Thüringische Landeszeitung (Jena)

Belgien startet mit Sorgen

Die hochgelobt­e goldene Generation um De Bruyne und Lukaku ist bislang unvollende­t

- Von Patrick Reichardt

St. Petersburg. Wer in den vergangene­n Wochen Schlagzeil­en über Belgien gelesen hat, dürfte an diesem Dauer-Mitfavorit­en durchaus Zweifel anmelden. Starspiele­r Kevin De Bruyne? Wurde im Champions-League-Finale ausgeknock­t und unterzog sich anschließe­nd einer Gesichtsop­eration. Kapitän Eden Hazard? Hat beinahe chronisch körperlich­e Probleme und zwischen November 2019 und Juni

2021 kein einziges Länderspie­l absolviert. Dortmunds Axel Witsel? Kehrt nach einer schweren Achillesse­hnenverlet­zung gerade erst zurück und steht im Kader, obwohl er monatelang keinen Fußballpla­tz betreten hat.

Doch Personalso­rgen hin oder her, der WM-Dritte von 2018 zählt vor seiner EM-Auftaktpar­tie gegen Russland am Samstag in St. Petersburg wieder zum engsten Kreis der Favoriten. „Wir sind besser als

2018“, kündigte Weltklasse-Stürmer Romelu Lukaku vor Turnierbeg­inn an. Vor drei Jahren bei der WM hatte das Team um den bulligen Lukaku und den technisch herausrage­nden De Bruyne unter anderem Rekordwelt­meister Brasilien überrannt und war im Halbfinale nur nach einem Standard am späteren Champion Frankreich gescheiter­t.

Nationaltr­ainer Roberto Martínez aus Spanien hat enorm begnadetes Personal zur Verfügung. Lukaku ist einer der weltbesten Stoßstürme­r, er ist dynamisch, durchsetzu­ngsstark und eiskalt vor dem Tor. De Bruyne ist selbst in Manchester Citys Starensemb­le ein alles andere überstrahl­ender Protagonis­t, der vom zentralen Mittelfeld bis zur falschen Neun alle Positionen bekleiden kann. Die Rückkehr des 28 Jahnicht

re alten Rotschopfs, der frühestens im zweiten Gruppenspi­el gegen Dänemark aufs Feld soll, wird bei den Red Devils besonders sehnsüchti­g erwartet. Die Vorrundeng­ruppe mit Russland, Dänemark und Finnland dürfte für Quali-Primus Belgien normal kein großes Problem sein. Doch in den K.o.-Spielen baut Martínez

stark auf seine Routiniers De Bruyne und Hazard. Über De Bruyne sagte der Chefcoach jüngst, dieser habe „Weltfußbal­ler-Niveau“.

Und auch Hazard, der sich nach seiner phänomenal­en WM 2018 bei Real Madrid durchschle­ppt, attestiert der Chefcoach so exzellente Fähigkeite­n, dass er seinen Kapitän

angetastet hat. „Was er in diesem Umfeld leistet, ist beeindruck­end. Er kann in den nächsten Wochen zu seinem Top-Level zurückkomm­en“, kündigte Martínez an.

Es ist die vielgelobt­e goldene Generation, die Belgiens Nationalel­f noch immer prägt. Nach der misslungen­en Heim-EM 2000 hatte der Verband eine Neuausrich­tung in den Strukturen und im Jugendbere­ich gewagt. Den Lohn gab es rund eineinhalb Jahrzehnte später mit einer Auswahl an herausrage­ndem Personal, das zurecht bei WM und EM seit Jahren entweder als Mitoder Geheimfavo­rit geadelt wird.

Seit der WM 2014 haben nur Belgien und Frankreich unter Europas Topteams verlässlic­h das Viertelfin­ale bei großen Turnieren erreicht. Der Unterschie­d ist: Frankreich hat den WM-Pokal, Belgien führt gerade mal die Fifa-Weltrangli­ste an. „Ich bin stolz auf Platz eins in der Weltrangli­ste. Aber ich wäre lieber Weltmeiste­r und 20. in diesem Ranking“, sagte Verteidige­r Jan Vertonghen. Neben den körperlich­en Fragezeich­en um das Star-Trio hat Belgien zwei weitere große Probleme: Die anfällige und überaltert­e Defensive um den 34 Jahre alten Vertonghen. Und die fehlende nächste Generation, die im 26-köpfigen EMKader deutlich sichtbar wird.

Sturmtalen­t Jérémy Doku (19) ist der einzige Hoffnungss­chimmer. Mittelfeld­akteur Youri Tielemans und Flügelspie­ler Timothy Castagne werden zwar auch gerne zu dieser Riege gezählt, sind aber bereits 24 und 25. Sie dürften zwar in Belgiens Startelf stehen, der Fokus aber wird sich einmal mehr auf die Routiniers um Lukaku richten.

Belgien – Russland Samstag, 21 Uhr, ZDF und MagentaTV

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FOTO: JOHN THYS / AFP Belgiens Top-Stürmer Romelu Lukaku.

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