist für Spott, für immer neue Studien, in denen die Bundesrepublik weiter und weiter zurückfällt. Faxende Gesundheitsämter verstärken in der Pandemie den Eindruck.
Auch der deutschen Wirtschaft wurde lange vorgeworfen, den Wandel zu verschlafen, digital abgehängt zu sein. Doch aktuell drängt sich ein anderer Eindruck auf. Gerade erst kündigte der iPhone-Gigant Apple an, mehr als eine Milliarde Euro in den Standort Deutschland zu investieren und den Großraum München zum größten unternehmenseigenen Entwicklungszentrum in Europa zu machen. Zu Wochenbeginn eröffnete dann der Automobilzulieferer und Technikkonzern Bosch in Dresden Europas modernste Halbleiterfabrik. Ein „Paradebeispiel für eine Fabrik der Zukunft“nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das voll vernetzte Werk. „Wir können Hightech, wir können Innovation – und damit können wir positiv in die Zukunft blicken“, sagte Merkel.
Folgen den Worten Taten? Zumindest scheint der Technologiehunger der deutschen Konzerne geweckt. Am Donnerstag schlossen sich mit BASF, BMW, Boehringer Ingelheim, Bosch, Infineon, Merck, Munich Re, SAP, Siemens und Volkswagen zehn Großkonzerne zu einem Konsortium zusammen. Ihr Ziel: Quantencomputing in der Industrie zur Marktreife zu bringen. Das lässt aufhorchen. Denn bisher sind es vor allem die US-Tech-Konzerne IBM und Google, die die Forschung an den Superrechnern der Zukunft vorantreiben.
In Sachsen spricht man schon vom „Silicon Saxony“
Der Bund lässt sich die Förderung von Quantencomputing-Forschung zwei Milliarden Euro kosten. Laut Achim Berg, Chef des Digitalbranchenverbandes Bitkom, spielt Deutschland dafür ganz vorn mit. „Der Aufstieg dieser Schlüsseltechnologien bietet die Chance, den Trend der letzten Jahre umzukehren und Deutschland im europäischen Schulterschluss an die Spitze zu stellen“, sagte Berg unserer Redaktion. Und auch die Industrie selbst strotzt vor Selbstbewusstsein. „Der Technologiestandort Deutschland gehört zu den innovativsten weltweit, wie die rasche Entwicklung von Corona-Impfstoffen gezeigt hat“, sagte Siegfried Russwurm,
In Dresden hat Bosch Europas modernste Halbleiterfabrik eröffnet.
Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), unserer Redaktion.
Überall im Land entstehen derzeit hochmoderne Fabriken für Zukunftstechnologien. Der US-Elektroautobauer Tesla baut vor den Toren
Berlins in Rekordgeschwindigkeit seine Gigafactory, die er mit einer Batteriezellfabrik erweitern will. Aufgeschreckt vom Erfolg der Elon-Musk-Firma ziehen die deutschen Autobauer nach. Allein Volkswagen will sechs Gigafactories
in Europa bauen, unter anderem in Salzgitter. Opel treibt sein Batteriewerk in Kaiserslautern voran, der Chemieriese BASF zieht in der Lausitz eine Fabrik für die Fertigung von Batteriematerialien in die Höhe. In Dresden eröffnete Bosch seine Halbleiterfabrik sogar sechs Monate früher als geplant.
Es ist nicht die erste Chipfabrik in Sachsen. Die größte Halbleiterfabrik Europas mit mehr als 3000 Beschäftigten betreibt in Dresden der US-Konzern GlobalFoundries. Auch Deutschlands größter Chiphersteller Infineon ist zugegen. Beide kündigten zuletzt Milliardeninvestitionen in den Standort Dresden an. Schon heute wird jeder dritte europäische Chip in Sachsen produziert, die Informations- und Kommunikationstechnik bietet dort mehr als 70.000 Beschäftigten Arbeit. Als „Silicon Saxony“bezeichnet sich die Region, in Anspielung auf die US-Techschmiede Silicon Valley.
Auch deutsche Firmen machen zunehmend von einem Schatz Gebrauch, den sie lange nicht zu heben vermochten: Daten. Im neuen Bosch-Werk werden künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge in der Fabrik kombiniert. Pro Sekunde werden Datenmengen erhoben, die rund 500 Textseiten entsprechen. Die künstliche Intelligenz scannt die Daten, findet Fehler. Jeder Energiestrom, jedes Teilchen in der Fabrik kann von der selbstlernenden Technik verbessert werden. Ein Stück Zukunft.