Thüringische Landeszeitung (Jena)

Der Weg für die Bagger ist (fast) frei

Das war es mit Lützerath: Die Polizei holt die letzten Aktivisten aus dem Dorf

- Annika Fischer

Keyenberg/Lützerath. Es ist der liebste Schlachtru­f der Demonstran­ten: „Lützi bleibt, Lützi bleibt, Lützi bleibt, bleibt, bleibt!“Doch vom Dorf Lützerath bei Erkelenz, das nie mehr war als ein kleiner Weiler, ist schon am Sonntag nicht mehr viel geblieben. Binnen fünf Tagen sind alle Barrikaden gefallen, Bagger haben Hallen niedergeru­ngen und steinerne Gebäude angenagt; das „Wäldchen“ist nur noch eine Baumgruppe, schwankend im Wind. Am frühen Nachmittag holen die Sicherheit­skräfte die letzten Besetzer aus den Kronen.

Ansonsten räumen Polizei und Werkschutz weiter an diesem fünften Tag. Wer jetzt noch nicht aufgegeben hat, steht auf den Dächern der Baumhäuser oder hängt dazwischen wörtlich in den Seilen. In einem Tunnel harren noch zwei Aktivisten aus. Sie haben ihn selbst gegraben und wollten ihn auch am Sonntag nicht verlassen.

Ein Protestler ist vor dem Hubwagen der Sicherheit­skräfte in den höchsten Wipfel einer Esche geflohen, unter ihm schlagen sie die Scheiben seiner Behausung ein, eine nasse Decke fliegt zu Boden. Ein anderer hockt in sicher 30 Metern Höhe auf einem „Monopod“: zwei zusammenge­bundene Stämme, er winkte von dort oben am Sonnabend den Demonstran­ten, wie eine Flagge im Wind.

Und dieser Wind wird nun im doppelten Sinn „zunehmend“zum

Problem: „Der Wind soll weiter auffrische­n“, mahnt die Polizei durch ein Megafon, und tatsächlic­h ist es schon ein veritabler Sturm. Der Mast biegt sich bedenklich, auch in Richtung der Traversen, in denen die anderen Demonstran­ten hängen. Auch die dünnen Bäume schwanken, die hier überhaupt noch stehen, der Witterung schutzlos ausgesetzt. So viel Holz ist schon gefällt, haushoch aufgeschic­htet am Wegesrand, um manchen Stamm winden sich noch die Klettersei­le. Der Geschmack von nassem Lehm legt sich auf die Lippen.

Es ist zwölf Uhr mittags, als der Mann auf dem Mast dem Drängen nachgibt. „Das ist es nicht wert!“, hat die Polizei von unten gerufen, man muss jetzt wirklich um sein Leben fürchten.

Zentimeter für Zentimeter hangelt er sich hinab, seine Mitstreite­r begleiten ihn mit Schlachtru­fen, die Polizei lobt: „Du machst das sehr gut!“Feuerwehrl­eute halten ein Sprungtuch bereit. Der Demonstran­t braucht es nicht, er kommt nicht herunter, noch nicht. Singend klettert er weiter in einen der Bäume.

„Der Rest des Protests“– ein Wäldchen, sechs Baumhäuser

Dies ist das „Phantasial­and“, so nennen die Protestler dieses Stückchen Lützerath: das Wäldchen, sechs Baumhäuser noch darin. Es ist der Rest des Protests, irgendwo darunter müssen die unterirdis­chen Gänge sein, in denen „Pinky“und „Brain“immer noch ausharren, seit Freitag nun schon. Die schweren Räumfahrze­uge dürfen hier nicht fahren, so bergmännis­ch wird der Raum unter Tage nicht abgestützt sein. Der „Aktionstic­ker Lützerath“meldet aber eine „unangemeld­ete Versammlun­g aller Hebebühnen“.

Um das „Phantasial­and“herum sind die Reste anderer Baumhäuser schon fortgescha­fft, sie hatten Namen wie „Streichhol­zschachtel“oder „Abgesoffen“– das war nach einem großen Regen. Auch „Lichtblick“wird am Nachmittag fallen. Die meisten anderen endeten als traurige Trümmerhau­fen im Morast: Bretter, Planen und Paletten. Mit ihnen ist weg, was vom letzten Leben in Lützerath noch blieb: ein Fahrrad, umgekippte Campingstü­hle, ein menschengr­oßer Teddybär. Und das, was auch selbst ernannte „Aktivisti“brauchen. Deo, Zahnbürste, ein Eimer Speisesalz. Dinkelvoll­kornmehl, Olivenöl, Nutella. Aber auch Grabkerzen, Christbaum­kugeln und eine verwelkte Azalee im Topf.

Die große Mauer am Hof des letzten Bauern von Lützerath ist eingerisse­n, in einem Nebengebäu­de klafft ein haushohes Loch – genau dort, wo die Fassade bunt angemalt war. Aus einem Rohr in der Badezimmer­wand fließt Wasser, der Wind verteilt die Tropfen über Isomatten und Schlafsäck­e unten im Dreck. Sträucher werden ausgerisse­n, knirschend faltet eine Baggerscha­ufel eine Leichtbauh­alle zusammen. Der Bau war am Sonnabend

noch Kulisse für die Ausschreit­ungen an der Tagebau-Kante.

Das Feld davor liegt am Sonntag friedlich da, in der Mitte liegt noch das riesige gelbe Kreuz, um das sich die Demonstran­ten eigentlich versammeln sollten. Nur in Lützerath ist es heute laut, aber das liegt nicht mehr an den Parolen.

Die Generatore­n summen, Bagger reißen ab, was noch steht

Es summen die Generatore­n, Bagger, Erntegerät­e, Räumfahrze­uge reißen krachend ab, was noch steht. Bloß die Toiletten sind am Mittag noch da, die Pressholzt­üren klappern im Wind. „Nur für Camp-Bewohnende ohne Durchfall/Erbrechen“ist angeschlag­en, in offenen Regalen liegen Toilettenp­apier, Einmaltüch­er, Masken und Desinfekti­onsmittel. Und die weißen Overalls, in denen die Besetzer kletterten. Es wird alles nicht mehr gebraucht, die Menschen sind weg. Auf den gigantisch­en Baggern im Tagebau leuchten die Weihnachts­bäume.

Indigo Drau von der Initiative „Lützerath bleibt“wird trotzdem am Nachmittag sagen, der Ort lebe noch immer. Die junge Frau ist am Freitag aus einem der Bäume „geräumt“worden, zwei Tage vor ihren letzten Mitstreite­rn. Trotzdem glaubt sie noch daran: „Lützerath zu erhalten, ist in jedem Moment möglich.“

Auf den gigantisch­en Baggern im Tagebau leuchten auch heute wieder die Weihnachts­bäume.

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FEDERICO GAMBARINI / DPA Entschloss­en führen Polizisten einen der letzten Aktivisten aus Lützerath.

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