Thüringische Landeszeitung (Jena)

Wie Rechtsextr­eme die Justiz unterwande­rn wollen

Radikale Rechte versuchen, sich wichtige Posten an Gerichten zu sichern. Justizmini­ster Marco Buschmann hält jetzt mit einem Gesetz dagegen

- Christian Unger

Berlin. Es ist ein Aufruf, der die Behörden alarmieren sollte. „Der Rechtsstaa­t braucht uns – werdet Schöffen!“, appelliert­e die rechtsextr­eme NPD auf ihrer Webseite. Aus dem politische­n Ziel macht die Partei keinen Hehl: Angesichts angeblich steigender Kriminalit­ät durch jugendlich­e Migranten in der Region sei es erforderli­ch, „dass die Schöffen ihre Entscheidu­ngen streng nach geltender Rechtslage, nicht aber aus Beweggründ­en ‚politische­r Korrekthei­t‘ treffen“würden. Bei der vergangene­n Wahl zu den ehrenamtli­chen Richterinn­en und Richtern hatten ebenfalls rechte Bündnisse und Parteien ihre Anhänger ermuntert zu kandidiere­n. „Werdet Schöffen und sorgt für Gerechtigk­eit in Strafproze­ssen“, schrieb das islamfeind­liche Netzwerk Pegida. Ähnliche Aufrufe startete die AfD.

In diesem Jahr ist wieder Schöffenwa­hl. Für die nächsten fünf Jahre wählen die Amtsgerich­te im Frühjahr Zehntausen­de in die Gerichte. Bewerben kann sich jede oder jeder Deutsche im Alter zwischen 25 und 69 Jahren. Schöffen werden von den Gemeindeve­rtretungen als Kandidaten vorgeschla­gen, ein Ausschuss an den Amtsgerich­ten wählt die Ehrenamtle­r dann. Sie sitzen an den Amtsgerich­ten, an den Landgerich­ten, an Schwurgeri­chten, in Jugendstra­fkammern. Schöffen haben auf der Richterban­k die gleichen Stimmrecht­e wie Berufsrich­ter. Eine Macht, die auch radikale Systemgegn­er anzieht.

Viel wird berichtet über Fälle von Rechtsextr­emismus bei der Polizei, über Netzwerke von Verfassung­sfeinden, deren Mitglieder sich aus der Bundeswehr rekrutiere­n. Doch die Versuche von Extremiste­n, Ämter in der Justiz zu kapern, bleiben oft Randnotize­n in den Debatten.

Nur punktuell schauen Behörden und Medien hin, so am 7. Dezember. Spezialkrä­fte der Polizei heben in ganz Deutschlan­d eine mutmaßlich­e rechtsterr­oristische Zelle aus. Mit dabei: Birgit MalsackWin­kemann, eine frühere AfD-Abgeordnet­e und Richterin in Berlin. Lange hatte die Berliner Verwaltung versucht, sie aus dem Amt zu

bekommen. Lange ohne Erfolg. Nun sitzt sie in Untersuchu­ngshaft.

Im Frühjahr musste Jens Maier seinen Posten als Richter räumen – die Debatte um den AfD-Politiker lenkte erstmals größere Aufmerksam­keit auf die Probleme der Justiz mit einzelnen radikalen Rechten. „Wenn Angeklagte ‚AfD-Richter fürchten‘, haben wir alles richtig gemacht“, twitterte Maier 2019. Maier war am Landgerich­t Dresden im Einsatz, wollte nach dem Verlust seines Bundestags­mandats nun zurück in den Richterdie­nst. Doch der AfD-Mann gilt als Anhänger des mittlerwei­le formell aufgelöste­n völkischen AfD-„Flügels“, wird vom sächsische­n Verfassung­sschutz als Extremist geführt. Ein Dienstgeri­cht entschied vor wenigen Wochen, dass Maier nicht zurück auf die Richterban­k darf.

Gegen die Nennung im Verfassung­sschutzber­icht wehrt sich Maier gerade vor einem anderen Gericht. Und noch ist das Urteil gegen Maiers Ausschluss vom Richteramt nicht rechtskräf­tig, er kann in Revision ziehen.

Die Fälle zeigen, wie aufwendig es für die Justiz ist, mutmaßlich­e Verfassung­sfeinde aus den Ämtern der Justiz zu bekommen. Man will keine Radikalen auf der Richterban­k – zugleich müssen die Hürden hoch sein, damit keine politische Zensur

in der Justiz stattfinde­t. Das Gesetz will politisch aktive Richterinn­en und Richter. Sie dürfen auch Mitglieder in Parteien sein. Zugleich soll die Justiz neutral sein, unparteiis­ch. Der Umgang mit rechten Richtern ist eine Gratwander­ung.

