Thüringische Landeszeitung (Jena)
Verruchte Welt des Montmartre
Geraer Ausstellung zeigt Ikonen der Plakatkunst von Toulouse-Lautrec und Zeitgenossen
Gera. Ende des 19. Jahrhunderts ist Paris die Welthauptstadt der Plakatkunst. Künstler wie Henri de Toulouse-Lautrec und Alfons Mucha entwerfen Ikonen des Genres. Ihre Motive spiegeln das pulsierende, schillernde Leben der Metropole wider. Es sind wahre Blickfänge, die seinerzeit eine Affichomanie auslösen, einen Plakatwahn. Die großformatigen Bilder sind zuweilen so beliebt, dass sie von den Litfaßsäulen und Plakatwänden gerissen und entwendet werden.
Das Museum für Angewandte Kunst in Gera zeigt seit Dienstag in der Ausstellung „La Bohème – Toulouse-Lautrec und die Meister vom
Das Werbeplakat von Alfons Mucha für die Zigarettenpapier-Marke „JOB“.
Montmartre“mehr als 100 Glanzstücke der frühen Plakatkunst, darunter das gesamte Plakatwerk von Toulouse-Lautrec.
Sie stammen aus der Sammlung des belgischen Musée d’Ixelles bei Brüssel. Da das Haus derzeit saniert wird, schickte das Museum seine Schätze auf Wanderschaft. Nach Italien, Linz und Berlin folgt Gera. Zum Auftaktpressegespräch war überraschend auch der belgische Botschaftsrat Alexander Homann zugegen, der – selbst ein großer Liebhaber der Plakatkunst – auf einer Vogtlandreise einen Abstecher nach Gera machte.
Schon im Eingangsbereich werden die Gäste von drei Meisterwerken von Henri de Toulouse-Lautrec in Empfang genommen. Sie zeigen allesamt den französischen Sänger Aristide Bruant. Auffällig, geradezu exzentrisch wirkt sein roter beziehungsweise gelber Schal, der vor dem schwarzem Mantel Signalwirkung entwickelt.
Toulouse-Lautrec und die Künstler des Montmartre entwerfen seinerzeit Plakate für Tanzlokale, Kabaretts und Bordelle, aber auch für Konsumgüter aller Art. Ihre lebensbejahenden Motive versprühen heute noch den Optimismus und die Lebensfreude, die die Belle Èpoque in Paris bis zum Ersten Weltkrieg auslöste.
Ob Cancan tanzende Mädchen, Rad fahrende Damen, Champagner trinkende Grazien oder weibliche
Schauspielstars und Sängerinnen: Die Frau sei damals als Werbeträger entdeckt worden, sagt Museumsmitarbeiterin Julia Ortmeyer.
Alfons Mucha setzt beispielsweise eine genüsslich-versunkene Dame ins Zentrum seines Werbeplakats für die Zigarettenpapier-Marke JOB. Die wallenden, stilisierten Locken waren sein Markenzeichen. Sie wurden von Zeitgenossen scherzhaft „Muchas Makkaroni“getauft. Eine Dame war es im Übrigen auch, die Alfons Mucha einst zum Durchbruch in Paris verhalf. Durch Zufall erfuhr er, dass die gefeierte Schauspielerin Sarah Bernhardt einen Plakatkünstler für eine Theaterproduktion suchte und bot sich kurzerhand an. In der Folge schloss er mit Bernhardt einen Sechsjahresvertrag, entwarf für sie auch Kostüme und Bühnenbilder. Oft hielten Künstler wie ToulouseLautrec, Mucha, Théophile-Alexandre Steinlen und Jules Chéret auf ihren Werbebildern die Persönlichkeiten ihrer Zeit fest, machten sie so unsterblich.
Die hochkarätige Ausstellung enthüllt in sechs Themenbereichen spannende Geschichten hinter den Bildern. Sie ist ein Glücksfall für Gera – und für ganz Thüringen.