Thüringische Landeszeitung (Jena)
Wird Macron wichtiger als Merkel?
Carbis Bay. Beim G7-Gipfel im südenglischen Cornwall haben Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden erstmals ein direktes Gespräch im kleinsten Kreis geführt. „Ein großartiges Treffen“, lobte Biden später den Austausch zwischen zwei Arbeitssitzungen, „das Band zwischen unseren beiden Nationen ist stärker denn je.“
Doch Biden sprach nicht nur mit Merkel – mehr Zeit und Aufmerksamkeit schenkte er dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Für ihn arrangierte Biden das erste und zunächst einzige formelle Gespräch im bilateralen Format am Rande des Gipfels. Es dauerte nach Angaben des Weißen Hauses über eine Stunde, im Anschluss wurde sogar ein Kommuniqué zu den zentralen Inhalten veröffentlicht; über
Macron und Merkel repräsentieren das Kern-Europa.
den Austausch mit Merkel äußerte sich Biden erst viele Stunden später in drei knappen Sätzen via Twitter.
Übernimmt Präsident Macron nun in den Augen Washingtons die Führungsrolle in Europa? Ist Merkel, die Regierungschefin des größten EU-Landes und die dienstälteste dazu, jetzt nicht mehr so wichtig, weil sie im Herbst aus dem Amt scheidet?
Dagegen spricht: Bidens erste
Einladung an einen EU-Staats- und Regierungschef zum Besuch im Weißen Haus ging an Merkel und nicht an Macron. Der Präsident und die Kanzlerin kennen und schätzen sich schon aus der Zeit, als er noch Vizepräsident unter Barack Obama war.
Die Begegnung zwischen Biden und Macron dauerte aber nicht nur länger, sie war auch deutlich mehr auf öffentliche Beachtung angelegt. Dass Frankreich in Europa wegen des bevorstehenden Regierungswechsels in Berlin wichtiger wird, dürfte man nicht nur in Washington so sehen.
Aber ob das von Dauer ist? Die nächste Kanzlerin oder der nächste Kanzler ist gleich im kommenden Jahr Gastgeber des nächsten G7Gipfels in Deutschland. Und Macron muss im Mai 2022 eine schwierige Präsidentenwahl überstehen.