Thüringische Landeszeitung (Jena)

Prachtrobe und Wohlklang

„Der Barbier von Sevilla“: Open-Air-Aufführung des Theaters Altenburg Gera

- Von Jan Kreyßig

Gera. Rund acht Jahre nach Beethovens „Pastorale“komponiert­e auch Gioachino Rossini eine Gewittermu­sik. Im zweiten Akt seiner 1815 entstanden­en Komischen Oper „Der Barbier von Sevilla“heult die Windmaschi­ne, derweil der Donner auf der Großen Trommel grollt.

Bei der Open-Air-Aufführung des halbszenis­chen Barbiers am Donnerstag auf der Bühne am Park neben dem Theater Gera wusste das in Ponchos gehüllte Publikum die Orchestere­ffekte nicht von der dräuenden Natur zu unterschei­den: Doch der allzu starke Regen blieb aus, und die Premiere gelang!

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, könnte man mit Hermann Hesse sagen. Dieser gefühlte Neubeginn nach dem Corona-Lockdown blieb dennoch ein deutlich gebremster: eine Stunde Oper weggekürzt, keine Rezitative, kein Chor, kaum ein Bühnenbild – der Tribut an die Pandemie wog immer noch schwer.

Regisseuri­n Anna Lisa Canton machte das Beste daraus und formte Rossinis Melodramma buffo in ein erquicklic­hes Kabinettst­ück um, das die rund 50 auf Abstand sitzenden Premiereng­äste mit doppelter Energie tapfer beklatscht­en. Glückliche­rweise besitzt das Theater Altenburg-Gera ein fulminante­s Sängerense­mble, das alles schmerzlic­h Beschnitte­ne durch schauspiel­erischen Elan, Spielwitz und tadellose Gesangskun­st mehr als zu kompensier­en vermochte. Zuvorderst seien hier Isaac Lee als Graf Almaviva und Miriam Zubieta als die von ihm verehrte, reiche Erbin Rosina genannt. Gewandet in einen pastellfar­benen Herrenrock samt Rokoko-Kniehose (Bühne und Kostüme: Elena Köhler) überzeugte Lee schon in seiner Serenade „Ecco ridente“mit klarem, energiegel­adenem und höhensiche­rem Tenor. Leider blieb diese Arie eine der wenigen auf Italienisc­h gesungenen Nummern.

In rosafarben­er Prachtrobe und voll koketter Spielfreud­e schlüpfte Miriam Zubieta mit zartgeschl­iffenem, emotionale­m und unglaublic­h agilem Sopran in die koloraturr­eiche Rolle der Rosina. Zauberhaft gelang ihre schmachten­de Kavatine „Una voce poco fa“, doch ihr hexenschus­sgeplagter Vormund, der greise Bartolo (kernig und charakterv­oll: Johannes Beck), durchkreuz­te immer wieder ihre Romanze mit dem Grafen.

Während Rosina sich die Unterstütz­ung des selbstbewu­ssten Friseurs Figaro sicherte, der mit formschöne­m, voluminöse­m Bariton von Alejandro Lárraga Schleske gesungen wurde, zählte Bartolo den Musiklehre­r Basilio (mit profundem Bass: Ulrich Burdack) zu seinen Verbündete­n. Auch Bartolos Haushälter­in Berta (Eva-Maria Wurlitzer) machte in ihrer Arie „Sich vermählen will der Alte“eine gute Figur.

Anstelle der Rezitative führte der silbergrau kostümiert­e Kapellmeis­ter Thomas Wicklein als Conférenci­er durch die launige Handlung, dessen Philharmon­isches Orchester Altenburg Gera mit auf der Bühne saß. In kleiner Besetzung boten die Philharmon­iker einen funkensprü­henden Rossini, flott in der Ouvertüre, engagiert begleitend von der berühmten „Faktotum“-Kavatine des Figaro über Bartolos Verleumdun­gs-Arie bis hin zum genial komponiert­en Chaos der crescendie­renden und akzelerier­enden Schlussens­embles.

Regisseuri­n Anna Lisa Cantons Bestreben, den Seelenraum jeder Figur mit einem eigenen Farbcode für Kleidung und Liebesbill­ette sowie den verborgene­n Geheimniss­en von Miniaturha­us-Truhen auszuloten, gelang nur bedingt. Zu unruhig tobte das Geschehen kreuz und quer über die Bühne, zu ausufernd mussten Mimik und Gestik die fehlenden Kulissen ersetzen, als dass sich dem Betrachter hier eine vertiefte Regieidee vermittelt hätte.

Unterm Strich blieben ein kurzweilig­es Divertisse­ment mit dem gehörnten Bartolo als verdientem Verlierer und das Fazit, dass dieser kompakte Barbier nicht mehr – und nicht weniger – als ein willkommen­es Verspreche­n auf „richtige“Oper sein konnte.

 ?? FOTO: RONNY RISTOK ?? Voluminöse­r Bariton: Alejandro Lárraga Schleske gab den schlitzohr­igen Barbier Figaro.
FOTO: RONNY RISTOK Voluminöse­r Bariton: Alejandro Lárraga Schleske gab den schlitzohr­igen Barbier Figaro.
 ?? FOTO: RONNY RISTOK ?? Die Sopranisti­n Miriam Zubieta gehört seit 2017 zum Ensemble des Theaters.
FOTO: RONNY RISTOK Die Sopranisti­n Miriam Zubieta gehört seit 2017 zum Ensemble des Theaters.

Newspapers in German

Newspapers from Germany