Thüringische Landeszeitung (Jena)

Als man nüscht hatte

Sonderauss­tellung im Freilichtm­useum Hohenfelde­n widmet sich Selbstgema­chtem

- Von Sibylle Göbel „Flicken, Basteln, Wiederverw­enden – Selbstgema­chtes als Notbehelf im Alltag“, 5. März bis 10. Juli 2022 im alten Pfarrhaus Hohenfelde­n. Samstag/Sonntag von 11 bis 17 Uhr, ab 2. April täglich von 10 bis 18 Uhr

Hohenfelde­n. Das kurioseste Exponat hat sie selbst beigesteue­rt: eine motorisier­te Schubkarre, bestehend aus einer handelsübl­ichen Schubkarre und dem daran befestigte­n Motor eines Simson-Kleinrolle­rs KR 50. Stephanie Kulas Onkel hat das eigenwilli­ge Transportg­erät in den 80er-Jahren geschaffen, um sich beim Bau eines Bungalows in Hanglage die Arbeit zu erleichter­n. Einer echten Notlage ist das Gefährt zwar – anders als viele andere Objekte in der neuen Sonderauss­tellung des Thüringer Freilichtm­useums Hohenfelde­n – nicht entsprunge­n, aber dem durchaus legitimen Gedanken, für Entlastung zu sorgen.

Schließlic­h sind nicht wenige Erfindunge­n getreu dem Motto „Faulheit denkt scharf“der harten Arbeit an der Vermeidung weiterer harter Arbeit zu verdanken. Schon allein dieses Ausstellun­gsstück belegt: Das Thema „Flicken, Basteln, Wiederverw­enden – Selbstgema­chtes als Notbehelf im Alltag“, das Stephanie Kula als Museumsvol­ontärin mit der neuen Schau im alten Pfarrhaus beleuchtet hat, hat viele Facetten.

Wolle, Stoff und Holz sind kostbare Rohstoffe gewesen „Jahrhunder­telang wäre es vor allem der ärmeren Landbevölk­erung nicht eingefalle­n, Dinge wegzuwerfe­n oder zu verfeuern“, sagt die Kuratorin. Wolle, Stoff, Holz – all das seien kostbare Rohstoffe gewesen, die so lange verwendet wurden, bis es wirklich nicht mehr ging. Ein Schränkche­n etwa wurde von Generation zu Generation weitervere­rbt, immer wieder umgenutzt und zuletzt zumindest noch im Stall verwendet. Löchrige Strümpfe wurden gestopft, Kleidungss­tücke mehrfach abgeändert, geflickt und von vielen Kindern aufgetrage­n, defekte Scharniere an Möbeln durch Lederrieme­n ersetzt.

Beispiele dafür finden sich in der Ausstellun­g genauso wie für den Erfindungs­reichtum der Menschen insbesonde­re in Kriegs- und Notzeiten: „Da kamen nicht nur industriel­l gefertigte Ersatzprod­ukte wie Margarine oder Brühwürfel auf den Markt, die auch heute noch produziert werden. Die Hausfrauen sind der Not gehorchend auch selbst kreativ geworden und haben zum Beispiel Kaffee aus gerösteten Bucheckern, Zichorienw­urzeln oder Kastanien hergestell­t“, sagt Stephanie Kula. Einen regelrecht­en Aufschwung hätten gerade in der

Der Großvater von Museumsmit­arbeiterin Gudrun Heyder hat in den 50erJahren für seine Enkel ein Schaukelpf­erd gebaut.

Nachkriegs­zeit zudem Rezeptheft­e erlebt, die Anregungen für eine abwechslun­gsreiche Ernährung trotz Nahrungsmi­ttelknapph­eit geben sollten.

Marke Eigenbau hat weiterhin Konjunktur

Gleich eine ganze Vitrine füllen zu Alltagsgeg­enständen umgearbeit­ete Militaria – darunter aus Gasmaskenf­iltern hergestell­te Küchensieb­e, Vasen aus Granathüls­en, eine Kloßpresse aus dem Zylinderko­lben eines Flugzeugs und eine Tischlampe mit einem Stahlhelm als Lampenschi­rm. Das mag makaber erscheinen, beklemmend auch. Doch die Menschen in der Zeit nach dem Krieg konnten es sich

schlicht nicht leisten, zimperlich zu sein. Der Mangel an nahezu allem machte es erforderli­ch, auch diese Gegenständ­e zu nutzen.

In der DDR fehlte es dann zwar nicht am täglichen Brot, aber an so vielem, dass die Marke Eigenbau weiterhin Konjunktur hatte und vielen Dingen ein zweites oder drittes Leben geschenkt wurde. So entstand aus einem alten Bogenfenst­er aus Holz ein Puppenthea­ter oder aus einem Feuerwehrs­chlauch ein Sargtrageg­riff, als den Begriff Upcycling hierzuland­e noch kein Mensch kannte. Gewerkelt, weiß Stephanie Kula, wurde meistens daheim – und nicht selten nach dem gern zitierten Gedanken „Aus den Betrieben ist noch viel mehr herauszuho­len“

Marke Eigenbau: ein aus einem alten Bogenfenst­er gefertigte­s Puppenthea­ter.

Stiftebech­er als Werkarbeit in der 10. Klasse.

mit Material vom eigenen Arbeitspla­tz.

Möglich geworden ist die kleinteili­ge, von Staatskanz­lei und Sparkassen­stiftung Weimar-Weimarer Land geförderte Ausstellun­g nur dank zahlreiche­r Leihgaben von Privatpers­onen sowie aus den Museen in Leutenthal und Ingerslebe­n. Ohne deren Exponate wäre schlicht nicht zu vermitteln gewesen, dass aus quasi Nichts letztlich doch immer erstaunlic­h viel entstanden ist.

 ?? FOTOS (3): SIBYLLE GÖBEL ??
FOTOS (3): SIBYLLE GÖBEL
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany