Thüringische Landeszeitung (Jena)
Schussfahrt aus dem Krieg bis nach Jena
Der Ukrainer Roman Yarish freut sich, Mutter und Geschwister in unserer Stadt begrüßen zu können
Jena. Mira Yarish (45) hat es mit ihren Kindern Marta (17) und Ivan
(14) geschafft. Sie sind der Kriegshölle entkommen, haben ihre westukrainische Heimatstadt Lemberg (Lwiw) hinter sich gelassen und in Jena sicheren Hafen gefunden. Tief durchatmen kann deshalb auch Roman Yarish, der große Bruder von Marta und Ivan. Der 25-Jährige lebt in Jena, arbeitet seit August 2021 als Kellner im Turmrestaurant „Scala“.
2016 hatte er seine Heimat zwecks Ausbildung zur Hotel- und Restaurantfachkraft gen Deutschland verlassen.
Roman Yarish weilte im Jahresurlaub in der Dominikanischen Republik, als Putins Krieg gegen die Ukraine losbrach. Panisch habe er eine Woche vorzeitig den Urlaub beendet, um der Familie zu helfen, berichtet der junge Mann. Alsbald sei vermeldet worden, dass RussenJagdflieger schon über die Westukraine ziehen; dass die Kirchenglocken in Lemberg dauerläuten und die Menschen in Kellern schlafen. „Ich hatte große Angst um die Kinder. Ich wusste, es kann jederzeit etwas passieren“, sagte Mira Yarish.
Roman Yarish (2. von rechts) atmet durch. Endlich hat er seine Mutter Mira (Mitte), Schwester Marta und seinen Bruder Ivan aus dem westukrainischen Lemberg (Lwiw) bei sich in Jena. Die Geschwister und die Mutter fanden eine Bleibe im Haus von Jörg Hempfe (2. von links).
Axthiebe und Sekundenschlaf
Ihr großer Sohn hatte derweil in Jena über das soziale Netzwerk Kontakt zu Leuten aus Münster, die mit
einem Gemeinde-Kleinbus Flüchtlinge von der polnischen Grenze in Richtung Deutschland bringen. Nur musste sich Mira Yarish mit den Kindern per Anhalter erst zur Grenze durchschlagen. Familienvater Michael (50) blieb wegen der Mobilmachung zurück. Auch die drei Familienhunde konnten nicht mit. Ja, Marta und Ivan sei nicht einmal Zeit geblieben, sich von den Großeltern zu verabschieden. Was Roman Yarish jetzt noch fassungslos sein lässt: In der Warteschlange an der Grenze hätten Männer mit Messer- und Axthieben versucht, sich vorzudrängeln. Und noch mehr Drama! Der Fahrer des Münsteraner Kleinbusses sei am Steuer eingeschlafen. Zusammenstoß im Gegenverkehr. Zum Glück seien alle mit dem Schreck davongekommen. An der Lobeda-Autobahnabfahrt konnten Roman und sein Kollege Jörg Hempfe die Yarishs vor drei Tagen nachts um 3 in Empfang nehmen.
Angekommen! Das können die Yarishs jetzt auch dank der Familie von Jörg Hempfe sagen. In seinem Haus in Jena-Ost räumte Hempfe ein Gästezimmer, ein Büro, ein Bad für die drei Yarishs frei. Eine gewisse Vertraulichkeit war da, weil Roman Yarish schon lange bei Hempfes Eltern in Jena-Nord zur Untermiete wohnt. Hempfe arbeitet wie
Roman Yarish im „Scala“, aber nicht als Kellner, sondern als Projektmanager bei seinem Bruder Christian, dem „Scala“-Inhaber.
„Ich hatte Gänsehaut“
Jörg Hempfe beschrieb, wie sein Sohn und er einen Tag vor Ankunft der Ukrainer von Corona freigetestet worden waren. – Wie in der eigenen Familie gerade mit anderen komplizierten Krankheitsnachrichten gerungen wird. Da tue diese Freude am Helfen gut. Fast sprachlos ist Hempfe wegen der Reaktion auf seinen Facebook-Post mit der Bitte um Hilfe. „Das ging viral“; ruckzuck sei ein kleiner vierstelliger Privatspendenbetrag beisammen gewesen. „Ich hatte Gänsehaut.“
Im Hause Hempfe finden die Yarishs vielleicht ein bisschen zu sich. Zumal Hempfes Sohn Julian so alt ist wie Ivan. Zumal Labrador-Retriever-Mischling Anton darüber hinwegtröstet, dass die drei Hunde daheim bleiben mussten. Ja, Mira Yarish, ausgebildete Malerin, hat sich überreden lassen, dass eine Staffelei besorgt wurde. Erstmals seit Jahren malte sie wieder. Am Freitag stand Bürokratisches an: die Meldung des Hauptwohnsitzes.