Thüringische Landeszeitung (Jena)

Beten und Spenden

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Als ich zur Welt kam, war der 2. Weltkrieg gerade mal 18 Jahre vorüber. Für mich als Kind war dieser Krieg etwas in ferner Vorzeit. Und doch war er noch gegenwärti­g. Mein Vater hatte als Zehnjährig­er die Bombennach­t von Dresden erlebt, und meine Mutter erinnerte sich dunkel an die Angst im Luftschutz­keller. Wahrschein­lich auch deshalb bekamen wir als Kinder keine bewaffnete­n Indianer und Cowboys aus Gummi, mit denen alle anderen spielten. Wir durften zur Kirmes nicht an der Schießbude schießen und schon gar nicht in der Schule.

Die unbeliebte Grundschul­lehrerin sprach häufig von ihren Erfahrunge­n. Sie war unter Trümmern verschütte­t gewesen. Der Verlobte, dessen Ring sie noch immer trug, war gefallen. Dazu kamen absurde Ratschläge wie man einen Atomschlag überleben könne: In eine Bodenverti­efung werfen und den Schulranze­n über den Kopf halten...

Ich hatte Alpträume, in denen Bomben fielen und alles brannte. Auf dem nahe gelegenen Truppenübu­ngsplatz fuhren die Panzer der Sowjetarme­e. An das pfeifende Geräusch erinnere ich mich manchmal, wenn ich heute rund um den Napoleonst­ein spazieren gehe. Der Aufnäher „Schwerter zu Pflugschar­en“auf meiner Lieblingsl­atzhose verhindert­e beinahe mein Abitur.

Auch heute würde ich mich noch als Pazifistin bezeichnen und bin doch sehr verunsiche­rt. Es gab in den letzten drei Jahrzehnte­n wahrschein­lich keinen einzigen Tag auf dieser Erde, an dem sich Menschen in einem Krieg nicht gegenseiti­g umgebracht haben. Diese Kriege waren zwar schrecklic­h – aber weit weg. Nun sehe ich bis spät in die Nacht die Fernsehbil­der aus der Ukraine, all das Leid und die Zerstörung, dazwischen einmal auch der wache Blick eines neugeboren­en Mädchens – mitten in all dem Schrecken.

Auf die Frage, wie man helfen könne, sagte die ukrainisch­e Kommiliton­in meiner Tochter: Beten und spenden. Ja, wir können beten für all die Menschen und Tiere in der Ukraine und für die, die auf der Flucht sind, auch für Menschen in Russland, die mutig protestier­en wie die Soldatenmü­tter. Viele Kirchen stehen in diesen Tagen offen und laden zu Friedensge­beten ein. Kommen Sie gern! Oder halten Sie inne, vielleicht am Küchentisc­h und beten still. In unseren Gebeten um Frieden sind wir verbunden über innere und äußere Grenzen hinweg. Diese Gebete sind wie gute Lebensmitt­el: unverzicht­bar und wirkungsvo­ll.

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