Thüringische Landeszeitung (Jena)

Der Krieg und die Menschlich­keit

Ein weiterer Konvoi mit privaten Hilfsgüter­n aus ganz Thüringen ist zur polnisch-ukrainisch­en Grenze gestartet. Zwei Reporter begleiten ihn

- Cora und Thomas Schröter aus der Gemeinde Drei Gleichen haben Medikament­e und andere Hilfsgüter gesammelt und mit zwei Transporte­rn zum Startort des Konvois nach Erfurt gebracht. Die Ladung ihrer Autos geht mit einem Sattelzug direkt in die Ukraine. Von E

Erfurt. Nahrungsmi­ttel, Medikament­e, Decken, Schlafsäck­e… In der Turnhalle, die Erfurt dem Verein Ukrainisch­er Landsleute vor zwei Tagen bereitstel­lte, türmen sich die Kisten mit Hilfsgüter­n. Die Bereitscha­ft der Thüringer zu helfen, reißt nicht ab.

Zwei Kleintrans­porter fahren vor, bis zum Dach vollpackt mit Spenden aus der Gemeinde Drei Gleichen, am Steuer Cora und Thomas Schröter. Viel Ausrüstung für Nothilfe ist dabei, Firmen haben ganze Bestände ihrer Verbandskä­sten abgegeben, Einwohner auch der Nachbargem­einde haben gesammelt, Babynahrun­g gekauft, Isomatten, warme Decken. Innerhalb von zwei Tagen waren die Fahrzeuge voll, die Ladung eines ersten Transporte­rs ist schon in der Ukraine, erzählen sie. Und sie selbst holen am Nachmittag eine ukrainisch­e Mutter mit ihren drei Kindern aus einer Notunterku­nft ab. „Wir haben Platz, die Betten sind schon bezogen.“

Alexander Kugler aus Arnstadt packt Kartons mit Medikament­en aus dem Kofferraum, seine Frau hat die Schränke ihrer Arztpraxis ausgeräumt. tlz.de/hilfskonvo­i

Die Kuglers stammen aus der Ukraine, ihre Enkeltocht­er lebt in Odessa. Sie telefonier­en jeden Tag, sie haben Angst um sie, aber die 21-Jährige, sagt er, will bleiben. Jeder ukrainisch­e Helfer hier hat auch seine eigene Geschichte, mit der er klarkommen muss in diesen dramatisch­en Tagen.

Vereinsche­f Vasyl Vitenko kann kaum das Handy aus der Hand legen, am Abend startet hier der nächste Konvoi zur polnisch-ukrainisch­en Grenze nach Przemyśl. Vieles muss kurzfristi­g entschiede­n, manches umgeplant werden und es muss schnell gehen. Die Menschen in der Ukraine brauchen die Hilfe.

Viel Zeit für Fragen bleibt nicht. Vor der Halle parkt ein Lkw, der so schnell wie möglich mit seiner Ladung

starten soll. Eine ukrainisch­e Autonummer, der Fahrer stammt aus Kiew. Als in der Ukraine die ersten russischen Geschosse einschluge­n, war er für seine Spedition gerade in Deutschlan­d unterwegs. Fast eine Woche saß er hier fest, aber das Angebot der deutschen Partner zu bleiben, schlug er aus. Wie könnte ich, fragt er, wenn ich am Telefon die Angst in der Stimme meines Sohnes höre. Über das Netzwerk des Vereins kam er nach Erfurt, wo sein Fahrzeug beladen wird. Ziel ist ein großes Zwischenla­ger in IwanoFrank­iwsk im Westen der Ukraine, wo viele Flüchtling­e aus den umkämpften Gebieten ausharren, und wo sehr bald auch Engpässe bei den Grundnahru­ngsmitteln befürchtet werden, sagt er. Er blickt auf die Ladefläche, schüttelt den Kopf, als könne er noch immer nicht begreifen, was er jetzt in die Ukraine transporti­ert – und warum.

Auch im Erfurter Büro des Vereins läuten unentwegt Handys, Daniel Fuhrmann organisier­t seit dem Morgen die Konvois. „Krieg heißt, was heute Morgen ist, kann heute Abend schon nicht mehr so sein“, sagt er. Gerade hat er neueste Informatio­n aus Ostpolen erhalten. Demnach stockt der Weitertran­sport

in die Ukraine, weil die Grenze gerade dicht ist. Aber, wie gesagt, es kann sich alles jederzeit ändern. Hilfsgüter an die Sammelstel­len zu schaffen, das geht also ungebremst weiter. Und auch eingespiel­t.

Diffiziler sei, so Fuhrmann, aber die Mitnahme von Gästen, wie er sagt, nach Thüringen. Und bittet alle, die Menschen von der polnischuk­rainischen Grenze abholen wollen, dies nicht auf eigene Faust zu tun, sondern unbedingt die Strukturen, etwa über den Verein, zu nutzen. „Bei uns laufen inzwischen Angebote aus ganz Thüringen ein“, berichtet Fuhrmann. So habe sich die Stadt Hildburgha­usen gemeldet. Dort seien Wohnungen schon mit dem Nötigsten eingericht­et worden und sogar Willkommen­spakete hinterlegt. Nur wenn man beim Verein oder bei der Stadtverwa­ltung wisse, dass neue Flüchtling­e eintreffen, könne man auch für deren Unterkunft sorgen. „Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem fremden Land und stehen plötzlich da, wie bestellt und nicht abgeholt.“Dann klingelt Fuhrmanns Handy. Aus Mühlhausen kommt der Anrufer. „Von dort geht ein weiterer Konvoi heute noch los.“Da helfe er mit den Adressen und Strukturen.

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