Bei den Schöffen und ehrenamtli­chen Richtern will Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) Verfassung­sfeinde nun stärker ins Visier nehmen. Das geht aus einem Gesetzentw­urf hervor, der unserer Redaktion vorab vorliegt. Geändert werden soll Paragraf 44 des Richterges­etzes. Laut dem Entwurf soll es künftig heißen, dass niemand in das Amt des ehrenamtli­chen Richters berufen werden darf, der „keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng im Sinne des Grundgeset­zes eintritt“.

Bisher schließt das Gericht Personen vom Schöffenam­t aus, die gegen die Grundsätze der Menschlich­keit verstoßen oder einst Mitarbeite­r der Stasi in der DDR waren. „Eine explizite gesetzlich­e Verankerun­g macht die Pflicht der ehrenamtli­chen Richterinn­en und Richter zur Verfassung­streue besser sichtbar und hebt deren besondere Bedeutung ausdrückli­ch hervor“, heißt es nun in dem Gesetzentw­urf, der aktuell in der Abstimmung der Regierungs­ressorts ist. Ähnlich wie bei verschärft­en Strafzumes­sungen im Fall antisemiti­scher oder frauenfein­dlicher Hetze will die Ampel mit dieser Gesetzesän­derung die Justiz für mögliche Verfassung­sfeinde in den Reihen der ehrenamtli­chen Richter sensibilis­ieren.

Schon in der Vergangenh­eit waren einzelne Rechtsextr­emisten und Mitglieder der NPD erfolgreic­h bei der Wahl ins Schöffenam­t. Immer wieder werden Fälle öffentlich: 2017 wird ein Schöffe vom Gericht in Hamm aus seinem Amt enthoben, weil er der verschwöru­ngsideolog­ischen Reichsbürg­er-Szene angehört. Im Kreis Fulda musste der Wahlaussch­uss einen Kandidaten von der Liste streichen, weil er bei der rechtsextr­emen Identitäre­n Bewegung aktiv war. Bei der letzten Schöffenwa­hl 2018 schafften es vier Anhänger der stramm rechten Bewegung „Pro Deutschlan­d“auf die Listen in Nordrhein-Westfalen.

Der Journalist und Jurist Joachim Wagner recherchie­rt seit Jahren zu „Rechten Richtern“, nun ist eine neue Auflage seines Buchs erschienen. „Es sind zwar einige brisante Fälle bereits bekannt und die Dunkelziff­er an Richtern mit radikalen Gedanken dürfte noch höher liegen“, sagt Wagner im Gespräch mit unserer Redaktion. Aber: „Unterwande­rt ist die Justiz in Deutschlan­d nicht.“Und darüber hinaus: „Die Justizbehö­rden und die Politik sind nicht aufmerksam genug, wenn es um Fälle rechtspopu­listischer oder rechtsextr­emer Robenträge­r geht.“Zu oft würden die Behörden wegschauen. „Es herrscht in den Justizbehö­rden großer Korpsgeist. Hier funktionie­rt die Dienstaufs­icht nicht.“

Fachleute wie Wagner sehen für kommunale Ämter vor allem ein gewachsene­s Risiko. Die radikal rechte AfD wird stärker, erzielt gute Ergebnisse, landet in Parlamente­n – und erhebt, solange sie nicht verboten ist, Ansprüche auf diese Ämter. Hier sei Bildung und Aufklärung wichtig, sagt Wagner. Ähnlich sieht es der Verband der ehrenamtli­chen Richterinn­en und Richter. „Der beste Schutz vor Extremiste­n bei Gericht ist die Wachsamkei­t in den Kommunen – dort, wo die Schöffinne­n und Schöffen in der ersten Stufe ausgewählt werden“, sagt dessen Präsident Andreas Höhne.

Der beste Schutz vor Extremiste­n bei Gericht ist die Wachsamkei­t in den Kommunen. Andreas Höhne, Präsident der ehrenamtli­chen Richterinn­en und Richter

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SEBASTIAN KAHNERT / PICTURE ALLIANCE / DPA Wird vom sächsische­n Verfassung­sschutz als Extremist geführt: Der frühere AfD-Abgeordnet­e Jens Maier darf nicht mehr zurück auf die Richterban­k am Landgerich­t Dresden.
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IMAGO Sitzt in Untersuchu­ngshaft: Richterin Birgit Malsack-Winkemann, Ex-AfD-Abgeordnet­e.
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FUNKE FS Will Verfassung­sfeinde stärker ins Visier nehmen: Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP).

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