Thüringische Landeszeitung (Jena)
Gericht will den Tatort sehen
Hausfriedensbruch: Warum eine Richterin den Deckel nicht drauf machen konnte
Jena. Der Staatsanwalt kam aus Gera, der Rechtsanwalt aus Gelsenkirchen, dazu ein Schulleiter als Zeuge: Auch wenn Richterin Wilma Göritz allein schon aus Kostengründen gerne „den Deckel drauf gemacht“hätte, geht der Prozess weiter: mit einem Termin am Tatort an der Rudolstädter Straße 95. Immerhin geht es um Hausfriedensbruch. Polizisten sollen geladen werden, auch Mitarbeiter des Eigenbetriebs Kommunale Immobilien Jena. „Dann komm ich mit alle Mann vor Ort“, sagte Göritz leicht gereizt, nachdem der Angeklagte den aufgezeigten Weg nicht beschreiten wollte.
Der Krieg war wenige Tage alt, als Anatole Braungart Ende Februar 2022 an der Berufsschule den Jugendverband der Marxistisch Leninistischen Partei Deutschlands unterstützen wollte. Er verteilte um 7 Uhr Flyer, was dem eintreffenden Schulleiter missfiel: In seinen Augen stand der CNC-Fräser, der 2021 für den Bundestag kandidierte, auf dem Schulgelände und verstieß somit gegen das Schulgesetz: „Kommerzielle Werbung und Werbung für politische Parteien und politische Gruppierungen ist in der Schule grundsätzlich nicht zulässig“, ist dort nachzulesen. Und weil Braungart das Gelände nicht verlassen wollte, kam die Polizei. Am Ende stand eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und eine Anklage der Staatsanwaltschaft, die vom Gericht zugelassen wurde.
Es ging am Donnerstag vor allem um den Weg vom Bahnhof in Göschwitz zur Rudolstädter Straße und um die Fragen, wo und wie Bauzäune gestanden haben (darauf soll
KIJ eine Antwort geben), ob und wie das Gelände während der Bauarbeiten eingefriedet war, ob der Weg öffentlich ist, und wo Anatole Braungart genau stand. Dazu studierten alle Beteiligten mehrfach Zeichnungen und Fotos und waren am Ende auch nicht schlauer. Kern des Problems ist der Weg, der zwar öffentlich genutzt werden darf, rechtlich aber zum Schulgelände gehört.
Zeit verging. Und weil die Kohlendioxid-Sensoren am Tisch der Richterin immer wieder ausschlugen, mussten die Fenster im Gerichtssaal immer wieder geöffnet werden. 19 Grad waren es.
Wilma Göritz schien nicht überzeugt zu sein von der Anklage. Zumindest sah sie auch Bezüge zum Verwaltungsrecht, weshalb von ihr der Vorschlag kam, das Verfahren ganz einzustellen. Dazu hätte Braungart nur versichern müssen, das Schulgelände samt Weg künftig zu meiden. Er war nämlich nicht das erste Mal in Göschwitz politisch aktiv und offenbar nicht zum letzten Mal. Warum? Zumindest auf dem Papier kann er dort 1500 junge Menschen erreichen. Dafür muss man in Fußgängerzonen lange stehen.
Pause: Der Anwalt wollte sich beraten. Und verkündete danach, dass
sein Mandant dagegen sei. Ohnehin seien die neuen Schilder, die auf das Schulgelände verwiesen, willkürlich angebracht. Braungart gab sich kämpferisch. Schon am Vortag war ihm der Prozess eine Pressemitteilung wert, in der er das Vorgehen des Schulleiters kritisierte. Dieser beruft sich aufs Schulgesetz. Notfalls werde er den Weg sperren.
Jetzt gibt es also einen neuen Termin. Und der Rechtsanwalt bat darum, diesen auch wieder in die Mittagszeit zu legen. Immerhin reist er aus Gelsenkirchen an. Und der Staatsanwalt aus Gera. Und eine Reihe von weiteren Zeugen kommen auch.