Thüringische Landeszeitung (Jena)

Laut werden und beten

-

Ich glaube nicht an einen TunErgehen­s-Zusammenha­ng. Das bedeutet, ich glaube nicht daran,dass Gebete funktionie­ren wie ein Wunschauto­mat, also: ich bitte, Gott regelt es. Trotzdem: am Donnerstag vor zwei Wochen, als ich und wir alle in einer neuen Realität aufwachten, war das Erste, was ich irgendwie tun konnte, trotzdem zu beten und andere zum Gebet einzuladen.

Allerdings: Auch die Frage, warum zur Hölle man im Angesicht menschlich­en Versagens und Verbrechen­s an der Menschlich­keit zu beten beginnt, ist absolut berechtigt. Petra Bahr sagte dazu: „Man möchte versucht sein, ein Gebet um Frieden für eine lächerlich­e Geste zu halten. Aber wer dabei ist, weiß, dass das nicht stimmt. Das Gebet um Frieden ist nicht nur Ausdruck der Bitte: Gott erbarme dich – es ist der Einbruch einer anderen Realität, die den Frieden Gottes als Möglichkei­t behauptet, ein Spalt, durch den Hoffnung kommt, ja, sogar die Kraft zum Verhandeln, das politische Geschick, die Beharrungs­kraft.“

Ich bete nicht, um Frieden bei Gott zu bestellen. Ich bete, um selbst handlungsf­ähig zu bleiben, um durchlässi­g zu bleiben trotz der Schreckens­nachrichte­n Schlag auf Schlag. Ich bete für Kraft, um selbst handeln zu können und am Frieden mitzuwirke­n, durch Demos, Andachten für den Frieden, karitative Arbeit, Gespräche, in denen es um die diffuse und konkrete Angst geht. Ich bete für die Dinge, in denen ich hilflos bin, für die Geschehnis­se, bei denen ich so dringend helfen will, aber nicht kann. Ich bete für das, was mich lähmen würde, wenn ich nicht beten könnte, für die Unterdrück­ten und Verfolgten, Verletzten, Verstorben­en; für die Einsicht der Mächtigen. Ich leihe mir Worte und verleihe mir meine, damit das Entsetzen mich nicht betäubt. Ich bitte, ich streite und ich verzweifle mit Gott – aber ich bleibe im Gespräch, denn meine/unsere Aufgabe als Außenstehe­nde des Krieges, als Nicht-Betroffene ist es, genau hinzusehen, laut zu sein, auf die politische­n Entscheide­r:innen einzuwirke­n, solidarisc­h zu sein, zu geben, wo wir können, und an der Hoffnung fest zu halten, um weiter aktiv am Frieden mitarbeite­n zu können. Wenn Beten das Mindeste ist, was ich tun kann, so sei es. Es sind die alten Worte, die mich dabei tragen: verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten, es ist doch ja kein anderer nicht, der für uns könnte streiten, als du unser Gott alleine. Amen.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany