Thüringische Landeszeitung (Jena)

Lambrechts Scheitern setzt den Kanzler unter Druck

Olaf Scholz hat sich bei der Besetzung des Chefposten­s im Verteidigu­ngsressort gründlich geirrt. Welche Optionen ihm jetzt noch bleiben

- Jan Dörner

Das Scheitern von Christine Lambrecht im Amt der Verteidigu­ngsministe­rin ist auch eine Niederlage von Olaf Scholz. Als der Kanzler im Dezember 2021 in der SPD-Zentrale die sozialdemo­kratischen Ministerin­nen und Minister vorstellte, pries er Lambrecht als „eine erfahrene Politikeri­n, eine erfahrene Ministerin“. Die Bundeswehr habe jemanden an der Spitze verdient, „die es auch kann – und das ist bei Christine Lambrecht exakt der Fall“, sagte Scholz. „Sie wird eine ganz, ganz bedeutende Verteidigu­ngsministe­rin der Bundesrepu­blik Deutschlan­d sein.“

Ein gutes Jahr später ist klar: Scholz hat sich gründlich geirrt. Der Kanzler lobte die 57-Jährige noch Mitte Dezember als „erstklassi­ge Verteidigu­ngsministe­rin“, Lambrecht selbst hat aber inzwischen erkannt, dass sie trotz ihrer vorherigen Leistung als Justizmini­sterin keine erstklassi­ge Chefin des Verteidigu­ngsressort­s war – und auch keine bedeutende Verteidigu­ngsministe­rin mehr werden wird. Zu lang ist die Liste ihrer Pannen und Ungeschick­lichkeiten, zu vergiftet die Stimmung im Ministeriu­m. Ihr Rücktritt wird zeitnah erwartet, nachdem Meldungen darüber seit Freitagabe­nd kursieren und bisher unwiderspr­ochen blieben. Auch Lambrecht äußerte sich nicht, sie tauchte unter. Ein skurriler Schwebezus­tand.

Der Kanzler hätte die Chance gehabt, Lambrecht noch einmal den Rücken zu stärken. Oder der Parteifreu­ndin für ihre Arbeit zu danken. Oder eine schnelle Lösung für die Besetzung des schwierige­n Ressorts anzukündig­en. Doch als Scholz am Sonnabend ein neues Flüssiggas­Terminal in Lubmin an der Ostsee eröffnete, schwieg er, überhörte Reporterfr­agen zu Christine Lambrecht und der erwarteten Neubesetzu­ng. Kein Wort zu den Turbulenze­n in seiner Regierung.

Sollte der Termin an der Ostsee die Handlungsf­ähigkeit des Kanzlers

und seiner Regierung in der aktuellen Krise demonstrie­ren, machte er das Vakuum an der Spitze des Verteidigu­ngsministe­riums und die damit verbundene­n Probleme des Kanzlers besonders deutlich.

Wird die Wehrbeauft­ragte Eva Högl Lambrechts Nachfolger­in?

In Europa herrscht Krieg, mit dem Angriff auf die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin nicht nur alle scheinbare­n Gewissheit­en zur politische­n Ordnung auf dem Kontinent erschütter­t, sondern auch den Europäern und ganz besonders Deutschlan­d brutal vorgeführt, wie schlecht sie militärisc­h für derartige Bedrohunge­n gerüstet sind. In dieser Lage fehlt ausgerechn­et dem größten Land Europas die Führung im Verteidigu­ngsressort. Und das auch noch in einem Moment, in dem die Scholz-Regierung unter dem Druck der Partner steht, der Weitergabe von Kampfpanze­rn des

Typs Leopard 2 an die Ukraine zuzustimme­n.

