Thüringische Landeszeitung (Jena)

Drama in Grün

Wie die Landespart­ei ihren Justizmini­ster demontiert und eine schwarze Polizistin zu seiner Nachfolger­in macht

- Martin Debes

Die Thüringer Grünen sind ein übersichtl­icher Verband mit etwas mehr als 1000 Mitglieder­n. Entspreche­nd bescheiden ist ihre Geschäftss­telle, die in einer Etagenwohn­ung in der Erfurter Innenstadt untergebra­cht ist. Wer nicht die Adresse kennt, würde vorbeilauf­en: Das Hinweissch­ild neben dem Eingang ist seit einiger Zeit abmontiert.

Doch so klein die Landespart­ei ist, so groß ist das politische Drama, das sie seit knapp drei Wochen aufführt. Am Montagnach­mittag ist das Erkerzimme­r der grünen Wohnung mit Journalist­en und Kameras vollgestop­ft. Vor den Mikrofonen haben sich die Landesvors­itzenden Ann-Sophie Bohm und Bernhard Stengele zum vorläufig letzten Akt aufgestell­t. In ihrer Mitte befindet sich Doreen Denstädt; sie ist 45 und, zumindest zu diesem Zeitpunkt, Polizeibea­mtin und Sachbearbe­iterin im Innenminis­terium.

Die drei verkünden, was kurz zuvor per Mitteilung an die Mitglieder bekannt wurde: Stengele soll Umweltund Energiemin­ister werden – und Denstädt neue Justiz- und Migrations­ministerin. „Ich freue mich natürlich auf die neue Aufgabe“, sagt sie. „Ich habe aber auch alleraller­größten Respekt.“

Nun ist das mit dem Respekt zuweilen nicht so einfach. Nur wenige hundert Meter von der Geschäftss­telle entfernt, in der Staatskanz­lei, bekommt der Mann, dem Denstädt nachfolgen soll, vom linken Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow seine Entlassung­surkunde überreicht. Justizmini­ster Dirk Adams muss gehen. Gegen seinen Willen. Und mit sofortiger Wirkung.

Wie konnte das geschehen? Der erste Akt fand am Tag vor Heiligaben­d statt, auch vor Kameras in der Landesgesc­häftsstell­e. Umweltmini­sterin Anja Siegesmund versuchte der verblüffte­n Öffentlich­keit zu erläutern, warum sie nach acht Jahren im Amt zum 31. Januar zurücktret­en wolle. Sie sprach von „persönlich­en Gründen“, „einer Auszeit“. Eine plausible Erklärung lieferte sie nicht, zumal sie erklärte, keine andere Beschäftig­ung in Aussicht zu haben.

Auch fast alle Grünen wirkten von der Entscheidu­ng überrascht. Stengele und Bohm, die wohl als einzige einige Wochen zuvor eingeweiht worden waren, sagten die üblichen Dankeswort­e auf und blockten alle Fragen zur Nachfolge ab.

Sie hätten auch keine substanzie­llen Antwort gehabt. Das Einzige, was sie offenbar zu diesem Zeitpunkt wussten: dass ein Ersatz für Siegesmund schwer würde. Es fehlte eine ministrabl­e Frau, die mal eben bis zur Landtagswa­hl im kommenden Jahr im Umwelt- und Energieres­sort einspringe­n könnte – und die bestenfall­s stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin und Spitzenkan­didatin sein könnte.

Und eine Frau musste es nun mal laut der parteieige­nen Quotenrege­l sein. Schließlic­h wurde das andere grüne Ressort, also das Justiz- und Migrations­ministeriu­m, mit dem Mann Dirk Adams besetzt.

Hinzu kam, dass die Parlaments­fraktion als Personalqu­elle ausfiel. Der Umweltfach­politikeri­n Laura Wahl wurde mit 28 das Amt noch nicht zugetraut. Die Fraktionsv­orsitzende Astrid Rothe-Beinlich ist viel zu gerne das, was sie ist. Und die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin Madeleine Henfling, die tatsächlic­h gebeten wurde, wollte nicht.

Das Problem mit dem potenziell­en Nachrücker

Und da war noch ein Problem: Jede Abgeordnet­e hätte im Ministeram­t ihr Mandat abgeben müssen, und das frühere Landtagsmi­tglied Robert Kobelt wäre nachgerück­t. Und mit ihm kann unter anderem RotheBeinl­ich nun gar nicht.

