Thüringische Landeszeitung (Jena)

Sorgenfrei an jedes Problem zu gehen – das liegt den wenigsten. Im Gegenteil: Häufig befürchtet man voreilig die schlimmste­n Katastroph­en. Die Lebenshilf­e-Expertin Anne-Katrin Petsch erklärt, wie sich das ändern lässt

- Von Amelie Breitenhub­er

Das menschlich­e Gehirn ist auf Gefahren trainiert, sagt Coach Anne-Katrin Petsch. Das kann im Job ausbremsen. Denn viele Sorgen, die man sich vor einer Präsentati­on, einem Personalge­spräch oder Jobwechsel macht, treten am Ende gar nicht ein. Was aber hilft, wenn sich die Katastroph­engedanken überschlag­en? Die Lebenshilf­e-Expertin Petsch erklärt im Interview, wie man die gewohnten Denkmuster durchbrich­t.

Ich denke, das ist etwas Urmenschli­ches. Wir sind seit jeher daraufhin trainiert, unsere Umgebung nach Gefahren abzuscanne­n. Besonders, wenn wir uns auf neues Terrain begeben. Dieser Gefahrenra­dar ist in uns angelegt und springt auch heute noch an, wenn wir zum Beispiel einen Vortrag halten müssen, ein Vorstellun­gsgespräch haben oder uns beruflich neu orientiere­n.

Der Klassiker, den fast jeder kennt, ist: Man muss eine Rede oder eine Präsentati­on halten. Da kommen schnell Gedanken an die ultimative Katastroph­e hoch. Etwa: Wir verhaspeln uns, wir verlieren den roten Faden, wir haben ein Blackout. Typisch für Katastroph­endenken ist, dass es so überspitzt ist, dass man den eigenen Anschluss an die Realität verliert. Die Gedanken verselbsts­tändigen sich wie Dominostei­ne. Zum Beispiel eine Führungskr­aft, die eigentlich Aufgaben abgeben muss, aber denkt: Wenn ich das nicht mehr selbst mache, setzt das Team das Projekt sicher in den Sand.

Ich glaube, Katastroph­endenken ist bis auf eine Ausnahme grundsätzl­ich immer hinderlich. Denken wir

Viel zu oft malen wir uns vor berufliche­n Herausford­erungen aus, was alles schief gehen könnte.

an das Beispiel berufliche Neuorienti­erung: Wenn wir uns ausmalen, was alles schiefgehe­n kann, wird uns das für immer daran hindern, den Schritt in einen neuen Job zu wagen. Und das, obwohl wir vielleicht total unglücklic­h mit unserer derzeitige­n Stelle sind.

Das Problem ist, dass unser Gehirn in eine Art Überlebens­modus schaltet, auch wenn die Situation eigentlich gar nicht lebensbedr­ohlich ist. In diesem Zustand sind wir aber nicht in der Lage, konstrukti­v oder kreativ zu denken. Wir schränken uns und unseren Gestaltung­sspielraum ein.

Ein Anwendungs­fall, in dem uns Katastroph­endenken dienen kann, ist das Worst-Case-Szenario. Das kann man am Beispiel eines Vortrags veranschau­lichen. Und zwar, indem man vor dem Vortrag eine Reihe von „Und-dann-Fragen“stellt. Man überlegt sich, was das Schlimmste ist, das passieren kann.

Etwa so: Ich verliere den Faden. Und dann? Muss ich in meine Notizen schauen. Und dann? Werde ich vielleicht rot. Und dann? Muss ich neu ansetzen. Und dann? Setze ich den Vortrag fort. Diese Fragen führen zur Erkenntnis, dass es immer irgendwie weitergeht - und dass es gar nicht so wahrschein­lich ist, dass alle Katastroph­en, die wir uns ausmalen, auch eintreten.

Das Problem an Katastroph­endenken ist, dass es sehr schnell und unbewusst eintritt. Wir merken es eher an unseren Gefühlen als an unseren

Gedanken. Wir fühlen uns klein, wir fühlen uns schlecht. Als ErsteHilfe-Maßnahme können wir auf unseren Atem achten, fühlen, wie sich unser Brustkorb hebt und senkt. Oder wir stellen unsere Füße fest auf den Boden und versuchen, mit jedem Zeh einzeln zu wackeln. Es hilft auch, sich auf die Umgebungsg­eräusche zu konzentrie­ren und wahrzunehm­en, was man in dem Moment alles hören kann. Es reicht meistens, diese Übungen für 20 Sekunden zu wiederhole­n.

Wie immer gilt: Übung macht den Meister. Es geht darum, gewohnte Gedankenwe­ge mit neuen zu überschrei­ben. Dabei können uns kleine Übungen unterstütz­en. Um sie zur Gewohnheit zu machen, braucht es etwas Zeit. Rund zehn Wochen sollte man dranbleibe­n.

Eine Übung, die ich empfehlen kann, ist zum Beispiel der Gedanken-Download. Am besten setzt man sich dazu morgens hin und schreibt alle Gedanken auf, die einem in den Sinn kommen. Man fragt sein Gehirn immer wieder: Und was ist da noch?

Diese Wahrnehmun­gsübung schafft ein Bewusstsei­n für die eigenen Gedanken. Schreibe ich vor einem Vortrag etwa: „Oh Gott, das wird eine Katastroph­e“oder „Mal sehen, was da kommt.“Gleichzeit­ig kann man die bereits erwähnten Erste-Hilfe-Maßnahmen trainieren. Da reicht es für den Anfang schon, sich dreimal am Tag vom Handy erinnern zu lassen und diese Übungen zu machen. Das kann man mit täglichen Ritualen verbinden, etwa morgens in der Dusche, in der Mittagspau­se oder beim Toiletteng­ang. Mit der Zeit wird dann sozusagen der Muskel stärker, der den Wechsel zwischen den Betriebssy­stemen unseres Gehirns steuert. Wer das über Wochen macht, dem wird es irgendwann immer leichter fallen, den Überlebens­modus zu beenden. Viele merken schon mit diesen relativ einfachen Maßnahmen, dass sie nach einer Zeit angstfreie­r und entspannte­r durchs Leben gehen.

 ?? FOTO: ISTOCKPHOT­O ??
FOTO: ISTOCKPHOT­O
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany