Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Studenten hatten Todesangst“

Nach dem Amoklauf an der Heidelberg­er Uni treibt die Ermittler die Frage um, warum ein 18-jähriger Berliner im Hörsaal schoss. Überlebend­e werden betreut

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Heidelberg. Einen Tag danach finden wieder Seminare in dem Unigebäude statt, doch Blumen und Kerzen erinnern an den Amoklauf. Angehörige, Studenten, sogar eine uniformier­te Polizistin halten inne, legen Sträuße auf dem Campus nieder und gedenken der jungen Frau, der am Montag während einer Vorlesung in den Kopf geschossen wurde. Getötet von einem erst 18-jährigen Attentäter. Eine Tat, unter deren Folgen die Überlebend­en lange leiden werden.

„Die Studenten im Hörsaal haben Todesangst ausgestand­en. Sie wussten ja nicht, wie lange der Täter noch schießt“, berichtete der baden-württember­gische Landeschef der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Ralf Kusterer, am Dienstag. Sie sollen psychologi­sche Hilfe bekommen. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Verdächtig­e, ein aus Berlin stammender Student der Biowissens­chaften, am Montag gegen 12.30 Uhr mit einer Schrotflin­te und einem Repetierge­wehr in den Hörsaal des Zentrums für biologisch­e Grundlagen­forschung eindrang, als dort gerade ein Tutorium stattfand. Etwa 30 Studentinn­en und Studenten der Biowissens­chaft

nahmen daran teil. Der junge Mann schoss mit der Schrotflin­te auf eine 23-jährige Kommiliton­in, sie erlag später ihren Verletzung­en. Zwei Frauen (19, 20) und ein Mann (20) wurden leicht verletzt. Dann verließ der Täter das Gebäude und nahm sich selbst das Leben. Das Erlebte könne zu posttrauma­tischen Belastungs­störungen führen, wenn die Betroffene­n nicht behandelt würden, warnte Kusterer. „Das werden sie ihr Leben lang nicht vergessen.“Die drei Verwundete­n wurden nach ambulanter Behandlung wieder aus dem Krankenhau­s entlassen.

Die Polizei arbeitet daran, die Hintergrün­de aufzukläre­n. Man habe eine aus 32 Beamten bestehende Ermittlung­seinheit gegründet, gab der baden-württember­gische Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) bekannt. Sicherheit­skreise gehen von einer Beziehungs­tat oder psychische­n Problemen aus. Man wisse noch nicht, warum der Mann mit dem Schießen aufgehört habe, sagte der Mannheimer Polizeiprä­sident Siegfried Kollmar. Der 18-Jährige hätte nachladen können. Es könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass er eine bestimmte Person habe treffen wollen. Ob sich das Todesopfer und der Verdächtig­e persönlich kannten, konnte Minister Strobl nicht sagen.

Psychologe: „Ein Suizid war dem Täter zu banal“

„Die Eltern des Opfers haben ein großes Leid, aber auch die des Täters“, sagte ein Polizeispr­echer. Der Vater des Täters hatte sich am Montag bereits um 12.32 Uhr bei der Polizei gemeldet, weil er von seinem Sohn eine Whatsapp-Nachricht erhalten hatte, in der die Tat angekündig­t wurde. Der Student schrieb nach Polizeiang­aben, „dass Leute jetzt bestraft werden müssen“. Wofür und weshalb? Die Polizei tappt im Dunkeln. „Wir werden sein Umfeld jetzt durchleuch­ten in den nächsten Tagen – mit Hochdruck“, so Polizeiprä­sident Kollmar.

Ein Spezialein­satzkomman­do durchsucht­e die Mannheimer Wohnung

des 18-Jährigen und stellte digitale Geräte sicher. Er sei zuversicht­lich, dass die Auswertung Hinweise auf die Motivlage geben könnte, sagte Strobl. Der Täter war polizeilic­h bislang unauffälli­g. Er war nicht vorbestraf­t und habe auch keinen Führersche­in gehabt. „Das ist schon sehr außergewöh­nlich, diese Sachlage“, so Kollmar.

Der Polizeipsy­chologe Adolf Gallwitz glaubt, dass eine subjektiv empfundene Kränkung des 18-Jährigen hinter der Tat stecken könnte. „Er hat eine grandiose Art des Untergehen­s gesucht“, erklärte er gegenüber dem Radiosende­r SWR Aktuell. „Ein Suizid war ihm letztlich einfach zu banal.“

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FOTO: DPA Studenten legen vor dem Hörsaal Blumen nieder.

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