Thüringische Landeszeitung (Jena)
Nach Kassel-Demo kein Disziplinarverfahren gegen Polizisten
Thüringer Innenministerium sieht „keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte“. Staatsanwaltschaft ermittelt
Erfurt/Kassel. Der Einsatz von Thüringer Polizeibeamten bei einer „Querdenker“-Demonstration in Kassel ist bisher nahezu folgenlos geblieben. Zwar ermittelt die Staatsanwaltschaft Kassel weiter gegen einen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. Auf die Einleitung eines Disziplinarverfahrens in diesem Fall hat der zuständige Polizeipräsident der Landespolizeidirektion, Frank-Michael Schwarz, aber verzichtet.
Ende März sorgte ein Einsatz von Thüringer Beamten für Aufsehen, nachdem im Internet Videos aufgetaucht waren. Eines dieser Dokumente zeigt, wie ein Bereitschaftspolizist einer Frau auf den Kopf schlägt und diese nach vorn in Richtung ihres Fahrradlenkers überkippt. Die Thüringer Polizisten sollten in diesem Moment offenbar eine Straßenblockade auflösen, die etwa 15 Fahrradfahrer gegen mehrere Tausend „Querdenker“aufstellen wollten. Unmittelbar nach dem Einsatz hatte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) bestätigt, dass drei Beamte innerhalb der Bereitschaftspolizei bis zur Klärung von gegen sie erhobenen Vorwürfen eine andere Aufgabe erhalten.
Mittlerweile wird nur noch der Beamte, der die Frau auf den Hinterkopf geschlagen hat, innerhalb der Bereitschaftspolizei anderweitig verwendet. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Kassel nach wie vor. Seit 24. März sei der Bereitschaftspolizei Thüringen bekannt, dass gegen den Beamten ermittelt werde, teilte ein Sprecher der Kasseler Anklagebehörde auf Anfrage mit. An diesem Tag sei die Identität des Beamten über eine Abfrage ermittelt worden.
Dass bisher kein Disziplinarverfahren eingeleitet ist, begründet das Innenministerium so: Es würden „noch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte gesehen, die die Einleitung eines Disziplinarverfahrens derzeit rechtfertigen“. Grundsätzlich müsse ein Disziplinarverfahren geprüft werden, wenn gegen den Beamten „eine öffentliche Klage“– sprich Anklage bei Gericht – erhoben wird. Aber auch dann, „wenn die Umstände des Einzelfalls“es notwendig machten, soll ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Die Ansicht, dass die Nichteinleitung des Disziplinarverfahrens einem Dienstverstoß des zuständigen Präsidenten gleichkommen könnte, teilt das Innenministerium auf Nachfrage ausdrücklich nicht.
Im Thüringer Disziplinargesetz (ThürDG) heißt es mit Blick auf die Einleitung von Disziplinarverfahren allerdings: „Werden konkrete Anhaltspunkte bekannt, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der Dienstvorgesetzte ein Disziplinarverfahren einzuleiten; …“Falls auf die Einleitung des Disziplinarverfahrens verzichtet wird, verlangt das Disziplinargesetz eine Begründung dafür. (Zitat: „Die Entscheidung über das Absehen von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens […] ist aktenkundig zu machen […])
Die Frage, ob und wie die Nichteinleitung des Verfahrens begründet wurde, beantwortete das Ministerium nicht.