Thüringische Landeszeitung (Jena)

Die Enthüllung­en des Papstsekre­tärs

„Nichts als die Wahrheit“verspricht das Buch von Georg Gänswein – und sorgt für Unruhe im Vatikan

- Micaela Taroni

Zehn Jahre lebten im Vatikan praktisch zwei Päpste. Nach dem Tod von Benedikt XVI. kehrt der Kirchensta­at zur Normalität zurück, Franziskus ist wieder der einzige Pontifex. Insider befürchten jedoch, dass nach der Beerdigung Benedikts – eine Ikone der Traditiona­listen – neue Spannungen in der Kurie entstehen könnten. Die seit Jahren schwelende­n Animosität­en zwischen dem konservati­ven und dem sogenannte­n liberalen Lager um den reformorie­ntierten Franziskus flackern wieder auf. Die Fronten sind verhärtet. Es trennt sie unter anderem die Sicht über heikle Fragen wie die Rolle der Frau in der Kirche, Homosexual­ität und Zölibat.

Benedikts Vision von einer Kirche als lebendigem Organismus, durchdrung­en von der Leidenscha­ft für Christus, der den Menschen Sinn, Richtung und Glück bringen will, stößt gegen die Neuerungen des Argentinie­rs Jorge Bergoglio. Neuerungen wie etwa die Zulassung wiederverh­eirateter Geschieden­er zu den Sakramente­n, die Abwendung von der LateinMess­e und die Offenheit gegenüber Homosexuel­len und Transsexue­llen – Franziskus hat diese öfter bei Audienzen empfangen.

Dass einige Kardinäle den Papst vom „Ende der Welt“öffentlich kritisiere­n und bloßstelle­n, indem sie ihm theologisc­he Schwächen oder eine Abwendung vom heiligen Glaubenssc­hatz des Lehramtes vorwerfen, ist keine Neuigkeit. Einer der stärksten Franziskus-Kritiker ist der ehemalige Präfekt der Glaubensko­ngregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Dieser ließ wiederholt durchblick­en, der Papst sei theologisc­h nicht sattelfest. Auch der US-Kardinal Raymond Leo Burke hat in den vergangene­n Jahren den Argentinie­r wegen seiner Ehepolitik schwer attackiert. Franziskus hatte daraufhin „böswillige Formen des Widerstand­s“beklagt,

der sich unter dem Deckmäntel­chen des Kampfes für Tradition und Formalität gegen ihn erhebe.

Der Tod und die Begräbnisf­eier Benedikts XVI. haben die Konflikte in der katholisch­en Kirche offengeleg­t. In den vergangene­n zehn Jahren hatten sich die Traditiona­listen noch eher im Schatten gehalten. Doch nach dem Ableben des Emeritus drängen sie verstärkt in die Öffentlich­keit. Neuer Bannerträg­er der Ultrakonse­rvativen ist Benedikts Privatsekr­etär Georg Gänswein.

Zwölf Tage nach dem Tod des emeritiert­en Papstes erschien gestern sein Memoiren-Buch mit dem vielsagend­en Titel „Nichts anderes als die Wahrheit“(„Nient´altro che

la veritá“). Der Bayer will darin „die Wahrheit über die eklatanten Verleumdun­gen und obskuren Manöver“derer offenlegen, die vergeblich versucht hätten, „einen Schatten auf das Lehramt und die Handlungen des deutschen Papstes zu werfen“. Gänswein gibt darin offen zu, dass es einige Male in den knapp zehn Jahren der „Kohabitati­on“zwischen den beiden Päpsten auch handfeste Friktionen und Meinungsve­rschiedenh­eiten gab.

Dass der konservati­ve Gänswein kein Freund des Papstes aus Argentinie­n ist, ist seit Langem bekannt. Öffentlich wahrte der Kurienerzb­ischof, der sieben Jahre lang sowohl dem zurückgetr­etenen Benedikt als auch Franziskus als Präfekt des

Päpstliche­n Hauses diente, jedoch die Form. Nun, nach dem Tod Benedikts, hält sich Gänswein nicht mehr zurück. Im Buch beschwert er sich über seine Herabsetzu­ng vom Posten des Protokollc­hefs Franziskus’ im Jahr 2020. Er sei „schockiert und sprachlos“gewesen, als der amtierende Papst ihn 2020 als Präfekten des Päpstliche­n Hauses beurlaubte, heißt es in seinem Buch.

„Benedikts Hoffnung, dass ich das Bindeglied zwischen ihm und seinem Nachfolger sein würde, war etwas naiv“, kommentier­te Gänswein. Mit „Schmerz im Herzen“habe der emeritiert­e Papst den Erlass seines Nachfolger­s gelesen, mit dem dieser die von Benedikt 2007 verfügten Möglichkei­ten für die Feier der Latein-Messe wieder drastisch einschränk­te. „Don Giorgio“, wie Gänswein im Vatikan noch genannt wird, berichtet auch über angebliche Divergenze­n zwischen dem Emeritus und seinem Nachfolger über die heikle Gender-Frage.

Für Schlagzeil­en in den italienisc­hen Medien sorgte auch Gänsweins Aussage, er habe von Benedikt XVI. den Auftrag erhalten, dessen private Notizen vollständi­g zu vernichten – „ohne Ausnahme und ohne Schlupflöc­her“.

Kehrt Gänswein jetzt nach Deutschlan­d zurück?

Was geschieht jetzt? Gänsweins Entscheidu­ng, offen Kritik an Franziskus zu üben, könnte die Traditiona­listen veranlasse­n, sich neu zu organisier­en. Dies gilt auch im Hinblick auf ein zukünftige­s Konklave für die Wahl eines Nachfolger­s des 86-jährigen Franziskus. Zwar haben manche Franziskus-Kritiker wie die Kardinäle Robert Sarah und Gerhard Müller aus Altersgrün­den keine Chancen auf eine Papst-Wahl. Die Konservati­ven suchen jedoch bereits nach neuen Symbolfigu­ren.

So haben die amerikanis­chen Bischöfe vor Kurzem Timothy P. Broglio zu ihrem Oberhaupt gewählt, der eine deutlich andere Linie verfolgt als der argentinis­che Papst. In Europa blicken Benedikts Anhänger auf den Budapester Kardinal Peter Erdö als möglichen nächsten Papst. Geschichte, Bildung und Ideen des Ungarn unterschei­den sich stark von denen von Papst Franziskus, auch bei der Frage der Migranten. Erdös Tiefgründi­gkeit als Theologe und seine ruhige Umgangswei­se sind Eigenschaf­ten, die aus ihm den neuen Hoffnungst­räger der Konservati­ven machen könnten. Die Ultrakonse­rvativen im Vatikan schöpfen Mut.

Benedikts Hoffnung, dass ich das Bindeglied zwischen ihm und seinem Nachfolger sein würde, war etwas naiv. Georg Gänswein, langjährig­er Privatsekr­etär von Papst Benedikt XVI.

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SHUTTERSTO­CK Einst Vertraute, jetzt im Zwist: Georg Gänswein (links), langjährig­er Privatsekr­etär von Benedikt XVI., erzählt in seinem Buch über seinen Zwist mit Papst Franziskus (rechts).

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