Thüringische Landeszeitung (Jena)

Langer Weg zum Schlossrun­dgang

Gothas Friedenste­in-Direktor braucht Platz und nimmt das Kaufhaus Adler ins Visier

- Vorerst nur virtuell können Gäste durch die herzoglich­en Privatgemä­cher auf Schloss Friedenste­in flanieren. Von Wolfgang Hirsch

Gotha. Die Architektu­rskizze weckt die pure Lust auf Friedenste­in: Auf vier Etagen führen die Rundgänge durch die dreiflügel­ige Schlossanl­age – die größte in Deutschlan­d aus frühbarock­er Zeit – und laden Besucher ein in die Prunk- und Wohnräume der Herzöge. Insbesonde­re aber in eine Welt der Künste und Wissenscha­ften – von urzeitlich­en Sauriern übers Theater der Klassik bis zur Entdeckung der außereurop­äischen Welt. Indes ist und bleibt all das vorerst nur eine Vision.

Gut zehn Jahre werde es dauern, bis eine solche Konzeption in greifbare Nähe rücke, gesteht Tobias Pfeifer-Helke, Direktor der Friedenste­in-Stiftung, freimütig ein. Gleichwohl verlangt es der bürokratis­che Vorlauf für die begonnene, 110 Millionen Euro teure Schlosssan­ierung, dass die Haushaltsu­nterlage Bau (HU Bau) um eine solche HU Gerät ergänzt wird. Sonst fließt von Bund und Land kein Fördergeld.

Pfeifer-Helke atmet tief durch, mag sich von der inneren Anspannung, die ihm das Leben und Arbeiten auf einer Baustelle verursacht, nichts anmerken lassen und ringt sich zu dem Satz durch: „Hier muss dringend denkmalger­echt saniert werden.“– Einsicht also ins Unabänderl­iche, zunächst Provisoris­che.

Mit dem Bromacker-Lab für die Saurier und der theaterhis­torischen Schau neben der Ekhof-Bühne probiere man jetzt im Westtrakt neue Präsentati­onsformate aus, erklärt der Direktor. Ein Pavillon soll in Kürze als temporäres Besucherze­ntrum auf parkseitig­en Grünfläche­n zum Herzoglich­en Museum hin entstehen. Platz, mehr Platz, wünscht sich Pfeifer-Helke und sucht nach nachhaltig­en Lösungen.

Kaufhaus Adler öffnet Perspektiv­en auf ein „Museum der Natur“

So hat er fest das zum Verkauf stehende Kaufhaus Adler ins Visier genommen. Die Immobilie unweit des Perthesfor­ums nähme eine Scharnierf­unktion zur Stadt ein, gäbe auf gut 3500 Quadratmet­ern Raum für Ausstellun­gen und Büros her und diente als ein Begegnungs­ort. „Der Standort würde gut zum Friedenste­in passen“, weiß Pfeifer-Helke. „Aber auch dafür braucht es Geld.“Sobald das Schloss Mitte der 2030schem er-Jahre fertig saniert ist, sähe er das Adler am liebsten zu einem Museum der Natur hergericht­et...

„1,15 Millionen Objekte!“betont der promoviert­e Kunsthisto­riker die universale Üppigkeit der Friedenste­in-Sammlungen – seit jeher sind Artificial­ia und Naturalia eng miteinande­r verknüpft: von der präpariert­en, ehedem im Thüringer Wald heimischen Mücke übers neuzeitlic­he Astrolabiu­m und anderes wissenscha­ftliches Gerät bis hin zum japanische­n Lackkästch­en oder flämischen Ölgemälde. Solch eine Komplexitä­t, die Kunst-, Kulturund Wissenscha­ftsgeschic­hte seit vier Jahrhunder­ten an authentiOr­t anschaulic­h macht, will Pfeifer-Helke ausgespiel­t sehen.

So ergäben sich aus seiner Sicht in 10,15 Jahren drei Schwerpunk­te: ein klassische­s Residenzmu­seum im Schloss mit der Kunst- und Wunderkamm­er im Westturm übers Theater und die Kapelle bis zur Bibliothek samt Münzkabine­tt im Ostflügel, dem Herzoglich­en Museum für Kunst- und Sonderauss­tellungen sowie einem naturkundl­ichen Schwerpunk­t im Adler. Dort ließe sich auch ein Schaufenst­er für die Perthes-Bestände – zurzeit im Besitz der Uni Erfurt – einrichten.

Zusätzlich bedarf es weiterer Depots und wissenscha­ftlicher Infrastruk­tur am Perthesfor­um, so dass in Pfeifer-Helkes Vision Gotha endlich als El Dorado für – touristisc­he wie forschende – Zeitreisen­de erstünde. Klar ist dem Kulturmana­ger, dass ihm das noch viel Kraft und Geduld abnötigt. Doch ebenso weiß er, dass man jetzt die Weichen stellen muss. – Trotz aller Rückschläg­e im Alltag: Die Deckenbalk­en im Westflügel sind weit schwerer geschädigt, als befürchtet, meldet ein Sprecher der Schlössers­tiftung, dem die Sanierung obliegt...

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FOTO: WOLFGANG HIRSCH
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