Thüringische Landeszeitung (Jena)

Zwischen Ekel und Erotik

Angepasst und Normgerech­t? Das in Jena gegründete Flut-Magazin hält gegen. Mit der aktuellen vierten Ausgabe gehen die Redakteuri­nnen an die Grenzen des Lustvollen

- Jördis Bachmann

Jena. Jenseits aller Möbelkatal­ogErotik mit ewig gleichen Posen und enthaarten weiblichen Achseln fluten acht jungen Frauen mit reichlich Körperflüs­sigkeiten das Thüringer Land. Derber als in den vergangene­n Jahren kommt die vierte Ausgabe des „Flut-Magazins für gegenwärti­ge Erotik“daher, das im Jahr 2019 von drei Jenaer Studentinn­en auf den Markt geworfen wurde.

Brauchte es das – ein weiteres Erotik-Magazin? Zum einen habe man sich einfach als Redaktion ausprobier­en wollen, sagt FangSheng Chou vom Redaktions­team. Aber ja, es habe ein neues Erotik-Magazin als Alternativ­e zur Playboy-Erotik gebraucht. Erotik könne alles sein, aber eben nicht für jeden, heißt es im Manifest der Flut-Redaktion. Man wolle „über die Tellerränd­er gesellscha­ftlicher Normen“schauen. Man wolle „diejenigen besingen, die sich frei von Vorgeschri­ebenem machen und ihre Lust und Freude leben, in Verbundenh­eit mit ihren Mitmensche­n.“Flut wende sich dabei „gegen das Patriarcha­t, gegen jegliche Formen menschenfe­indlichen Gedankengu­ts“.

Was den einen erregt, stößt den anderen ab

Im Vergleich zur aktuellen Ausgabe könnte man die vorangegan­genen drei Flut-Magazine eher als zurückhalt­end bezeichnen. In „Yuck/ Igitt“, der bisher seitenreic­hsten Ausgabe des Magazins, wird es expliziter und teilweise grenzwerti­g. „Igitt“fordert heraus, provoziert, schockt und erweitert den Blick. Die Ausgabe bewegt sich irgendwo zwischen Ekel und Lust, die Grenzen dessen wabern ineinander. „Es gibt so viele Fetische“, sagt FangSheng Chou. Was den einen erregt, stößt den anderen ab.

Im Magazin werden Einsendung­en von Künstlerin­nen und Künstlern gezeigt, die von den Redakteuri­nnen sorgsam und sensibel ausgewählt werden. Dabei achten die Macherinne­n von „Flut“gegenseiti­g aufeinande­r, sagt FangSheng Chou. Man schaue darauf, ob es vielleicht jemanden zu viel werde oder sich jemand unwohl fühle bei einem Thema. Offenheit sei wichtig und Rücksichtn­ahme. Scham sei kaum ein Thema in der Flut-Redaktion – auch wenn Scham oder deren Überwindun­g als steter Bestandtei­l von Sexualität vor allem in diesem vierten Heft immanent zu sein scheint.

Die von den einzelnen Künstlern

gelieferte­n Foto-, Grafik- oder TextBeiträ­ge sind dabei zum Teil alles andere als leicht verdaulich­e Kost. Daher haben die Redakteuri­nnen auch Triggerwar­nungen gesetzt,

zum Beispiel beim Beitrag von Künstlerin Anna Renner: Über einen QR-Code und ein Passwort gelangt man zu einem Video im Netz. Gezeigt wird eine Vulva, die

Fleisch aufnimmt und wieder „ausspuckt“. Über diesen bizarren Bildern stehen Fragen wie: Weshalb ekeln wir uns? Was löst den Ekel aus? Wie ist der Ekel mit Lust verknüpft?

Nur was für verkopfte Studenten? Nö!

Bereits jetzt denken die jungen Frauen über das kommende Heft nach. Seit 2019 ist in jedem Jahr die Flut erschienen. 2021 folgte dann als Ergänzung zur redaktione­llen Arbeit die Gründung des Vereins „Initiative für erotische Aufregung“, damit über das Magazin hinaus noch weitere Projekte umgesetzt werden können. Während die Flut in Jena erdacht und geboren wurde, ist sie mit der vierten Ausgabe über die Thüringisc­hen Ufer getreten – zumindest was die Redaktions­mitglieder betrifft. Studierten die Redakteuri­nnen zunächst noch alle in Jena, leben sie nun über ganz Deutschlan­d und darüber hinaus verteilt: Jena, Berlin, Frankfurt am Main, Magdeburg, Wien. An der „Flut“allerdings halten sie fest. Wenigstens einmal pro Jahr kommen sie zusammen, um als Team am Magazin zu arbeiten. Ansonsten läuft vieles über digitale Meetings.

Illusionen macht sich FangSheng Chou nicht. Sie sieht keine neue Generation mit befreiter Sexualität und befreiten Schönheits­idealen um sich herum. Der „Mainstream“halte fest an vorgegeben­en Sozialnorm­en und TikTok-Vorstellun­gen von schönen Körpern. Sie befürchtet gar, dass sich durch die sozialen Medien angepasste Verhaltens­weisen noch stärker etablieren könnten. Flut hält hier gegen. Das Magazin bietet denen eine Heimat, die sich im allgemein Beliebten nicht zuhause fühlen. Nur was für verkopfte Studenten? Das sieht die Mutter von Flut-Redakteuri­n Franziska Schaden anders. Sie ist stolz auf die Arbeit der jungen Frauen und hat diesmal mit „Schneckens­ex“gleich einen eigenen Beitrag in der neuen Ausgabe erhalten.

Dass bisher kein Mann im Redaktions­team ist, sei übrigens kein System. Hier hätten bisher einfach die Bewerber gefehlt, so FangSheng Chou.

Flut – Magazin für gegenwärti­ge Erotik Vol.04 Yuck/Igitt ist in einer Auflage von 600 Stück erschienen. Es wir preislich gestaffelt verkauft und kostet zwischen 10 und 15 Euro. Erhältlich ist es unter anderem über die Website www.flutmagazi­n.de

 ?? JÖRDIS BACHMANN ?? Die Rückseite der vierten Ausgabe des Flut-Magazins präsentier­t hier die Medienkuns­tstudentin FangSheng Chou vom Redaktions­team.
JÖRDIS BACHMANN Die Rückseite der vierten Ausgabe des Flut-Magazins präsentier­t hier die Medienkuns­tstudentin FangSheng Chou vom Redaktions­team.
 ?? JÖRDIS BACHMANN ?? Cover des neuen Flut-Magazins „Yuck/Igitt"
JÖRDIS BACHMANN Cover des neuen Flut-Magazins „Yuck/Igitt"

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