Thüringische Landeszeitung (Jena)
Gislasons schwere Mission
Die deutschen Handballer starten an diesem Freitag mit dem Spiel gegen Katar in die WM
Falls Alfred Gislason so etwas wie Druck spürte, ließ er sich nichts anmerken. Der Bundestrainer wirkte entspannt und aufgeräumt. Wie einer, der schon alles gesehen hat und den nichts mehr erschüttern kann. Was nicht verwundert, denn Alfred Gislason hat so ziemlich alles gesehen in seinem Trainerleben. Und erschüttern – das kann ihn nach den bisherigen drei Jahren seit seinem Dienstantritt als Deutschlands oberster HandballLehrer ohnehin nichts mehr.
So saß er am Donnerstag da, in der letzten Presserunde, bevor die deutschen Handballer ins polnische Kattowitz aufbrachen, wo an diesem Freitag ihr erstes WM-Spiel gegen Katar ansteht. Was er unter einem perfekten Handballspiel verstehe, wurde Gislason noch kurz vor der Abreise gefragt. Der Isländer lachte nur. „Da würden wir jetzt aber philosophisch werden.“
Tatsächlich geht es nun ums Praktische. Die WM begann am Mittwoch, nun spielt auch Deutschland mit. Nicht als einer der Favoriten, sondern als Mannschaft, die mit einem großen Fragezeichen versehen ist. Leistungsträger der jüngeren Vergangenheit wie Uwe Gensheimer, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold sind zurückgetreten. Zudem fehlen in Julius Kühn, Marcel Schiller und Timo Kastening angeschlagene und verletzte Spieler, die in der jüngeren Vergangenheit zu den Leistungsträgern zählten. „Wir gehören nicht zu den Favoriten, verfügen aber über Qualität“, sagt Gislason angesichts der kurzen Zeit des Zusammenfindens.
Fakt ist: Die beiden jüngsten Testspiele gegen Island gaben Hoffnung.
Gislasons Ziel lautet also: die Vorrunde gewinnen, in der nach Katar noch Serbien (Sonntag) und Algerien (Dienstag, jeweils 18 Uhr) warten. Und dann? „Ich hoffe, dass wir Ende Januar sagen können: Wir haben ein richtig gutes Turnier gespielt“, so Gislason. „Und dass wir unabhängig von der Platzierung stolz auf die Leistung sein können.“
Das konnten die deutschen Handballer in den jüngsten Jahren eher selten. Auch unter Gislason nicht. Der Mann, der mit dem THW Kiel und dem SC Magdeburg als Vereinstrainer alles gewonnen hat und glaubte, alles gesehen zu haben, wurde als Bundestrainer eines Besseren belehrt. Als seine Amtszeit im März 2020 begann, schlug Corona zu. 273 Tage dauerte es, bis Gislason überhaupt erstmals an der Seitenlinie stehen durfte. Dann folgten die Turniere. Die WM 2021 mit Platz zwölf, dem schlechtesten Abscheiden der Verbandsgeschichte: eine Katastrophe. Olympia in Tokio mit dem Aus im Viertelfinale: eine Enttäuschung. Die EM 2022 mit Platz sieben und insgesamt 18 Corona-Infizierten im deutschen Team: das reinste Chaos.
Der Blick geht unweigerlich Richtung EM 2024, aber als Durchgangsstation möchte diese WM keiner sehen. „Das ist kein Turnier, um nur zu lernen“, stellte Gislason klar. „Wir wollen eine richtig gute WM spielen. Denn dies gibt zwangsläufig Schub für die EM im kommenden Jahr.“
Dazu muss heute der Auftakt gegen Katar gelingen. Gegen jene Nation, die bei der WM 2015 ins Finale im heimischen Doha eingezogen war und dabei Deutschland im Viertelfinale besiegt hatte. Mit einem Team, dessen Kern aus eiligst eingebürgerten Profis bestand, die in Osteuropa geboren wurden. Auch der Kubaner Rafael Capote war damals schon dabei, mit inzwischen 35 Jahren ist der Rückraumspieler noch immer der Mann, auf den es zu achten gilt. Ebenso auf den gebürtigen Montenegriner Jovan Gacevic (24).
Nun sind die Karten neu gemischt. Alfred Gislason will im Hier und Jetzt Erfolge feiern. Und dann beantwortete er die letzte Frage kurz vor dem Abflug nach Polen doch noch, wenn auch alles andere als philosophisch: „Ein richtig gutes Handballspiel“, sagte der Bundestrainer mit einem verschmitzten Lächeln, „ist in der Regel immer eins, das man gewinnt.“
Deutschland – Katar, Freitag, 18 Uhr, ZDF