Thüringische Landeszeitung (Jena)

Protest und Gegenprote­st: Über merkwürdig­e Szenen im Zentrum von Jena

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Jena. Am Ende wirkt er wie der Ritter von der traurigen Gestalt: Er redet viel und wirr und ist trotz Megafon nicht zu verstehen. Am Nonnenplan sieht er sich einer Wand aus jungen Menschen gegenüber. Sie protestier­en gegen ihn, halten ihn für einen Corona-Leugner und Schwurbler. Dabei wähnt er sich früher auf deren Seite. Damals, als die Insel zum Symbol für die Sozialkult­ur in Jena wird und er Sprecher des Hauses ist. Erst später halten jene Demonstran­ten die Polizei auf Trab, die Montag für Montag illegal gegen die Corona-Maßnahmen protestier­en.

Immerhin, der junge Mann meldet seine Kundgebung­en an. Auch am Mittwoch will er am Kubus in Lobeda demonstrie­ren: „Wir Menschen gemeinsam – Hand in Hand“nennt er seinen Ein-Mann-Protest. Die Stadt als zuständige Versammlun­gsbehörde ist sensibilis­iert. Die Begegnungs­gruppe Judentum lädt fast zeitgleich zu einem Konzert mit Klassik und Klezmer in den Kubus ein.

Im Rathaus glaubt man an unschöne Szenen, wenn vor der Tür ein Mann mit einem Megafon demonstrie­rt. Und man fürchtet den Eklat, werden doch bei vielen Corona-Protesten die heutigen Verhältnis­se häufig mit der NS-Diktatur gleichgese­tzt.

Polizei stoppt Kundgebung

Die Polizei ist an diesem Montag präsent. Es gibt drei angemeldet­e Demonstrat­ionen, darunter die des Bündnisses „Jena solidarisc­h“. Dazu kommen gegen 19 Uhr jene Frauen und Männer, die sich euphemisti­sch als Spaziergän­ger bezeichnen und doch an einer nicht angemeldet­en Demonstrat­ion teilnehmen. Sie halten den Abstand nicht ein und tragen größtentei­ls keinen Mundund Nasenschut­z.

Ordnungsam­tsleiter Sebastian Wick reagiert. Als Vertreter der Versammlun­gsbehörde löst er das Geschehen auf, was ignoriert wird. Die Polizei schätzt die Zahl der Demonstran­ten auf 800. Der Protestzug endet vor dem Eisenbahnd­amm, im Kreuzungsb­ereich Knebelstra­ße/Fischergas­se. Dort stoppt ein Großaufgeb­ot an Polizisten die Teilnehmer.

Der gesamte Fahrzeugve­rkehr kommt für einige Minuten zum Erliegen, schon vorher wird der Straßenbah­nverkehr am Holzmarkt unterbroch­en. Auf einem angrenzend­en Parkplatz werden von knapp 70 Teilnehmer­n die Identitäte­n festgestel­lt. Verständni­s haben sie nicht. „Ich habe am heutigen Tag jeglichem Glauben an einen funktionie­renden Rechtsstaa­t verloren“, schreibt ein Mann in den sozialen Medien.

„Wenn die Einhaltung von Pandemie-Maßnahmen und Impfungen dabei helfen, die Schwächere­n und Verletzlic­hen in unserer Gesellscha­ft zu schützen, gibt es nur diesen einen vernünftig­en Weg. Dabei gilt es letztlich, sich von Egoismen befreien zu können“, sagt Dezernent Benjamin Koppe (CDU). Die Meinungsfr­eiheit sei ein hohes Gut. Aber man müsse sich auch an die geltenden Gesetze halten. Koppe ist am Montag gemeinsam mit Wick unterwegs.

Solidaritä­t eingeforde­rt

Auf dem Markt spricht die Landtagsab­geordnete Katharina KönigPreus­s (Linke) auch über Solidaritä­t. Sie fordert sie ein für die Junge Gemeinde (JG Stadtmitte) als Teil des Bündnisses.

Das Zentrum sieht sich Anfeindung­en ausgesetzt. Auf dem Blog der früheren Politikeri­n und Publizisti­n Vera Lengsfeld geht es um „Antifa-Schläger“, die angeblich der Krankensch­wester Ivonne Nöhren den Schädel spalten wollen, weil sie Spaziergän­ge organisier­e. In dem Gastbeitra­g vermutet der konservati­ve Publizist Klaus Kelle die gewaltbere­ite Antifa in den Reihen der „Jungen Gemeinde“.

Auch Awo-Vorstand Frank Albrecht spricht an diesem späten Nachmittag. Er erinnert an die Wannseekon­ferenz, auf der vor 80 Jahren beschlosse­n wurde, wie die Ermordung der europäisch­en Juden auf Behördeneb­ene möglichst effizient umgesetzt werden sollte. Und heute würden Menschen einen Judenstern tragen, um ihren Unmut gegenüber den beschränke­nden Corona-Maßnahmen zu zeigen. „Durch dieses Verhalten werden

Verbrechen relativier­t, und diese Leute verhöhnen die Opfer und die heute Lebenden! Dafür schäme ich mich und will dafür keine Worte finden.“

Der Mann, der am Nachmittag seinen Ein-Mann-Protest in Lobeda abgesagt hat, nennt in einem Youtube-Video die Impfpflich­t als „rote Linie“, die überschrit­ten worden sei. Deshalb wehre er sich. Sie sei der Minimalkon­sens. Für die politische Gesinnung der Akteure interessie­re er sich nicht.

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