Thüringische Landeszeitung (Jena)
Drama in Grün
Wie die Landespartei ihren Justizminister demontiert und eine schwarze Polizistin zu seiner Nachfolgerin macht
Die Thüringer Grünen sind ein übersichtlicher Verband mit etwas mehr als 1000 Mitgliedern. Entsprechend bescheiden ist ihre Geschäftsstelle, die in einer Etagenwohnung in der Erfurter Innenstadt untergebracht ist. Wer nicht die Adresse kennt, würde vorbeilaufen: Das Hinweisschild neben dem Eingang ist seit einiger Zeit abmontiert.
Doch so klein die Landespartei ist, so groß ist das politische Drama, das sie seit knapp drei Wochen aufführt. Am Montagnachmittag ist das Erkerzimmer der grünen Wohnung mit Journalisten und Kameras vollgestopft. Vor den Mikrofonen haben sich die Landesvorsitzenden Ann-Sophie Bohm und Bernhard Stengele zum vorläufig letzten Akt aufgestellt. In ihrer Mitte befindet sich Doreen Denstädt; sie ist 45 und, zumindest zu diesem Zeitpunkt, Polizeibeamtin und Sachbearbeiterin im Innenministerium.
Die drei verkünden, was kurz zuvor per Mitteilung an die Mitglieder bekannt wurde: Stengele soll Umweltund Energieminister werden – und Denstädt neue Justiz- und Migrationsministerin. „Ich freue mich natürlich auf die neue Aufgabe“, sagt sie. „Ich habe aber auch allerallergrößten Respekt.“
Nun ist das mit dem Respekt zuweilen nicht so einfach. Nur wenige hundert Meter von der Geschäftsstelle entfernt, in der Staatskanzlei, bekommt der Mann, dem Denstädt nachfolgen soll, vom linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow seine Entlassungsurkunde überreicht. Justizminister Dirk Adams muss gehen. Gegen seinen Willen. Und mit sofortiger Wirkung.
Wie konnte das geschehen? Der erste Akt fand am Tag vor Heiligabend statt, auch vor Kameras in der Landesgeschäftsstelle. Umweltministerin Anja Siegesmund versuchte der verblüfften Öffentlichkeit zu erläutern, warum sie nach acht Jahren im Amt zum 31. Januar zurücktreten wolle. Sie sprach von „persönlichen Gründen“, „einer Auszeit“. Eine plausible Erklärung lieferte sie nicht, zumal sie erklärte, keine andere Beschäftigung in Aussicht zu haben.
Auch fast alle Grünen wirkten von der Entscheidung überrascht. Stengele und Bohm, die wohl als einzige einige Wochen zuvor eingeweiht worden waren, sagten die üblichen Dankesworte auf und blockten alle Fragen zur Nachfolge ab.
Sie hätten auch keine substanziellen Antwort gehabt. Das Einzige, was sie offenbar zu diesem Zeitpunkt wussten: dass ein Ersatz für Siegesmund schwer würde. Es fehlte eine ministrable Frau, die mal eben bis zur Landtagswahl im kommenden Jahr im Umwelt- und Energieressort einspringen könnte – und die bestenfalls stellvertretende Ministerpräsidentin und Spitzenkandidatin sein könnte.
Und eine Frau musste es nun mal laut der parteieigenen Quotenregel sein. Schließlich wurde das andere grüne Ressort, also das Justiz- und Migrationsministerium, mit dem Mann Dirk Adams besetzt.
Hinzu kam, dass die Parlamentsfraktion als Personalquelle ausfiel. Der Umweltfachpolitikerin Laura Wahl wurde mit 28 das Amt noch nicht zugetraut. Die Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich ist viel zu gerne das, was sie ist. Und die Parlamentarische Geschäftsführerin Madeleine Henfling, die tatsächlich gebeten wurde, wollte nicht.
