Thüringische Landeszeitung (Jena)
Langfristiges Bibliotheks-Dilemma
Die Erfurter Uni-Leitung erkennt die Nöte in Gotha, entfaltet aber keine Dringlichkeit
Gotha. Schlechte Aussichten für die Forschungsbibliothek Gotha: Fast die Hälfte des 800.000 Bände umfassenden historischen Bestandes wird wohl den angestammten Platz auf Friedenstein für immer verlassen müssen. Das bestätigte jetzt Bibliotheksdirektorin Kathrin Paasch auf Nachfrage unserer Zeitung. Für die künftige Unterbringung strebe man einen Magazin-Neubau an, erklärte Theologie-Professor Benedikt Kranemann als Vizepräsident der für den Bücherschatz zuständigen Universität Erfurt.
So trüb die Perspektive, so unklar der aktuelle Stand der Planung. Gewiss ist nur, dass diesen Sommer laut Paasch „300.000 bis 400.000“Bücher – etwa 8400 Regalmeter -aus dem statisch gefährdeten Ostturm in ein Ausweichmagazin umziehen müssen. Die anschließende baufachliche Untersuchung des Turms samt Sanierungskonzept wird bis Ende 2023 brauchen. Dann erst weiß man genau, wie viele Bücher nach Ende der Arbeiten – frühestens 2032 – zurückkehren können. Ergo fühlt man sich an der Universität Erfurt für die nächsten zwei Jahre nicht imstande, den Raumbedarf für einen Magazin-Neubau gültig einzuschätzen.
Zurzeit geht man, wie Paasch bestätigte, lediglich anhand von Erfahrungswerten
davon aus, dass zwei Drittel der Bücher aus dem Turm eines neuen, endgültigen Standorts bedürfen. Außerdem vermutet man, dass der Ostflügel um etwa ein Drittel des Bestands statisch entlastet werden muss. Weitere 100.000 Bücher stehen im Perthesforum.
Das Ausweichmagazin, eine zehn Kilometer vom Schloss entfernte Fabrikhalle, hat die Uni bis 2027 gemietet; es besteht eine Option zur
Verlängerung. Man werde vorzugsweise jene Bestände auslagern, die seltener nachgefragt werden, sagte Paasch. Um den Betrieb aufrecht zu halten, richtet man Pendeldienste ein; laufende Kosten für Personal und Dienstwagen ließen sich noch nicht kalkulieren, hieß es.
Trotz dieser Misere, die länger als ein Jahrzehnt anhalten könnte, erweckt niemand an der Erfurter Universität den Eindruck, mit Verve auf den erlösenden Magazin-Neubau drängen zu wollen. „Wir warten darauf, was die Akteure in Gotha und in den staatlichen Institutionen an Plänen entwickeln“, erklärte Kranemann. Unterdessen überlegt man erdenkliche Bestandszuwächse, etwa in der Sammlung an historischen Briefen deutscher Ausgewanderter oder für den Fall, dass 25.000 nach dem Weltkrieg konfiszierte und bisher nicht von Russland restituierte Bücher heimkehren.
Schon weiß man, dass künftig ein neuer Lesesaal im Ostturm des 1643 bis 1555 errichteten Barockschlosses liegen soll: damit die Nutzer – vorwiegend Forscher aus dem In- und Ausland – durch die authentische Aura in ihrer Arbeit inspiriert werden. „Gerade Gotha ist ein Ort, der diese Atmosphäre verströmt“, so Kranemann. „Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen.“
Zugleich lässt er durchblicken, dass man sich an der Universität am liebsten auf die Forschung konzentrieren würde, die konservatorischen Aufgaben der ehedem Herzoglichen Bibliothek aber als Belastung empfindet. Im Zuge einer anstehenden Restrukturierung soll sie folglich ins Eigentum der Friedenstein-Stiftung übergehen.
Auch diese meldet Bedarfe an – weit über das nötige Büchermagazin hinaus. Man wünscht zusätzliche Depots und einen Vorlegesaal für Sammlungsobjekte, hätte gern weitere Ausstellungsflächen – etwa für Naturkundliches – und am liebsten ein richtiges Besucherzentrum. Und last, not least hätte das einzigartige Perthes-Erbe eigene Sonderausstellungsräume verdient.
Die Fäden laufen nun in einem Lenkungsausschuss zusammen, den eine Ministerialbeamtin aus der Staatskanzlei leitet. Dort liegt das Heft des Handelns.
„Ich fürchte, da werden wir uns in Geduld üben müssen.“Professor Benedikt Kranemann, Vizepräsident Universität Erfurt