Thüringische Landeszeitung (Jena)
Auf ein Bier mit Schröder
Manche Leute fühlen sich bärenstark gewappnet gegen psychische Belastungen. Doch selbst ein tägliches Resilienz-Vollbad reicht jetzt mitunter nicht aus. Jenas SPD-Bundestagsabgeordneter Holger Becker sagt zum Beispiel, dass er immer jemand war, der einen guten Schlaf hat. Und das will bei ihm etwas heißen, der an der Seite seiner Frau ein gefragtes Biotech-Unternehmen führt. Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine schlafe er jedoch schlecht, sagt Becker im Gespräch. Und ja, auch ihn habe zum Beispiel die seltsame Haltung von Alt-SPDKanzler Gerhard Schröder umgetrieben. Dieses Festhalten an der Rolle des deutschen Patenonkels der russischen Energiewirtschaft. In dem Gespräch jedoch, das einige Tage älter ist als die Nachricht von Schröders soeben angetretener Russlandreise, hatte Becker sich einen Reim auf seinen Genossen Altkanzler zu machen versucht: Entweder Schröder sei vollständig der Realitätssinn entglitten. Oder er, der alte Putin-Freund, sehe sich als letzte Instanz, den russischen Präsidenten vom Kriegspfad abzubringen. Immer eingerechnet, dass zur Diplomatie das Gespräch mit Irren, mit Größenwahnsinnigen, mit Despoten gehört. – Statt Zerstörung des eigenen Denkmals also doch noch der Friedensnobelpreis.
Käme es so, müsste Schröder gewiss seinem weissagenden Genossen Becker in Jena einen Besuch abstatten. Schließlich waren in den letzten Wochen viele SPD-Mitglieder lautstark und deutschlandweit von ihrem Glauben an den Altkanzler abgefallen, während Becker nach dem letzten Zipfel der Verständnisinnigkeit griff. Wir stellen uns das sehr hübsch vor, wie Schröder nach dem ersten ZechStündchen Beckers Büro-Mitarbeitern zuruft: „Bringt mal noch ‘ne Flasche Bier!“