Das Problem mit dem potenziellen Nachrücker
Und da war noch ein Problem: Jede Abgeordnete hätte im Ministeramt ihr Mandat abgeben müssen, und das frühere Landtagsmitglied Robert Kobelt wäre nachgerückt. Und mit ihm kann unter anderem RotheBeinlich nun gar nicht.
Also mussten sich die Landesvorsitzenden auf externe Alternativen besinnen. Oder sich selbst. Denn irgendwie musste die Situation aufgelöst werden, und zwar schnell. Siegesmund hatte die Frist vorgegeben, und mit jeder verstrichenen Woche würden die Grünen merkwürdiger dastehen.
Zum Jahreswechsel wurde immer deutlicher, dass Adams Teil der Lösung werden könnte, allerdings nicht so, wie er sich das vorstellte. Er hatte sich im März 2020 als damaliger Fraktionschef regelrecht ins Ministeramt kämpfen müssen. Danach gesellten sich zu den persönlichen Animositäten mit Rothe-Beinlich und Siegesmund rasch politischen Kontroversen. Adams sei überfordert und beratungsresistent, hieß es in grünen Runden.
Als sich mit dem Ukraine-Krieg die Flüchtlingslage wieder zuspitzte, wuchsen auch in Linke und SPD die Zweifel, ob Adams seinem Amt gewachsen sei. Ramelow regte sich in internen Gesprächen über seinen Migrationsminister auf.
Und so gerann nach Neujahr in unzähligen Gesprächen und Telefonaten ein Plan: Auf Adams sollte eine Frau folgen, dann könnte das Umweltressort mit einem Mann besetzt werden. Die Frau sollte Doreen Denstädt sein, eine Polizeibeamtin Mitte 40, die zuletzt etwas bekannter wurde, weil sie die Grünen für die Bundesversammlung zur Wiederwahl entsandt hatten, um Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidenten zu bestätigen.
Die Personalie Denstädt wirkt in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Die vor 45 Jahren in Saalfeld geborene Frau ist Polizeibeamtin. Und sie ist schwarz, was eine Kabinettspremiere im östlichen Teil der Republik darstellt.
Führungserfahrung aber besitzt sie kaum, bei den Grünen ist sie erst seit 2021. Im Justiz- und Migrationsbereich kennt sie sich aus ihrer Tätigkeit als Polizistin und zuletzt als Sachbearbeiterin in der Vertrauensstelle des Innenministeriums nur mittelbar aus – was umso schwerer wiegt, da Justizstaatssekretär Sebastian von Ammon dauererkrankt ist und ersetzt werden soll.
Ähnlich unerfahren dürfte der neue Umweltminister starten – der tatsächlich Stengele heißen soll. Er stammt aus dem Allgäu und arbeitete nach seiner Ausbildung zum Schauspieler vor allem als Regisseur in Westdeutschland, bis er 2012 als Schauspieldirektor nach Thüringen kam. 2017 begann er dann seine politische Karriere bei den Grünen – um nun ins Kabinett zu gehen und nebenbei noch als Stellvertreter des Ministerpräsidenten zu amtieren.
Die finale Demütigung des Dirk Adams
Doch bevor das passierten konnte, musste Adams weg. Am Sonntag sprachen Bohm und Stengele mit dem Minister und forderten ihn zum Rücktritt auf. Doch der erwiderte Affront mit Affront – und machte den Vorgang am Montagmorgen per Mitteilung von der privaten E-Mail-Adresse publik. Er werde nicht freiwillig abtreten, erklärte er. Ramelow müsse ihn schon im Auftrag der Grünen entlassen.
Und so geschieht es denn auch am Montagnachmittag. Ramelow überreicht ihm die Urkunde, während parallel dazu seine Nachfolgerin vorgestellt wird. Die finale Demütigung von Adams: Bis Ende Januar verwaltet Siegesmund sein nunmehr verwaistes Ressort mit.
Anfang Februar sollen die beiden neuen Kabinettsmitglieder im Landtag vereidigt sein. Und Doreen Denstädt – Thüringerin, Polizistin und Rugbyspielerin – wird als die erste schwarze Ministerin in Ostdeutschland amtieren.