Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kernland rechtsextremer Gewalt
Wie Thüringen ein Zentrum der neonazistischen Kampfsportszene wurde
Eisenach/Erfurt. Hätte in Thüringen eine militante Kampfsportgruppe bereits vor Jahren von den Behörden ausgehoben werden können? „Ich gehe die These ein, dass dieses Verfahren schon vor fünf Jahren hätte stattfinden können“, sagt der Publizist Robert Claus.
Er befasst sich seit vielen Jahren mit der rechtsextremen Kampfsportszene und dabei immer wieder mit Thüringen – notgedrungen, denn das Bundesland hat sich zu einem Zentrum in dem Bereich entwickelt. Über seine Erkenntnisse hat der Experte jetzt die Mitglieder des Untersuchungsausschusses informiert, der sich im Landtag mit der Entwicklung von politischer Gewaltkriminalität im Land befasst und seine Aufmerksamkeit dabei unter anderem auf die Gruppierung „Knockout51“(K51) um Leon R. richtet. Spätestens seit der Razzia bei der sogenannten „Atomwaffendivision“2022 steht auch K51 im Fokus der Ermittlungsbehörden.
Claus legt im Ausschuss eine lange Liste von Straftaten vor, die bereits in den Jahren 2017 und 2018 dieser Gruppe zugerechnet wurden. Das soll seine These stützen, dass hier eher hätte eingeschritten werden müssen. Nach der Scheinauflösung im November 2021 traten nach Informationen dieser Zeitung auf Geheiß von R. Anwärter in die NPD-Nachwuchsorganisation „Junge Nationalisten“(JN) ein. Dass die Auflösung von K51 offenbar nur pro forma erfolgte, zeigt auch eine Aktion zum Jahresende 2021 in Eisenach. Dort waren Mitglieder der Gruppe in Erscheinung
getreten, als eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen eskalierte und Polizeibeamte massiv angegriffen wurden – in vorderster Reihe, das belegen Videos und Bildmaterial, das dieser Zeitung vorliegt, waren damals mehrere Personen am Werk, die sich wie professionelle Kampfsportler verhielten und Polizisten attackierten. Mehrere der von den Sicherheitsbehörden
identifizierten Angreifer werden der Gruppe K51 zugerechnet.
Der Bundesgerichtshof stellte in einem Beschluss fest, dass die Gruppe um Leon R. in Eisenach einen „Nazi-Kiez“errichten wollte. Zentraler Anlaufpunkt dabei: Das „Flieder Volkshaus“der rechtsextremen NPD. Hier hatten die Kampfsportler in der Vergangenheit sogar trainiert. Seit wenigen Wochen stuft die
Polizei die NPD-Zentrale als „kriminogenen Ort“ein.
Hooligans spielen zentrale Rolle in rechtsextremen Kreisen
Das Ziel der Vereinigung sei „die Durchführung von erheblichen Körperverletzungen gegen Angehörige des politisch linken Spektrums, aber auch gegen die Polizei und sonstige Personen, die nach der
rechtsextrem und rassistisch geprägten Weltsicht der Gruppierung bekämpft werden dürfen“, teilt ein Sprecher der für Eisenach zuständigen Landespolizeiinspektion Gotha auf Anfrage mit.
Rechtsextremer Kampfsport hat in Thüringen bereits eine längere Tradition. Zwischen Eisenach und Erfurt gebe es eine Ballung von Organisationen und Veranstaltungen in dem Bereich, konstatiert auch der Sachverständige Robert Claus in der Ausschusssitzung – und er macht deutlich: „Wenn wir über Personen wie Leon R. reden, dann reden wir nicht nur über einen Gewalttäter aus Thüringen. Dann reden wir über Menschen, die europaweit vernetzt sind.“
Neben der militanten Neonaziszene gibt es aber auch eine Hooliganszene, in der sich der Kampfsport immer weiter ausbreitet und die in rechtsextremen Kreisen eine zentrale Rolle spielt. So zeigt Claus in der Sitzung zum Beispiel auf, dass sich die Erfurter HooliganGruppe „Jungsturm“als Nachwuchsgruppe der sogenannten „Kategorie Erfurt“entwickelt habe. In dieser wiederum war Enrico B. einer der Protagonisten. B., einst für die NPD in Erfurt Stadtrat, zählt zu den umtriebigsten Rechtsextremisten der Landeshauptstadt und muss sich gerade vor Gericht wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Er soll mit neun weiteren Beschuldigten im August 2020 zwei Guineer zum Teil lebensgefährlich verletzt haben. Der Angriff fand in der Nähe des einstigen Zentrums der „Neue Stärke Partei“(NSP) in Erfurt statt, das zuvor dem III. Weg als Zentrum diente. Die NSP ging aus dieser Partei hervor. In dem Objekt fanden immer wieder Kampfsporttrainings statt.
Zuletzt geht Robert Claus auf das größte Event in der rechtsextremen Kampfsportszene ein: den „Kampf der Nibelungen“, der beim Rechtsrockfestival im sächsischen Ostritz vor einigen Jahren eine Wiederauferstehung erfahren hat – das Festival wurde vom Thüringer NeonaziKader Torsten Heise organisiert.