Thüringische Landeszeitung (Jena)
Suhl entscheidet sich für Beziehung mit Kaluga. Martin Kummer hält an deutsch-russischen Verbindungen fest
Suhl/Weimar/Gera. Sollen Partnerschaften mit russischen Städten in diesen Zeiten ruhen und auf Eis gelegt werden? Suhl hat sich jetzt ganz klar dagegen entschieden und für den Erhalt der Beziehung mit Kaluga plädiert – am Mittwochabend im Stadtrat mit 27 zu 1. Und in Gera bleibt die Beziehung zu Pskow unangetastet. Und Weimar, das gerade dabei ist, eine Partnerschaft mit der 200 Kilometer südlich von Moskau gelegenen Stadt Tula anzubahnen, treibt diese Bemühungen auf offizieller Ebene derzeit zwar nicht voran, will aber den Kontakt mit den Menschen in Tula aufrecht erhalten. Das machte Weimarer Oberbürgermeister Peter
Kleine bereits beim ersten Gedenken auf dem Theaterplatz am ersten Kriegstag deutlich. An dieser Haltung hat sich nicht geändert, hieß es bei der Veranstaltung am Mittwochabend vor dem DNT. Im Weimar finden die zivilgesellschaftlichen Zusammenkünfte immer mittwochs und sonntags statt. Hier sprechen häufig sowohl ukrainische wie russische Studierende, die nicht fassen können, dass Krieg ist.
Der Suhler Entscheidung im Stadtrat vorausgegangen war eine
Empfehlung aus der Staatskanzlei im Zusammenhang mit russischen Städtepartnerschaften, die sich inzwischen als Missverständnis entpuppt haben soll. „Wir halten es für wichtig, auf unserer niedrigen, kommunalen Ebene den Dialog aufrechtzuerhalten“, wird Suhls Oberbürgermeister André Knapp im „Freien Wort“zitiert.
Eine treibende Kraft hinter der Idee, bestehende Brücken nicht abzureißen, ist aber auch sein Vorvorgänger Martin Kummer (CDU): Er ist Vorsitzender der Deutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen, die manche mit der einstigen Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) in Verbindung bringen. Kummer betont aber, dass sein eingetragener Verein kein Rechtsnachfolger dieser DDRMassenorganisation sei, die Ende der 1980er Jahre immerhin 6,4 Millionen Mitglieder hatte und von Grundeinheiten, Kreis- und Bezirksorganisationen bis zum Zentralvorstand reichte.
Kummers Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft erstreckt sich in Thüringen über Erfurt, Weimar, Jena, Pößneck, Saalfeld, Suhl sowie Gera/Ostthüringen und Nordthüringen, wobei im Eichsfeld offenbar bald eine eigenen Gruppe entstehen soll. Obwohl die Freundschaftsgesellschaft seit 2008 wieder den Verweis auf deutsch-russische Belange im Namen trägt, sieht sie sich nicht als reine Interessensvertretung. Im Blick habe der Verein alle Länder, die einst zur Sowjetunion gehörten. Und deshalb positioniert sich Kummer auch nicht pro-russisch, sondern ordnet das, was am Donnerstag, 24. Februar, geschah, klar ein: „Das war kein Angriff, das war ein Überfall“, sagt er – und wiederholt es in jedem Gespräch, das in diesen Tagen viele Menschen mit ihm führen. Er ist, sagt er, „dankbar,
Dieses Kunstwerk mit dem wachsamen Hahn auf der Kugel steht in Gera im Themengarten Pskow, der russischen Partnerstadt. Suhl hat bereits im Stadtrat beschlossen, den Kontakt zu Kaluga, ihrer russischen Partnerstadt, nicht abzubrechen.
dass das auch Bundeskanzler Olaf Scholz das so klar gesagt hat.“Und während der russische Präsident Wladimir Putin seinem Volk einen Krieg gegen Worte androht und daher die Ereignisse nicht beim Namen benannt werden dürfen, ohne
Gefahr zu laufen, eingesperrt zu werden, macht Kummer deutlich: „Es ist ein Überfall auf ein souveränes, unabhängiges Land, das Russland nicht provoziert hat.“Die Suhler Entscheidung, die Städtepartnerschaft aufrecht zu erhalten, enthält eine Passage, die besagt, dass der Vorsitzende der Stadtduma in Kaluga und der Bürgermeister „dringend gebeten“werden, „den Präsidenten der Russischen Föderation, Herrn Wladimir W. Putin zur Beendigung des Überfalls aufzufordern“.
Damit sind die Suhler in der Wortwahl sehr viel eindeutiger als etwa der Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal am 24. Februar in seinem Schreiben an seinem Amtskollegen in Rostow am Don: Da ist nur von einem Angriff die Rede. Und der Brief, der Kummer vorliegt, endet mit den Worten: Man wünsche „allen Freundinnen und Freunden in Rostow am Don eine baldige Beendigung des Konflikts mit der Ukraine und eine friedliche Zukunft“. In Essen, wo die Grünen planten, die Städtepartnerschaft mit Nischni Nowgorod auf den Prüfstand zu stellen, wandte sich Oberbürgermeister Thomas Kufen dagegen. Kufen hatte am ersten Kriegstag seine Solidarität mit der militärisch überfallenen Ukraine unterstrichen, gleichzeitig aber seine Hoffnung betont, „dass die Zivilgesellschaft unser beider Städte und Länder zusammensteht und dass wir Gräben überwinden und Brücken bauen“, berichtete die WAZ. Für die Grünen ist jedoch ein „einfach Weiter so“nicht richtig.
Zurück nach Thüringen: Martin Kummer betrachtet Aussöhnung als Langzeitprojekt. Es werde „Jahrzehnte dauern, ehe wieder Vertrauen entsteht.“Er sieht eine historische Verantwortung der Deutschen für die Beziehungen zu Russland und zur Ukraine. Der jetzige Überfall sei eine „Zäsur, die uns weit zurückwirft“. Für den Frieden sei es umso wichtiger, gerade jetzt „nicht die Kontakte zur Bevölkerung“herunterzufahren. Zugleich müssten die Ukrainer unterstützt werden.