Thüringische Landeszeitung (Jena)
Bewegende Momente
Gera/Jena. Für Harald Irmscher war es wie ein Schlag ins Gesicht.
Im Frühjahr 1976 wurde er ins Klubbüro des FC Carl Zeiss Jena zum Gespräch bestellt. „Trainer Hans Meyer hat mir unmissverständlich mitgeteilt, dass er nicht mehr mit mir plant, da er eine Mannschaft mit perspektivischem Charakter aufbauen will. Diese Formulierung habe ich bis heute nicht vergessen“, erzählt Harald Irmscher, als wäre es gestern gewesen. „Ich habe mir das alles angehört, in zwei Minuten zwei Sätze gesagt und bin dann irgendwann aufgestanden und gegangen“, erinnert sich der einstige Mittelfeldstratege, der 41 Länderspiele in den Beinen, 1972 mit der DDR Olympia-Bronze in München gewonnen und 1974 bei der Weltmeisterschaft mitgewirkt hatte. Das Beckenbauer-Trikot vom damaligen 1:0-Erfolg der Ostdeutschen im innerdeutschen Vorrundenduell liegt heute noch auf seinem Dachboden.
Für Wismut Gera war sein Rauswurf in Jena ein Glücksmoment. Noch auf dem Stadionhof des Ernst-Abbe-Sportfelds lief ihm der Geraer Funktionär Norbert Czempiel über den Weg. Schon da wurden die ersten Weichen für einen Wechsel in die Bezirksstadt gestellt.
„Mit 30 Jahren habe ich mich fußballerisch noch nicht am Ende gesehen. Es gab dann auch Angebote aus Magdeburg, Aue oder Zwickau. Aber meine Tochter war gerade drei Jahre alt. Ich wollte keine weiten Wege. Also habe ich mit meiner Frau gemeinsam recht schnell die Entscheidung getroffen, nach Gera zu gehen. Nach Gesprächen mit Trainer Dietmar Pohl und dem BSG-Vorsitzenden Karl Muschitz war schnell alles unter Dach und Fach.“Wismut Gera war für den Routinier kein Neuland. In einer Vierer-Fahrgemeinschaft ging es täglich von Jena nach Gera. Mit Udo Korn, Gerd Struppert, Gerhard Hoppe sowie den Torhütern Peter Winkler und Ulrich Kühn hatte er schon zusammen in Jena die Schuhe geschnürt. „Rein zufällig“wurde Harald Irmschers Zeit in Gera aber schon Anfang November 1976 durch die Einberufung zum Reservistendienst an die Ostsee unterbrochen. Als gelernter Elektromonteur wurde er als Funktechniker eingesetzt und war für die Radarüberwachung der Ostsee zuständig. Nachdem ein hochrangiger NVA-Marine-Admiral, der zugleich DFV-Funktionär im Bezirk Rostock war, Kontakt zu Irmscher aufgenommen
Der 76-jährige Harald Irmscher erinnert sich an seine zwei Jahre bei der Geraer Wismut-Elf, mit der er 1977 in die DDR-Oberliga aufstieg.
hatte, kickte dieser für einige Monate beim Bezirksligisten Vorwärts/Einheit Zinnowitz.
Pünktlich zur Oberliga-Aufstiegsrunde im Mai 1977 kehrte Harald Irmscher zu Wismut Gera zurück. Beim 1:1 gegen Chemie Böhlen machten die Orange-Schwarzen den Aufstieg perfekt. „Das war eine schöne Kulisse damals. 18.000 Zuschauer im Stadion waren mehr als in Jena“, weiß der Mittelfeldstratege noch. Doch in der Oberliga war für Wismut auch mit Irmscher nichts zu holen. „Dass Joachim Posselt und Bernd Krauß keine Spielberechtigung erhielten, hat uns enorm geschwächt. Posselt war eine Führungsfigur und als Abwehrspieler technisch gut, konnte aber auch hinlangen, wenn es erforderlich war. Krauß agierte im Mittelfeld als Linksbeiner wie ein Uhrwerk. Manchmal war er etwas zu ruhig“, schätzt der heute 76-Jährige ein. Nach drei Unentschieden zu Beginn
und Platz fünf folgte der Einbruch. Nur in Aue wurde mit 2:1 gewonnen. „Vor dem Spiel kam ein hoher Wismut-Funktionär in Gera vorbei und meinte, wir hätten gegen Aue natürlich nicht zu gewinnen. Da sei Betriebszweigdenken gefragt. Mit Trainer Dietmar Pohl haben wir uns dann hingesetzt und gesagt: Jetzt erst recht! Jeder war zusätzlich motiviert und wir haben mit 2:1 gesiegt. Solche Deals waren mit mir nicht zu machen“, erinnert sich Harald Irmscher.
Über die angeblich fehlende Oberliga-Qualität im Wismut-Kader will er nicht urteilen. „Das wäre unfair meinen ehemaligen Mitspielern gegenüber – sie haben alle ihr Bestes gegeben.“Seine Mannschaftskameraden schauten zu ihm auf. „In einem Team mit Ex-Nationalspieler Harald Irmscher zu stehen, das hat mir viel gegeben. Und der Sir - wie ihn alle nannten – hatte auch am Ende seiner Laufbahn nichts von seinem Ehrgeiz eingebüßt. Jedes Trainingsspiel wollte er gewinnen“, erinnert sich Werner Schorrig noch.
Und auch Udo Korn, der mit seiner Kopfballstärke besonders von Irmschers Freistoßeingaben und Flanken profitiere, schwärmte: „Als er zu uns kam, da haben wir erst einmal gesehen, wie Fußball geht. Der hat Pässe geschlagen mit rechts und mit links, davon konnten wir nur träumen.“Dennoch holten die Geraer nur sechs Punkte und mussten sofort wieder absteigen. Für Harald Irmscher war das Kapitel Wismut damit beendet. Bernd Stange holte ihn zurück in den Nachwuchs-Trainerstab beim FC Carl Zeiss Jena. „Das war ein sicherer Posten und für mich die richtige Wahl“, sagt Harald Irmscher rückblickend, der mit seinen alten Geraer Kollegen gern einen gemeinsamen Abend verbringen würde, um in den Erinnerungen von damals zu schwelgen.