Thüringische Landeszeitung (Jena)
Baerbock auf Geheimbesuch in Charkiw
Außenministerin trifft ukrainischen Amtskollegen und besichtigt Kraftwerke und ein Krankenhaus – Schwere Kämpfe in der Ostukraine
Bei einem zunächst geheim gehaltenen Besuch in Charkiw hat Außenministerin Annalena Baerbock der Ukraine weitere Waffenhilfe zugesagt. Die Ukraine benötige dies, „um ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu befreien, die noch unter dem Terror russischer Besatzung leiden“, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag in der vom Krieg gezeichneten Millionenstadt. Derzeit sind ukrainische Truppen vor allem durch schwere russische Angriffe im östlichen Gebiet Donezk unter Druck. Baerbock betonte zudem die EU-Perspektive für Kiew. Ihr sei wichtig, „dass wir auch in diesem Kriegswinter den Platz der Ukraine in unserer europäischen Familie nicht aus dem Blick verlieren“.
Weil der Luftraum über der Ukraine nach wie vor gesperrt ist, fuhr Baerbock in der Nacht im Sonderzug von Polen aus zunächst nach Kiew. Von dort aus nahm sie zusammen mit Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba Kuleba und ihrer Delegation am Morgen um kurz nach 7 Ortszeit den regulären Intercity Express 722 nach Charkiw.
Baerbock besichtigte am Bahnhof in Charkiw zunächst ein zerstörtes Umspannwerk. Die Infrastruktur für die Energieversorgung ist Hauptziel der seit Monaten laufenden russischen Raketenangriffe. Im Kinderkrankenhaus Nr. 16 kam die Ministerin mit Patienten und deren Eltern zusammen. Dazu ließ sie sich den schwer beschädigten Stadtteil Saltiwka zeigen. Schließlich besichtigte die Außenministerin eine zerstörte Heizkesselanlage und sprach mit Mitarbeitern eines Heizkraftwerkes.
Derzeit sind die Kämpfe in Donezk rund um die Städte Soledar und Bachmut besonders heftig. Sie sind Teil des ukrainischen Verteidigungswalls vor dem Ballungsraum zwischen Slowjansk und Kramatorsk. Die Einnahme des Gebiets wäre aus russischer Sicht ein bedeutender Schritt hin zur Eroberung des Donbass – eines der Kriegsziele des Kremls. „Alles ist völlig zerstört (...) der Boden in Soledar ist mit den Leichen der Angreifer bedeckt und von den Explosionen gezeichnet“, schilderte Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Ansprache die Lage.
Angehörige der berüchtigten russischen Söldnertruppe Wagner verkündeten am Dienstagabend die Eroberung des Ortes. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin teilte nach Angaben der russischen Staatsagentur Tass mit, dass Soledar erobert sei. Im Zentrum des Ortes sei noch eine Gruppe ukrainischer Soldaten eingekesselt. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keinen Kommentar.