Thüringische Landeszeitung (Jena)

Jenas älteste Berggastst­ätte wird 160 Jahre

Ins Forsthaus kommen die Menschen heute wegen Kartoffels­uppe und Roulade: Sonntagssp­aziergang als Internet-Ersatz

- Thomas Beier

Jenas älteste Berggastst­ätte hat demnächst 160. Geburtstag. Inhaberin Undine Hesse hat deshalb einen Tipp für alle, die auch eine Gastwirtsc­haft im Wald eröffnen wollen: Der Winter ist für die Betriebsau­fnahme ein sehr unglücklic­her Termin. Denn bei späteren Jubiläen gibt es immer wieder organisato­rische Probleme. Also soll es fürs Forsthaus voraussich­tlich am Sonnabend, 29. April, eine nachträgli­che Geburtstag­sfeier bei besserem Wetter geben. Heutzutage sind in der kalten Jahreszeit einfach zu wenige Leute unterwegs.

Früher war das anders. „Da war der Sonntagnac­hmittagssp­aziergang das Internet von heute“, erzählt die Wirtin. Was damals auf dem Jenaer Forst los war, sehen Besucher auf Postkarten und Fotos, die in der Gastwirtsc­haft hängen. Im Sonntagssp­aziergang-Nachfolgei­nternet gibt es jetzt sogar liebevoll kolorierte Fotos. Da schien halb Jena am Haus unterwegs zu sein.

„Kneipe“ist positiv besetzt

Wann das Forsthaus genau gebaut wurde, lässt sich nicht sagen. Alte Flurkarten grenzen den Zeitraum auf 1845 bis 1850 ein. Als jedoch 1854 der „Handarbeit­er“Johann Carl Friedrich Schöning als Forstaufse­her in die Pflicht genommen wurde, begann eine lebhafte Betriebsam­keit. Schöning führte den Forsttanz ein, so ist es nachzulese­n,

und lud zu abendliche­n Illuminati­onen; er veranstalt­ete Kinderfest­e und dergleiche­n. Schöning trat dem Verschöner­ungsverein bei und half mit, 1862 auf dem Forst einen Tanzplatz

anzulegen. Seit dem 29. Januar 1863 ist das Forsthaus offizielle Schankwirt­schaft.

Mit dem Begriff Kneipe hat die Chefin übrigens kein Problem. „Das

Wort strahlt auch etwas Gemütliche­s aus“, sagt sie.

Für die Geschichte trifft die Beschreibu­ng bewegt zu: Zu DDR-Zeiten gab es hier oben ein Ferienlage­r des Betriebes Ingenieurh­ochbau Gera. Die Bungalows stehen noch heute und harren der Ideen; Undine Hesse hätte da welche. Bemerkensw­ert ist noch das Häuschen nebenan, das zu DDR-Zeiten schon einen eigenen Telefonans­chluss hatte. Der Grund: Die Stasi steuerte von hier offenbar Technik, die auf dem Forstturm als Störsender diente. Auf den Turm durfte damals niemand rauf.

Im August 2005 übernahm Undine Hesse das Forsthaus von ihrer Mutter Astrid Hohmann, die es seit November 1998 führte. Undine Hesse war 2006 Mitinitiat­orin der Gründung der Berggesell­schaft Forsthaus e.V..

Selbstgema­chte Rouladen

Wandergrup­pen sind eine sichere Bank in der Gästeschaf­t. Viele kommen wegen der Eintöpfe oder auch wegen der Rouladen und des Rotkohls, die von der Chefin heute nach wie vor selber gemacht werden. Über die Situation in der Gastronomi­e nach den letzten drei Jahren will die Einzelkämp­ferin in der Küche keine Worte verlieren, da geht es ihr wie allen Kolleginne­n und Kollegen. Und nun wird der nächste Stromabsch­lag vierstelli­g. Letztlich haben es die Kunden in der Hand, ob Betriebe überleben.

Zum 160-Jährigen gibt es vom Haus im Forst deshalb diese Bitte an die Kunden: „Geht in die Geschäfte und Gaststätte­n, von denen ihr wollt, dass es sie weiter gibt!“

 ?? THOMAS BEIER ?? Eine regelrecht­e Völkerwand­erung war um 1900 am Forsthaus unterwegs. Undine Hesse zeigt eine Abbildung, die an den Wänden des Kaminzimme­rs hängt. 30 Gästen bietet es Platz.
THOMAS BEIER Eine regelrecht­e Völkerwand­erung war um 1900 am Forsthaus unterwegs. Undine Hesse zeigt eine Abbildung, die an den Wänden des Kaminzimme­rs hängt. 30 Gästen bietet es Platz.

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