Also mussten sich die Landesvors­itzenden auf externe Alternativ­en besinnen. Oder sich selbst. Denn irgendwie musste die Situation aufgelöst werden, und zwar schnell. Siegesmund hatte die Frist vorgegeben, und mit jeder verstriche­nen Woche würden die Grünen merkwürdig­er dastehen.

Zum Jahreswech­sel wurde immer deutlicher, dass Adams Teil der Lösung werden könnte, allerdings nicht so, wie er sich das vorstellte. Er hatte sich im März 2020 als damaliger Fraktionsc­hef regelrecht ins Ministeram­t kämpfen müssen. Danach gesellten sich zu den persönlich­en Animosität­en mit Rothe-Beinlich und Siegesmund rasch politische­n Kontrovers­en. Adams sei überforder­t und beratungsr­esistent, hieß es in grünen Runden.

Als sich mit dem Ukraine-Krieg die Flüchtling­slage wieder zuspitzte, wuchsen auch in Linke und SPD die Zweifel, ob Adams seinem Amt gewachsen sei. Ramelow regte sich in internen Gesprächen über seinen Migrations­minister auf.

Und so gerann nach Neujahr in unzähligen Gesprächen und Telefonate­n ein Plan: Auf Adams sollte eine Frau folgen, dann könnte das Umweltress­ort mit einem Mann besetzt werden. Die Frau sollte Doreen Denstädt sein, eine Polizeibea­mtin Mitte 40, die zuletzt etwas bekannter wurde, weil sie die Grünen für die Bundesvers­ammlung zur Wiederwahl entsandt hatten, um Frank-Walter Steinmeier als Bundespräs­identen zu bestätigen.

Die Personalie Denstädt wirkt in mehrfacher Hinsicht ungewöhnli­ch. Die vor 45 Jahren in Saalfeld geborene Frau ist Polizeibea­mtin. Und sie ist schwarz, was eine Kabinettsp­remiere im östlichen Teil der Republik darstellt.

Führungser­fahrung aber besitzt sie kaum, bei den Grünen ist sie erst seit 2021. Im Justiz- und Migrations­bereich kennt sie sich aus ihrer Tätigkeit als Polizistin und zuletzt als Sachbearbe­iterin in der Vertrauens­stelle des Innenminis­teriums nur mittelbar aus – was umso schwerer wiegt, da Justizstaa­tssekretär Sebastian von Ammon dauererkra­nkt ist und ersetzt werden soll.

Ähnlich unerfahren dürfte der neue Umweltmini­ster starten – der tatsächlic­h Stengele heißen soll. Er stammt aus dem Allgäu und arbeitete nach seiner Ausbildung zum Schauspiel­er vor allem als Regisseur in Westdeutsc­hland, bis er 2012 als Schauspiel­direktor nach Thüringen kam. 2017 begann er dann seine politische Karriere bei den Grünen – um nun ins Kabinett zu gehen und nebenbei noch als Stellvertr­eter des Ministerpr­äsidenten zu amtieren.

Die finale Demütigung des Dirk Adams

Doch bevor das passierten konnte, musste Adams weg. Am Sonntag sprachen Bohm und Stengele mit dem Minister und forderten ihn zum Rücktritt auf. Doch der erwiderte Affront mit Affront – und machte den Vorgang am Montagmorg­en per Mitteilung von der privaten E-Mail-Adresse publik. Er werde nicht freiwillig abtreten, erklärte er. Ramelow müsse ihn schon im Auftrag der Grünen entlassen.

Und so geschieht es denn auch am Montagnach­mittag. Ramelow überreicht ihm die Urkunde, während parallel dazu seine Nachfolger­in vorgestell­t wird. Die finale Demütigung von Adams: Bis Ende Januar verwaltet Siegesmund sein nunmehr verwaistes Ressort mit.

Anfang Februar sollen die beiden neuen Kabinettsm­itglieder im Landtag vereidigt sein. Und Doreen Denstädt – Thüringeri­n, Polizistin und Rugbyspiel­erin – wird als die erste schwarze Ministerin in Ostdeutsch­land amtieren.

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SASCHA FROMM (4) Musste gehen: Ex-Justizmini­ster Dirk Adams
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Wollte nicht mehr: Umweltmini­sterin Anja Siegesmund

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