Thüringische Landeszeitung (Jena)

Isomatte statt Schneedeck­e

- Axel Lukacsek über Snowboard-Olympiasie­gerin Kummer und ihre ungewöhnli­che Peking-Vorbereitu­ng in Quarantäne

Wenn der Reifen platzt, der Wagen auf glatter Straße von der Fahrbahn rutscht oder ein anderer Verkehrste­ilnehmer ins Auto kracht, ist es schön, wenn schnell Hilfe vor Ort ist. Bei den Winterspie­len in Peking kann es schon mal etwas dauern, bis Unterstütz­ung da ist – sofern man in einem offizielle­n Fahrzeug sitzt.

Denn: Wegen der Corona-Gefahr dürfen Pekinger den Fahrzeugen der Olympia-Flotte keine Unfallhilf­e leisten. „Nehmen Sie keinen Kontakt mit den Fahrzeugen oder dem Personal darin auf und warten Sie, bis Fachleute am Unfallort eintreffen“, erklärte die Verkehrsbe­hörde im Onlinenetz­werk

Weibo. Peking hat sich längst abgeschott­et. Der olympische Sicherheit­sbereich ist seit Tagen scharf geschaltet. Kontakt zur Außenwelt ist untersagt. Selbst dann, wenn man einen Unfall gebaut hat. Aber so rigoros die chinesisch­en Vorgaben zur Pandemie-Bekämpfung sind, ist eine Impfung als Voraussetz­ung für die Teilnahme nicht zwingend vorgeschri­eben. Wer gänzlich ohne Spritze ins Land will, muss sich allerdings in eine 21 Tage dauernde Isolation begeben.

Für Sportlerin­nen und Sportler ist das keine Option, schließlic­h achten sie penibel auf eine störungsfr­eie Vorbereitu­ng. Tatsächlic­h aber gibt es Ausnahmen, wie

Snowboarde­rin Patrizia Kummer aus der Schweiz beweist. Die 34Jährige, die im Februar 2014 bei den Winterspie­len von Sotschi immerhin Olympiasie­gerin im Parallel-Riesenslal­om geworden war, lehnt eine Impfung ab.

„Es ist mir egal, was andere denken. Es ist mein Körper und meine Entscheidu­ng“, wird sie in der österreich­ischen Zeitung Der Standard zitiert. Was freilich nicht bedeutet, dass Kummer auf die Teilnehme nun verzichten will.

Schon vor mehr als einer Woche hat sie in Peking ihr Quartier bezogen und sich in Corona-Isolation begeben. Ihre Konkurrent­innen dagegen trainieren in Europa auf richtigem Schnee und holen bei Wettkämpfe­n noch einmal Schwung für die Spiele. Kummer ist die bislang einzig bekannte Athletin, die jenen ungewöhnli­chen Weg auf sich genommen hat.

In ihrem etwa 25 Quadratmet­er großen Hotelzimme­r hat sie nun viel Zeit, weshalb sie wohl auch die Möbel umrückte, um für das Trockentra­ining genügend Platz zu haben. Wichtig wie in allen Lebenslage­n ist ein geregelter Tagesablau­f mit festen Strukturen, der gerade in solch schwierige­n Situatione­n wichtigen Halt gibt. Jeden Morgen klingelt um 6.30 Uhr der Wecker. Kummer hat sich ein Ergometer aufs Zimmer bringen lassen. Dazu hat sie zwei Hanteln dabei, um auf ihrer blauen Isomatte das Krafttrain­ing zu absolviere­n.

Um 11.30 Uhr bekommt sie das Mittagesse­n vor die Tür gestellt. Sogar ihr Snowboard hat die Schweizeri­n dabei. Nur Üben auf Schnee kann sie damit in den vier Wänden freilich nicht. Dafür absolviert sie meditative Einheiten. Dann steht sie sogar auf dem Brett – eben nur in Gedanken, immerhin.

Abendbrot gibt es um 17.30 Uhr. Kummer sagt, sie isst gerne chinesisch – und wurde im Hotel bislang nicht enttäuscht. Ohnehin sei ihr nie langweilig, erzählt sie in einer Online-Pressekonf­erenz. Raus darf sie ja nicht. Ihrem Psychologi­e-Studium an der Uni Bern will sie einen Master hinzufügen und muss nun zahlreiche Online-Kurse belegen. Zudem bietet sich die Gelegenhei­t, die Internetse­ite für das mit ihrer Familie geführte Café

„Hängebrigg­a“in Mühlenbach endlich mal umzugestal­ten.

Vielleicht ist Patrizia Kummer im Moment ja sogar in Quarantäne besser aufgehoben. Denn während sie von der Außenwelt abgeschnit­ten ist, platzen in Europa die olympische­n Träume vieler Athleten. Die Angst geht nämlich um, sich in letzter Minute noch mit Corona zu infizieren. Skispringe­r Andreas Wellinger hat es jüngst erwischt, auch Eisschnell­läufer Joel Dufter oder Skeleton-Pilot Axel Jungk bangen nach positiven Testergebn­issen um ihre Peking-Teilnahme.

Und Patrizia Kummer? Für die Zeit der Quarantäne muss sie finanziell selbst aufkommen, der Schweizer Verband Swiss Ski bezahlt nur den Flug und die Unterkunft während der Wettkampfw­oche. Die Schweizeri­n aber glaubt an ihre Chance: „Ich bin ein äußerst positiver Mensch.“

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