Thüringische Landeszeitung (Jena)
Mandelmilch
Während uns hierzulande die Frühlingssonne wärmt, wir uns ein Eis gönnen und an den nächsten Urlaub denken, frieren, hungern und sterben die Menschen in der Ukraine. Es ist eine paradoxe Parallelwelt. Der Krieg ist medial allgegenwärtig. Aber doch weit genug weg. So weit weg, dass die heimische Komfortzone weiter dazu einlädt, sich über steigende Energiepreise aufzuregen, anstatt froh zu sein, dass man in seinen nicht mehr ganz so warmen vier Wänden notfalls einen Pulli mehr anziehen könnte.
Frieren für den Frieden – wohl kaum. Lieber liefert man sich als notorisch unzufriedener Mitteleuropäer oder -deutscher ein hitziges Wortgefecht mit der hiesigen Obrigkeit. Und es ist kaum zu glauben: Im Freistaat demonstrieren immer noch viel mehr Menschen gegen die Corona-Diktatur der eigenen demokratisch gewählten Regierung als für Frieden in der Ukraine.
Derweil bereiten sich unsere Städte, Gemeinden und Landkreise auf den zu erwartenden Ansturm an Geflüchteten vor. Aber die Kommunen fühlen sich nicht ausreichend unterstützt. Das haben sie zu Recht in einem Brief an den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow deutlich gemacht und einen Flüchtlingsgipfel und die Einrichtung eines Krisenstabs gefordert.
Dass es ohne ein geordnetes Verfahren zur Aufnahme und Verteilung der Schutzsuchenden nicht gehen wird, dürfte allen klar sein. Dennoch ist ein solcher Gipfel zwischen Regierung und Spitzenverbänden erst für Ende des Monats geplant. Motto: Wir lassen uns doch nicht von einer weiteren weltweiten Krise den eigenen Zeitplan kaputtmachen.
Der für Krisen aller Art – auch bei Lebensmitteln – zuständige Bundesgesundheitsminister bringt derweil etwas mehr Verzicht ins Spiel. „Weniger Fleisch brächte weniger Tierquälerei, weniger C02, weniger Methan, weniger Hunger und bessere Gesundheit. Es spricht alles dafür. Ich esse seit 35 Jahren kein Fleisch“, twittert Karl Lauterbach. Wobei die letzten beiden Sätze einen nachdenklich machen. Aber egal.
Wenn diese Zeilen erscheinen, dauert der barbarische Überfall von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine bereits 17 Tage. Die Thüringer spenden warme Kleidung, Lebensmittel und Hygieneartikel, organisieren teilweise private Transporte Richtung Kriegsgebiet. Es ist ein überwältigendes Zeichen der Solidarität mit Menschen, die gerade dabei sind, alles zu verlieren. Vielleicht sogar ihr Leben.
Die Hilfsbereitschaft macht mich froh. Unterbewusst aber spüre ich auch Ratlosigkeit und Verzweiflung.
Und dann, in der Mittagspause werde ich ungewollt Ohrenzeuge einer wirklich wichtigen Frage. Eine Teenagertochter steht im Supermarkt vor einem Regal. Offenbar genervt von der eigenen Ahnungslosigkeit und vielleicht deshalb lautstark telefoniert sie mit ihrer Mutter: „Mama, war die Mandelmilch, die mir so geschmeckt hat, mit oder ohne Zucker?“
Das sind sie also: die wahren Probleme in unserer doch so heilen Welt.
elmar.otto@funkemedien.de