Thüringische Landeszeitung (Jena)
Ampel verteidigt Waffenlieferung
Ministerium: Raketen sind nicht schrottreif
Berlin. Die Bundesregierung hat Vorwürfe zurückgewiesen, die Ukraine mit schrottreifen Waffen be- liefern zu wollen. Die Bundeswehr gebe nur „handhabungssicheres Material“an die Ukraine weiter, teilte das Verteidigungsministe- rium mit. Sollte der Bundessicher- heitsrat zustimmen, könnten wei- tere Militärgüter geliefert werden.
Dazu gehören etwa 2700 Strela- Flugabwehrraketen aus DDR-Be- ständen. Der „Spiegel“berichtete, Hunderte dieser Raketen seien nicht mehr zu gebrauchen. Das Al- ter der Waffen, die noch aus sowje- tischer Produktion stammen, ist Experten zufolge aber kein Prob- lem. In der ukrainischen Armee werden die Raketen eingesetzt.
Die Vorsitzende des Verteidi- gungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), mahnt Verschwiegenheit an. „Das Geplapper über welche Waffen wann und wohin geliefert werden, muss aufhören“, sagte sie unserer Redaktion. „Wir gefährden den Einsatz, den Transport und damit auch das Leben unserer Leute.“
Der ukrainische Botschafter in Berlin fordert nun von Deutsch- land die Lieferung „schwerer Waf- fen“und Patriot-Flugabwehrsyste- men. Dem TV-Sender „Welt“sagte Andrij Melnyk am Freitag: „Diese Waffensysteme stehen auf der Lis- te, die wir gestern an die Bundesre- gierung geschickt haben.“
Was ist in Saporischschja passiert? Ukrainische Behörden meldeten in der Nacht zum Freitag, dass das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine von russischen Truppen angegriffen werde. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem gezielten Beschuss durch russische Panzer und warf Russland „Nuklearterrorismus“vor. Videobilder eines LiveFeeds im Internet zeigten Explosionen und Rauchwolken über der Atomanlage. In einem Gebäude für Ausbildungszwecke auf dem Gelände brach demnach bei dem Angriff Feuer aus, die Reaktorblöcke waren nicht betroffen. Laut den ukrainischen Behörden wurde der Brand am Morgen gelöscht.
Russland gab angeblichen ukrainischen Saboteuren die Schuld. Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York, eine russische Einheit sei von einer „ukrainischen Sabotagegruppe“von dem Ausbildungskomplex aus angegriffen worden. Bei ihrem Rückzug hätten die Ukrainer die Ausbildungsstätte in Brand gesteckt.
Laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wurden zwei ukrainische Sicherheitsmitarbeiter verletzt. Der ukrainische AKW-Betreiber Energoatom sprach laut Medienberichten von drei ukrainischen Soldaten, die bei der Verteidigung des Werkes getötet worden seien, sowie von Verletzten.
Videoaufnahmen aus dem Kraftwerk zeigen Explosionen auf dem Gelände in der Nacht zu Freitag. lung wurde durch den Angriff nicht freigesetzt: IAEA-Chef Rafael Grossi sagte am Freitag, die Sicherheitssysteme der sechs Reaktoren seien „in keiner Weise beeinträchtigt“.
Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat „bislang keinen Hinweis auf eine freigesetzte erhöhte Radioaktivität durch das ukrainische AKW“. Die aktuelle Wetterlage würde voraussichtlich auch in den nächsten 48 bis 72 Stunden keine Luftmassen von dem rund 1400 Kilometer entfernten Reaktor nach Deutschland bringen, sagte Florian Gering, Leiter der Abteilung Radiologischer Notfallschutz beim BfS.
RUS
UKR umgeben, die sie gegen Feuer oder andere Unglücke abschirmen soll. Die Reaktoren in Saporischschja sind derart geschützt, dass sie den Aufprall eines Flugzeugs mit zehn Tonnen Gewicht bei einer Geschwindigkeit von 750 km/h aushalten würden, sagte Uwe Stoll, Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Ob dies auch für einen direkten Bomben- oder Raketenangriff ausreiche, sei aber unklar.
Wie viele Kernkraftwerke gibt es in der Ukraine?
Saporischschja ist mit fast 6000 Megawatt das größte Atomkraftwerk in Europa und kann etwa vier Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Unter normalen Umständen liefert es ein Fünftel des ukrainischen
Das AKW Saporischschja auf einem Satellitenbild 2019. In normalen Zeiten liefern die sechs Blöcke ein Fünftel des ukrainischen Stroms.
Stroms und fast die Hälfte der Kernenergie des Landes. In der Ukraine sind 15 Reaktoren in Betrieb. Alle sind Druckwasserreaktoren vom sowjetischen Typ WWER an vier Standorten: Saporischschja (sechs Blöcke), Riwne (vier Blöcke), Chmelnyzkyj (zwei Blöcke), Südukraine (drei Blöcke). Hinzu kommen die drei stillgelegten Blöcke des Typs RBMK am Standort Tschernobyl sowie der havarierte Block 4. Zwölf der Reaktoren haben ihre Laufzeiten bereits um 10 oder sogar 20 Jahre überschritten.
Warum hat Putin das Atomkraftwerk angegriffen?
Der ehemalige deutsche Brigadegeneral Erich Vad sieht die Besetzung des Kraftwerks nicht als neue Eskalationsstufe, sondern als Fortsetzung
der bisherigen russischen Strategie. „Für die russische Armee ist es ein Ziel, mit ihrem Vorrücken kritische Infrastruktur in der Ukraine unter ihre Kontrolle zu bringen“, erklärte Vad unserer Redaktion. Bei der Besetzung gehe es aus militärischer Sicht darum, die Anlage zu sichern. „Ich denke daher nicht, dass Russland ein gezieltes Interesse daran hat, dort eine Nuklearkatastrophe auszulösen“, sagte Vad.
Wie reagiert die Nato?
Die Nato ist alarmiert. „Das demonstriert die Rücksichtslosigkeit dieses Krieges“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er forderte ein Ende des Krieges: Russland müsse all seine Truppen zurückziehen und sich in diplomatische Bemühungen einschalten.