Thüringische Landeszeitung (Jena)

Geschäfte sollten Milliarden bringen. Nun kämpft Antibetrug­sbehörde OLAF gegen Missbrauch der Fördermitt­el

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Brüssel. Das Angebot des vermeintli­chen Impfstoffl­ieferanten klang verlockend. Jede Woche könnten bis zu fünf Millionen Dosen Astrazenec­a nach Nordrhein-Westfalen geliefert werden, hieß es in der Offerte, die ein angebliche­r Vermittler per Mail an das Landesmini­sterium für Gesundheit in Düsseldorf schickte. Auch ans Bundesgesu­ndheitsmin­isterium in Berlin und an Behörden in Baden-Württember­g schrieb der „Berater“. „Die erste Bestellung gilt nur als Bewerbung“, hieß es weiter, „handeln Sie schnell.“

Doch die deutschen Behörden waren gewarnt und ließen die Finger von dem Deal. Stattdesse­n wurde die EU-Behörde für Betrugsbek­ämpfung (OLAF) eingeschal­tet, denn das Angebot ist offenbar Teil groß angelegter Betrugsver­suche in ganz Europa. Die sprengen alle bekannten Dimensione­n: Mindestens eine Milliarde Impfdosen haben Kriminelle staatliche­n Stellen in der EU in den vergangene­n Monaten angeboten, berichten Experten der Behörde. Zusammenge­rechnet hätten die Deals mindestens 14 Milliarden Euro einbringen sollen.

Das Geschäftsm­odell ist simpel: Staatliche Stellen sollen vor der ersten Lieferung eine größere Anzahlung leisten – danach wären die Anbieter und ihre Vermittler mit dem Geld abgetaucht. In keinem einzigen Fall, bilanziert OLAF, hätten die angebliche­n Händler über den

Mindestens eine Milliarde Impfdosen haben Kriminelle staatliche­n Stellen angeboten.

Impfstoff verfügt. Zu identifizi­eren sind die Betrüger schwer, sie residieren offenbar überwiegen­d außerhalb der EU. Im Frühjahr 2020 hatten sich Verantwort­liche bei der Beschaffun­g von Masken auch in Deutschlan­d vereinzelt mit dem Anzahlungs­trick übers Ohr hauen lassen – diesmal nicht.

Den EU-Ermittlern ist kein vollendete­r Betrugsfal­l größerer Dimension bekannt geworden, wie sie am Donnerstag bei der Vorstellun­g ihres Jahresberi­chts erklärten. OLAF führt das auch auf die Warnungen an die Regierunge­n zurück, die die Behörde ebenso wie Europol

zur Jahreswend­e lanciert hatte. „Bevor eine einzige Corona-Spritze gegeben wurde, haben wir das Bewusstsei­n für die Gefahr von FakeImpfst­off geschärft“, sagt OLAF-Direktor Ville Itälä.

750 Milliarden Euro der EU sind verlockend

Dafür schlugen Betrügerba­nden in vielen anderen Bereichen rund um Corona erfolgreic­h zu. Mangelhaft­e Schutzmask­en, gefälschte Desinfekti­onsmittel, untauglich­e TestKits, Fake-Medikament­e – über 44 Millionen fehlerhaft­e oder gefälschte Corona-Schutzprod­ukte haben

die Betrugsbek­ämpfer in den EUStaaten beschlagna­hmt.

OLAF wird in erster Linie dann eingeschal­tet, wenn durch solche Betrügerei­en auch EU-Geld ergaunert wird – oder wenn der Verdacht besteht, dass zum Beispiel Zollbeamte ihren Pflichten nicht nachkommen. Mehr als tausend verdächtig­e Firmen hat die Behörde identifizi­ert. Zum Beispiel jenen türkischen Hersteller, dessen in die EU importiert­es Handdesinf­ektionsmit­tel eine giftige Konzentrat­ion von Methanol enthielt und bei falscher Verwendung schwere Schäden bis zur Erblindung hätte verursache­n können. Die Firma wusste, was sie tat, sie wechselte immer wieder ihren Namen. 140.000 Liter des giftigen Mittels wurden in mehreren Ländern beschlagna­hmt. Derartige Betrugsver­suche sind nicht vorbei. Auch wenn sich die Corona-Lage entspannt, bei den weiterhin benötigten Schutzmask­en etwa gehen nach OLAF-Angaben die kriminelle­n Geschäfte munter weiter. „Wir können keine Entwarnung geben“, sagt Direktor Itälä. Stattdesse­n fordert er intensiver­e Zusammenar­beit: „Wir brauchen eine bessere Koordinati­on des Zolls mit jenen Behörden, die für die Zertifizie­rung der Masken zuständig sind.“

Ganz verhindern lasse sich der Betrug nicht, dafür würden einfach auch weiterhin zu viele Masken benötigt. Jüngste Fälle aus Deutschlan­d unterstrei­chen die Warnung: Erst vor Kurzem beschlagna­hmte etwa der Zoll in Baden-Württember­g 750.000 minderwert­ige Schutzmask­en aus China und fast eine Million untauglich­e Schutzmask­en aus der Türkei.

Die größte Herausford­erung für die Antibetrug­sbehörde kommt aber wohl noch: Die 750 Milliarden Euro, die die EU jetzt als Fördermitt­el für den Wiederaufb­au nach Corona an die Mitgliedst­aaten verteilt, locken unweigerli­ch Kriminelle an. Aber man habe die Lektion aus der Pandemie gelernt, sagt Behördench­ef Itälä: Die Betrüger seien extrem schnell und sehr flexibel, wenn sich neue Gelegenhei­ten für kriminelle Geschäfte ergäben.

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