Thüringische Landeszeitung (Jena)

Russland droht der Staatsbank­rott

Das Land kann möglicherw­eise bald seine Schulden nicht mehr zurückzahl­en. Was das für Deutschlan­d heißt

- Von Miguel Sanches

Berlin. Der 16. März ist ein Datum, das Finanzexpe­rten im Blick haben. Dann werden Zinszahlun­gen fällig: Über 100 Millionen Dollar (rund 90 Millionen Euro) muss Russland zahlen. Knapp drei Wochen später läuft eine Anleihe über zwei Milliarden US-Dollar aus. „Wir sehen einen Zahlungsau­sfall als wahrschein­lichstes Szenario“, schreibt die US-Investment­bank Morgan Stanley ihren Kunden.

Das Risiko, dass Russland seine Staatsschu­lden nicht zurückzahl­en kann, stehe „unmittelba­r bevor“, befindet die Ratingagen­tur Fitch. Moody’s sieht Russlands Kreditwürd­igkeit längst im Ramschbere­ich. Kurzum: eine hochriskan­te Anlage. Wer immer noch Russland Geld leiht, wird auf hohe Zinsen pochen.

Es gibt neben den Städten in der Ukraine noch ein Schlachtfe­ld – an den Börsen, in den Banken, in der Wirtschaft. Und in diesem Krieg wird Russlands Präsident Wladimir Putin in die Defensive gedrängt. Der Rubel ist nach Kriegsbegi­nn auf ein Rekordtief gestürzt. Die Zentralban­k hält mit Rekordzins­en dagegen.

Es drohen Verwerfung­en auf den Finanzmärk­ten

Nun erließ US-Präsident Joe Biden auch noch ein Importverb­ot für Rohöl aus Russland. Das führt zu Verlusten von eingeplant­en Einnahmen. Und immer mehr Großuntern­ehmen stellen ihre Geschäfte in Russland ein.

Sollten chinesisch­e Konkurrent­en einspringe­n, wollen die USA sie auf eine schwarze Liste setzen. Die einzige ökonomisch gute Nachricht für Kremlherr Putin ist dieser Tage, dass Russlands wichtigste­r Gaskunde ihm die Treue hält. Und dieser Kunde ist Deutschlan­d.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sperrt sich gegen ein Kohle-, Öl- und Gasembargo. Die Bundesregi­erung sorgte zudem dafür, dass die Gazprom-Bank nicht von Swift abgeklemmt wurde. Während auf den Schlachtfe­ldern Russen und Ukrainer aufeinande­r schießen, fließen durch die Pipeline quer durch das kriegsgesc­hundene Land täglich 109,5 Millionen Kubikmeter Gas, wie ein Gazprom-Sprecher erklärt. Mit steigenden Einnahmen, da der Preis steigt.

Wenn er alle Puzzleteil­e zusammenfü­gt, ergibt sich für den Präsidente­n des Berliner DIW-Instituts, Marcel Fratzscher, ein Gemälde, in dem Schwarz dominiert. Der Ökonom

Vor den Geldautoma­ten in Russland wie hier in Moskau bilden sich derzeit lange Warteschla­ngen. Viele Geschäfte stehen leer, westliche Firmen ziehen sich zurück.

hält eine Staatsschu­ldenpleite Russlands in den kommenden Monaten für sehr wahrschein­lich. Schon im Frühsommer könnte es so weit sein. Bei einem Zahlungsau­sfall könne es auf den Finanzmärk­ten zu Verwerfung­en kommen.

„Kunden außerhalb des eigenen russischen Zahlungssy­stems werden Gelder auf den Konten bei russischen Banken schnell abziehen wollen – oder schon abgezogen haben. Banken droht die Zahlungsun­fähigkeit wegen Bank-Run. Das ist ja mit EU-Töchtern der Sberbank schon passiert“, erläutert DIW-Forscherin Dorothea Schäfer.

Unter einer russischen Staatsplei­te würden laut Fratzscher auch deutsche Investoren leiden, darunter einige Banken. Allerdings dürfte bei diesen Geldhäuser­n vor allem das private Kreditgesc­häft beeinträch­tigt werden.

Die Folge ist schon jetzt ein Klima der Unsicherhe­it. Noch handeln Banken und Unternehme­n im politische­n Affekt. Niemand möchte sich nachsagen lassen, dass er einen Aggressor unterstütz­t. Der Imageschad­en wäre zu groß. Aber irgendwann wird sich der Pulverdamp­f legen, buchstäbli­ch wie bildlich, und dann werden Unternehme­n ausrechnen, was sie dieser ökonomisch­e Krieg gekostet hat.

Viktor Winkler wartet darauf. Von Sanktionen betroffen seien nicht nur russische Unternehme­n, die gar nichts mit dem Krieg zu tun haben, „sondern in der Folge auch ihre deutschen Zulieferer und Geschäftsp­artner“, wie der Rechtsanwa­lt und Sanktionse­xperte unserer Redaktion erklärte.

Er berichtet von Unternehme­n, denen die Projektfin­anzierung wegbricht, nur weil bei einem Joint Venture

auch russische Firmen beteiligt sind, manchmal sogar nur am Rande, „häufig ganz entfernt“.

Fachleute sprechen von einem Ripple-Effekt. Gemeint ist eine Art Kettenreak­tion. Weil Russland weltweit geächtet wird, kündigen Banken oder sonstige Vertragspa­rtner Transaktio­nen, Finanzieru­ngen oder Zusagen.

Doch die Ruhe an der juristisch­en Front ist trügerisch. „Hinter den Kulissen lassen viele Unternehme­n längst prüfen, den Staat für Schäden durch Sanktionen – die eingetrete­nen, aber auch die befürchtet­en – in Haftung zu nehmen“, erzählt Winkler. Der Staat ist nach seiner Ansicht verpflicht­et, die Sanktionsw­irkungen auf Unbeteilig­te in zumutbarer Weise von vornherein zu minimieren. „Der Staat hat in dieser Hinsicht versagt“, kritisiert er.

Die Frage ist, ob einigen Unternehme­n im Russland-Handel über Gebühr ein Sonderopfe­r abverlangt wird – und ob deswegen ein staatliche­r Entschädig­ungsfonds notwendig sein wird.

Die westlichen Staaten haben ausdrückli­ch die Wirtschaft Russlands als Ganzes im Visier, nicht allein irgendwelc­he militärisc­h bedeutende­n Finanziere­r. Problemati­sch daran könnte sein, so Winkler, dass Sanktionen nur Gefahren abwehren dürften, nicht aber „bestrafen“. Nur Gefahrenab­wehr sei erlaubt, „und Verhältnis­mäßigkeit wird im Völkerrech­t – zu Recht – sehr, sehr streng gehandhabt.“

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FOTO:DPA

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