Thüringische Landeszeitung (Jena)
Jenas älteste Berggaststätte wird 160 Jahre
Ins Forsthaus kommen die Menschen heute wegen Kartoffelsuppe und Roulade: Sonntagsspaziergang als Internet-Ersatz
Jenas älteste Berggaststätte hat demnächst 160. Geburtstag. Inhaberin Undine Hesse hat deshalb einen Tipp für alle, die auch eine Gastwirtschaft im Wald eröffnen wollen: Der Winter ist für die Betriebsaufnahme ein sehr unglücklicher Termin. Denn bei späteren Jubiläen gibt es immer wieder organisatorische Probleme. Also soll es fürs Forsthaus voraussichtlich am Sonnabend, 29. April, eine nachträgliche Geburtstagsfeier bei besserem Wetter geben. Heutzutage sind in der kalten Jahreszeit einfach zu wenige Leute unterwegs.
Früher war das anders. „Da war der Sonntagnachmittagsspaziergang das Internet von heute“, erzählt die Wirtin. Was damals auf dem Jenaer Forst los war, sehen Besucher auf Postkarten und Fotos, die in der Gastwirtschaft hängen. Im Sonntagsspaziergang-Nachfolgeinternet gibt es jetzt sogar liebevoll kolorierte Fotos. Da schien halb Jena am Haus unterwegs zu sein.
„Kneipe“ist positiv besetzt
Wann das Forsthaus genau gebaut wurde, lässt sich nicht sagen. Alte Flurkarten grenzen den Zeitraum auf 1845 bis 1850 ein. Als jedoch 1854 der „Handarbeiter“Johann Carl Friedrich Schöning als Forstaufseher in die Pflicht genommen wurde, begann eine lebhafte Betriebsamkeit. Schöning führte den Forsttanz ein, so ist es nachzulesen,
und lud zu abendlichen Illuminationen; er veranstaltete Kinderfeste und dergleichen. Schöning trat dem Verschönerungsverein bei und half mit, 1862 auf dem Forst einen Tanzplatz
anzulegen. Seit dem 29. Januar 1863 ist das Forsthaus offizielle Schankwirtschaft.
Mit dem Begriff Kneipe hat die Chefin übrigens kein Problem. „Das
Wort strahlt auch etwas Gemütliches aus“, sagt sie.
Für die Geschichte trifft die Beschreibung bewegt zu: Zu DDR-Zeiten gab es hier oben ein Ferienlager des Betriebes Ingenieurhochbau Gera. Die Bungalows stehen noch heute und harren der Ideen; Undine Hesse hätte da welche. Bemerkenswert ist noch das Häuschen nebenan, das zu DDR-Zeiten schon einen eigenen Telefonanschluss hatte. Der Grund: Die Stasi steuerte von hier offenbar Technik, die auf dem Forstturm als Störsender diente. Auf den Turm durfte damals niemand rauf.
Im August 2005 übernahm Undine Hesse das Forsthaus von ihrer Mutter Astrid Hohmann, die es seit November 1998 führte. Undine Hesse war 2006 Mitinitiatorin der Gründung der Berggesellschaft Forsthaus e.V..
Selbstgemachte Rouladen
Wandergruppen sind eine sichere Bank in der Gästeschaft. Viele kommen wegen der Eintöpfe oder auch wegen der Rouladen und des Rotkohls, die von der Chefin heute nach wie vor selber gemacht werden. Über die Situation in der Gastronomie nach den letzten drei Jahren will die Einzelkämpferin in der Küche keine Worte verlieren, da geht es ihr wie allen Kolleginnen und Kollegen. Und nun wird der nächste Stromabschlag vierstellig. Letztlich haben es die Kunden in der Hand, ob Betriebe überleben.
Zum 160-Jährigen gibt es vom Haus im Forst deshalb diese Bitte an die Kunden: „Geht in die Geschäfte und Gaststätten, von denen ihr wollt, dass es sie weiter gibt!“