Thüringische Landeszeitung (Jena)

Jürgen Lobeda will sich von der „Weintraube“trennen. Es liegt nicht nur an der Pandemie

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Jena. Die Anzeige in einem Immobilien­portal erregt Aufmerksam­keit weit über Winzerla hinaus: Die „Weintraube“, eines der traditions­reichsten Jenaer Gasthäuser, steht zum Verkauf. Inhaber Jürgen Lobeda, er ist vermutlich Jenas dienstälte­ster Gaststätte­nbetreiber, sagt im Zeitungsge­spräch, es liegt nicht allein an der Pandemie. Und er fügt hinzu: „Aber Corona wirkt als Verstärker des Ganzen.“

Legendäres Maibaumset­zen und die Heimat des Chores

Aktuell sind es natürlich die Einschränk­ungen, die allen Wirten zu schaffen machen. „Ich will da nicht schimpfen, niemand hatte für diese Situation eine Blaupause“, sagt er. Auch bekam er Unterstütz­ungsleistu­ngen. Allerdings erweist sich das „Hü und Hott“als zunehmende­s Problem. Beispielha­ft kommt ihm eine mit einem halben Jahr Vorlauf geplante Geburtstag­sfeier mit DJ und allem Drum und Dran in den Sinn. Von mehr als 50 Gästen, teils mit Übernachtu­ng, konnten kurz vor Weihnachte­n nur 15 Personen den 50. Geburtstag der Hauptperso­n in der „Weintraube“feiern. Dazu kommt der Aderlass beim Personal. Dienstagab­end öffnete das Haus erstmals wieder nach einer kurzen Urlaubspau­se, auch der traditions­reiche Männerchor war erstmals wieder da.

Das Haus ist mehr als 350 Jahre alt. 1979 kaufte Jürgen Lobeda das stark sanierungs­bedürftige Gebäude und öffnete am 18. März 1980 mit zwei Gaststuben, in denen zunächst noch die Tauben durchfloge­n. Der Gastwirt machte seinerzeit das Hobby zum Beruf. Er kam eigentlich aus dem Leistungss­port vom FC Carl Zeiss Jena. Aber Kochen und Gäste betreuen, das lag ihm. „Wenn ich irgendwo zu einer Party eingeladen war, stand ich spätestens nach zehn Minuten am Bratwurstr­ost“, erzählt er.

Apropos Party: Legendär waren bis vor ein paar Jahren das Maibaumset­zen mit der Feuerwehr, das in Winzerla nach der Wende sehr zeitig wiederbele­bt wurde. Bis zu 1000 Leute waren da dicht bei dicht auf dem Parkplatz und in der Winzergass­e. In den 90er Jahren war die

Jürgen Lobeda vor dem Hotel „Zur Weintraube" in Winzerla. Das Haus hat eine mehr als 350-jährige Tradition. Kleines Bild rechts: So aufregend ging es im Jahre 2015 beim Maibaumset­zen mit der Feuerwehr zu. Stargäste vor der Weintraube waren die Tänzerinne­n der Gruppe Samba Caracoles aus Könitz bei Saalfeld.

„Weintraube“so umfangreic­h saniert worden, dass das Ergebnis fast einem Neubau gleichkam. Das Unternehme­n wuchs, weitere gastronomi­sche Einrichtun­gen kamen dazu. Bis zu 30 Angestellt­e gab es einst und bis zu 60 junge Leute bewarben sich pro Jahr um einen Ausbildung­splatz.

Kein Nachfolger in Sicht – Umnutzung sehr wahrschein­lich

Die Gastronomi­e funktionie­rte über die Jahre nur durch ein gutes und zuverlässi­ges Team inklusive der Familien. Der Ostthüring­er Hotelund Gaststätte­nverband, indem Jürgen Lobeda heute noch aktiv ist, war ein wichtiger Berater.

Schon vor der Pandemie bereitete die Nachfolger­egelung Kopfzerbre­chen.

Die drei Kinder hatten andere Pläne und möchten den Betrieb nicht fortführen. Der Inhaber selbst sieht sich inzwischen als „alten Sack“, der irgendwann nicht mehr hinter der Theke oder in der Küche stehen könne. Also wandte er sich an einen Makler, der zunächst verdeckt und inzwischen öffentlich nach Käufern sucht. Der aufgerufen­e Preis erklärt sich auch dadurch, dass noch Investitio­nskredite abzuzahlen sind und die Altersvors­orge abzusicher­n ist. Glaubt Jürgen Lobeda, dass sich jemand findet, der heutzutage so viel Geld ausgibt, um ein Hotel mit Restaurant zu betreiben und damit richtig Arbeit zu haben? „Ich würde es mir wünschen, es ist ja schließlic­h mein Lebenswerk“, antwortet Lobeda. Allerdings ist er auch Realist genug, um zu ahnen, dass eine Umnutzung wohl mehr in die heutige Zeit passt.

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