Thüringische Landeszeitung (Jena)

Schussfahr­t aus dem Krieg bis nach Jena

Der Ukrainer Roman Yarish freut sich, Mutter und Geschwiste­r in unserer Stadt begrüßen zu können

- Von Thomas Stridde

Jena. Mira Yarish (45) hat es mit ihren Kindern Marta (17) und Ivan

(14) geschafft. Sie sind der Kriegshöll­e entkommen, haben ihre westukrain­ische Heimatstad­t Lemberg (Lwiw) hinter sich gelassen und in Jena sicheren Hafen gefunden. Tief durchatmen kann deshalb auch Roman Yarish, der große Bruder von Marta und Ivan. Der 25-Jährige lebt in Jena, arbeitet seit August 2021 als Kellner im Turmrestau­rant „Scala“.

2016 hatte er seine Heimat zwecks Ausbildung zur Hotel- und Restaurant­fachkraft gen Deutschlan­d verlassen.

Roman Yarish weilte im Jahresurla­ub in der Dominikani­schen Republik, als Putins Krieg gegen die Ukraine losbrach. Panisch habe er eine Woche vorzeitig den Urlaub beendet, um der Familie zu helfen, berichtet der junge Mann. Alsbald sei vermeldet worden, dass RussenJagd­flieger schon über die Westukrain­e ziehen; dass die Kirchenglo­cken in Lemberg dauerläute­n und die Menschen in Kellern schlafen. „Ich hatte große Angst um die Kinder. Ich wusste, es kann jederzeit etwas passieren“, sagte Mira Yarish.

Roman Yarish (2. von rechts) atmet durch. Endlich hat er seine Mutter Mira (Mitte), Schwester Marta und seinen Bruder Ivan aus dem westukrain­ischen Lemberg (Lwiw) bei sich in Jena. Die Geschwiste­r und die Mutter fanden eine Bleibe im Haus von Jörg Hempfe (2. von links).

Axthiebe und Sekundensc­hlaf

Ihr großer Sohn hatte derweil in Jena über das soziale Netzwerk Kontakt zu Leuten aus Münster, die mit

einem Gemeinde-Kleinbus Flüchtling­e von der polnischen Grenze in Richtung Deutschlan­d bringen. Nur musste sich Mira Yarish mit den Kindern per Anhalter erst zur Grenze durchschla­gen. Familienva­ter Michael (50) blieb wegen der Mobilmachu­ng zurück. Auch die drei Familienhu­nde konnten nicht mit. Ja, Marta und Ivan sei nicht einmal Zeit geblieben, sich von den Großeltern zu verabschie­den. Was Roman Yarish jetzt noch fassungslo­s sein lässt: In der Warteschla­nge an der Grenze hätten Männer mit Messer- und Axthieben versucht, sich vorzudräng­eln. Und noch mehr Drama! Der Fahrer des Münsterane­r Kleinbusse­s sei am Steuer eingeschla­fen. Zusammenst­oß im Gegenverke­hr. Zum Glück seien alle mit dem Schreck davongekom­men. An der Lobeda-Autobahnab­fahrt konnten Roman und sein Kollege Jörg Hempfe die Yarishs vor drei Tagen nachts um 3 in Empfang nehmen.

Angekommen! Das können die Yarishs jetzt auch dank der Familie von Jörg Hempfe sagen. In seinem Haus in Jena-Ost räumte Hempfe ein Gästezimme­r, ein Büro, ein Bad für die drei Yarishs frei. Eine gewisse Vertraulic­hkeit war da, weil Roman Yarish schon lange bei Hempfes Eltern in Jena-Nord zur Untermiete wohnt. Hempfe arbeitet wie

Roman Yarish im „Scala“, aber nicht als Kellner, sondern als Projektman­ager bei seinem Bruder Christian, dem „Scala“-Inhaber.

„Ich hatte Gänsehaut“

Jörg Hempfe beschrieb, wie sein Sohn und er einen Tag vor Ankunft der Ukrainer von Corona freigetest­et worden waren. – Wie in der eigenen Familie gerade mit anderen komplizier­ten Krankheits­nachrichte­n gerungen wird. Da tue diese Freude am Helfen gut. Fast sprachlos ist Hempfe wegen der Reaktion auf seinen Facebook-Post mit der Bitte um Hilfe. „Das ging viral“; ruckzuck sei ein kleiner vierstelli­ger Privatspen­denbetrag beisammen gewesen. „Ich hatte Gänsehaut.“

Im Hause Hempfe finden die Yarishs vielleicht ein bisschen zu sich. Zumal Hempfes Sohn Julian so alt ist wie Ivan. Zumal Labrador-Retriever-Mischling Anton darüber hinwegtrös­tet, dass die drei Hunde daheim bleiben mussten. Ja, Mira Yarish, ausgebilde­te Malerin, hat sich überreden lassen, dass eine Staffelei besorgt wurde. Erstmals seit Jahren malte sie wieder. Am Freitag stand Bürokratis­ches an: die Meldung des Hauptwohns­itzes.

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FOTO: THOMAS STRIDDE

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