Als eine Alternativ­e zu Lambrecht gilt die Wehrbeauft­ragte des Bundestags,

Eva Högl. Die 54jährige trat am Wochenende

mit einem – lange vor den Meldungen über den LambrechtR­ücktritt vereinbart­en – Interview in Erscheinun­g, in dem sie nicht nur forderte, das Sonderverm­ögen zur Modernisie­rung der Bundeswehr auf 300 Milliarden Euro zu verdreifac­hen. Zu der Panzerdeba­tte sagte Högl der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“zudem: „Leopard-2-Panzer würden der Ukraine sicher entscheide­nd helfen.“Die Fachkenntn­is Högls ist unbestritt­en, sie gilt als beliebt in der Truppe. Aber wäre sie Scholz mit solchen klaren Positionen zu unbequem?

Auch SPD-Chef Lars Klingbeil wird als möglicher Nachfolger Lambrechts gehandelt. Der Parteichef stammt aus einer Soldatenfa­milie und hat sich über Jahre im Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestags mit der Bundeswehr beschäftig­t. Sein Verhältnis zu Scholz ist eng. Bisher waren in der SPD aber alle zufrieden damit, dass die

Parteichef­s Klingbeil und Saskia Esken nicht dem Kabinett angehören. Eine Überraschu­ngslösung, für die Scholz auch gut ist, wäre die 39-jährige Staatssekr­etärin im Verteidigu­ngsministe­rium Siemtje Möller.

Kabinettsu­mbildung könnte größer ausfallen

Wahrschein­licher ist jedoch, dass der Bundeskanz­ler in der angespannt­en Lage auf Erfahrung setzt. Damit richtet sich der Blick auf Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, den Scholz bei der Vorstellun­g der SPDMiniste­r vor gut einem Jahr als „Schlachtro­ss“lobte. Scholz hat allerdings versproche­n, seine Regierungs­mannschaft zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte den Kanzler in der „Bild am Sonntag“zwar auf, in der Frage der Lambrecht-Nachfolge nicht „nach Geschlecht­ern, sondern nur nach Kompetenz“zu entscheide­n. Aus der SPD ist allerdings zu hören, dass an dem Prinzip der Parität fest- gehalten werden solle. Das spräche für Högl. Wagen sich entweder Heil oder Kanzleramt­sminister Wolf- gang Schmidt auf den Schleuders­itz im Verteidigu­ngsministe­rium, müssten ihre Posten mit einer Frau nachbesetz­t werden. Macht es Klingbeil, müsste ein Mann im Ka- binett weichen. Einziger weiterer Minister mit SPD-Parteibuch: der nicht unumstritt­ene Gesundheit­s- minister Karl Lauterbach.

Scholz ist durch die Personalie Lambrecht also gezwungen, sich über ein komplizier­tes Personal- puzzle zu beugen. Das mag ein Grund für sein bisheriges Schweigen sein. Direkte Nachbesetz­ung Lambrechts oder Rochade? Beides wird in der SPD für möglich gehal- ten. Zumal auf einem weiteren Puz- zleteil auch Nancy Faeser zu sehen ist: Die Innenminis­terin ist Chefin des hessischen SPD-Landesverb­an- des und die nur offiziell noch nicht gekürte Spitzenkan­didatin zur Landtagswa­hl im Herbst.

Die Union nutzte die Bredouille des Kanzlers, um Druck auf Scholz zu machen. Die Gerüchte um Lambrechts Rücktritt müssten „endlich mit einer Entscheidu­ng des Bundeskanz­lers abgeschlos­sen“werden, forderte Opposition­sführer und CDU-Chef Friedrich Merz. „Auch mit diesem Wabern und diesem Abwarten und diesem Zögern schadet man der Bundes- wehr.“

Auch mit diesem Wabern und diesem Abwarten und diesem Zögern schadet man der Bundeswehr. Friedrich Merz, CDU-Chef, fordert vom Bundeskanz­ler rasches Handeln

 ?? MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES ?? Medienberi­chten zufolge steht der Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) kurz bevor.
MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES Medienberi­chten zufolge steht der Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) kurz bevor.
 ?? MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) kann sich keinen weiteren Fehlgriff leisten.
MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) kann sich keinen weiteren Fehlgriff leisten.

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