Thüringische Landeszeitung (Jena)
Beflügelnde Vaterrolle
Biathlon-Routinier Doll lässt sich von der norwegischen Dominanz nicht beirren
Ruhpolding. „Heia Norge“dröhnte es aus den Lautsprechern und nicht nur die rot-weiß-blau bemützten Fans in der Chiemgau-Arena schunkelten mit. Wenn es noch eines Beleges für die erdrückende Dominanz der norwegischen Biathleten bedurft hätte, musste man am Sonntag nur einen Blick in den Zielbereich werfen. Da plauderten Johannes Thingnes Bö, Vetle Sjaastad Christiansen, Sturla Holm Laegreid und Tarjei Bö gewohnt locker über den 15-km-Massenstart, den sie mit einem Vierfachtriumph in dieser Reihenfolge beendet hatten.
Bester Deutscher war der mittlerweile in Erfurt lebende Justus Strelow. Nach nur einem Schießfehler verbuchte er mit Platz acht sein bislang bestes Weltcup-Resultat und empfahl sich damit nachhaltig für die WM-Teilnahme in dreieinhalb Wochen in Oberhof. „Ich habe versucht, nicht zu sehr auf Ergebnis zu laufen und mich nur auf mich zu konzentrieren. Das hat gut funktioniert“, freute sich der Sachse.
Benedikt Doll verschwand indes unter dem Jubel der 19.000 Zuschauer zügig in den Katakomben. Zuvor hatte er gegen den Franzosen Quentin Fillon Maillet den Sprint um Platz 15 gewonnen. Kein Ergebnis, das ihn zufriedenstellte. Fünf Strafrunden waren zu viel. Doch mit der zweitbesten Laufzeit nach Überflieger Bö bestätigte er einmal mehr seine tolle Verfassung.
Die Gründe für seinen dritten Frühling sind vielfältig. 2021 hat Doll sein Training umgestellt. Statt auf große Umfänge setzt er seitdem stärker auf intensive Einheiten und gönnt sich ohne Gewissensbisse auch Ruhepausen. „Den größten Fortschritt habe ich im Kopf gemacht“, sagt der Schwarzwälder und verweist auf die bessere Stressresistenz am Schießstand. Neigte er früher zu Hektik, wirken die Abläufe nunmehr besonnener. Von den jüngsten Patzern im Massenstart abgesehen, zahlte sich das aus. Im Stehendanschlag schraubte er die Trefferquote von 78 auf 83 Prozent.
Eine Entwicklung, die auch mit einer gewissen inneren Ruhe zu tun hat. „Das liegt an der Erfahrung und am Alter“, sagt Doll und grinst. Mittlerweile hat er elf Jahre auf dem Weltcup-Buckel. Im März wird er 33. Nach den Rücktritten von Simon Schempp, Arnd Peiffer und zuletzt Erik Lesser ist er der letzte Verbliebene der erfolgreichen Generation. Die jungen Teamkollegen nennen ihn respektvoll „Capitano“, was die Hierarchie in der Mannschaft anschaulich skizziert. Doll hat das Sagen und untermauert die Rolle in dieser Saison mit konstant guten Leistungen. Im Gesamtweltcup ist er starker Fünfter. In jedem Rennen schaffte er es unter die Top 20.
Die neue Gelassenheit im Sport ist auch auf sein privates Glück zurückzuführen. Im August 2022 wurde Doll erstmals Vater. „Durch unseren Sohn hat sich bei mir vieles relativiert. Ich mache mich jetzt nicht mehr verrückt und sehe Biathlon nicht mehr als lebenswichtig an – eher als Spiel“, beschreibt er sein Erfolgsgeheimnis.
Den 15. Platz vom Sonntag wird er daher wohl auch rasch abhaken. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.