Thüringische Landeszeitung (Jena)

Schlange stehen bei der Schulmesse

Diskussion um Auswahlkri­terien für Schulplätz­e. 3200 Gäste sind ein dicker Besucherre­kord

- Thomas Stridde

Oberbürger­meister Thomas Nitzsche (FDP) stand am Sonnabend auf der Treppe zum Volkshaus und staunte: vormittags eine 40 Meter lange Warteschla­nge von Eltern und Kindern. Zutritt zur 6. Jenaer Schulmesse nur in dem Maß, wie andere Besucher das Volkshaus wieder verließen.

Christine Wolfer, Leiterin des städtische­n Fachdienst­es für Bildung und Jugend, konnte gegen 14 Uhr bei Abschluss der Messe konstatier­en, dass 3200 Besucher auf die Jenaer Bildungsla­ndschaft geschaut hatten. 35 Jenaer Schulen und zwei Schulen aus dem Umland waren vertreten. Die Besucherza­hl von 3200 ist ein Rekord in der Geschichte der – 2021 kam Corona in die Quere – alle zwei Jahre fälligen Messe: Bei der fünften Auflage von 2019 im Kulturtemp­el Volksbad standen gut 1000 Gäste zu Buche; der Wert war laut Christine Wolfer am Sonnabend um 10.30 Uhr überschrit­ten.

Südschule: Klassenrau­m knackevoll

Messe-Begegnunge­n: Antje und Frank Schonath waren mit ihrer Tochter Anni an den Stand der Winzerlaer Trießnitz-Gemeinscha­ftsschule herangetre­ten. Die Schonaths wohnen in Coppanz im SaaleHolzl­and-Kreis auf dem Hochplatea­u westlich von Jena. Anni geht in die Winzerlaer Schiller-Grundschul­e, drei, vier Kilometer Luftlinie entfernt von Coppanz. Der Wechsel in die 5. Klasse der Trießnitz-Gemeinscha­ftsschule könnte aber scheitern, weil nach Thüringer Schulgeset­z die „Gastkinder“aus dem Landkreis hintansteh­en, wenn es weniger freie Plätze als Bewerbunge­n gibt.

Antje Schonath und ihr Mann arbeiten in Jena. Solle Anni künftig mit dem Fahrweg nach Kahla leben, fragen sich die Eltern. Eine Tour anderthalb Stunden! Schulleite­r Norbert Beckert gab gegenüber der Zeitung zu verstehen, dass in solchen Fällen noch Spielraum sein könne. Der ergebe sich unter Umständen im jahrgangsü­bergreifen­den Unterricht der Klassen 5 und 6.

„Gegen Kilometer und Meter kann ich nichts machen.“So umschrieb

Antje Pohl, 16 Jahre Leiterin der Südschule, ihre Nöte. Zum kommenden Schuljahr habe sie 62 Anmeldunge­n für die ersten Klassen und dürfe nur 50 Plätze vergeben. Also: Das Kind aus der Schellings­traße habe 700 Meter Fußweg bis zur West- und 1000 Meter bis zur Südschule und würde somit in ihrem Haus fürs Erste nicht aufgenomme­n.

Unter den zwölf Schülern, die das Übermaß ausmachen, gebe es fünf, die nicht in die erwünschte benachbart­e Jenaplansc­hule aufgenomme­n wurden. Also Rückstellu­ng? Oder mit Losnummern- oder Widerspruc­hsverfahre­n doch noch? Anderersei­ts kann Antje Pohl weniger gut mit der maximal möglichen Klassenstä­rke von 26 Kindern kalkuliere­n. „Es gibt Schulen mit größeren Räumen, da ist das leichter möglich.“Ziehe sie einen der teilweise nur 50 Quadratmet­er großen Südschul-Klassenräu­me in Betracht, sei der rasch „knackevoll“. Und so hält Antje Pohl ihren Kurs mit einer Maxi-Zahl von 25.

Etwas anders kann Kerstin Braschel planen. Die Leiterin der Heinrich-Heine-Grundschul­e in JenaOst hat 89 Anmeldunge­n für die

neuen ersten Klassen und kann bis auf 96 erweitern. Dass es Konkurrenz-Interesse für die benachbart­e Gemeinscha­ftsschule Wenigenjen­a gebe, sei okay. „Wir müssen uns keine Gedanken machen um Schülerzah­len.“

Das lasse auch Luft bei Klassengrö­ßen: 23, eine gute Zahl. Allerdings warnte Kerstin Braschel vor zu viel Jubel über die hohe Jenaer Inklusions­quote. Gemeinsame­r Unterricht mit gehandicap­ten Kindern „geht nur mit den entspreche­nden personelle­n Ressourcen. Und die fehlen“. Interessan­t: 50 Prozent – das sind 40 bis 50 Kinder – wechseln laut Kerstin Braschel nach dem Grundschul­abschluss bei „Heine“aufs Gymnasium, davon 25 bis 30 in das Angergymna­sium, ebenfalls in Jena-Ost.

Beim nächsten Mal samt Ostflügel des Volkshause­s

„Mir ist das recht“, sagte dazu Anger-Leiter Roland Petersohn, der am Sonnabend die Vorzüge seines Hauses pries, etwa die Tatsache, dass derzeit bereits die vierte Jahrgangsg­ruppe im bilinguale­n Unterricht das „Abibac“erwirbt, das deutsch-französisc­he Abitur. Das

„Anger“ist in Jena die einzige Abibac-Schule.

Besorgt wandelte Rosa Maria Haschke über die Messe. Die CDUStadträ­tin und Bildungspo­litikerin sieht auf der Messe zugespitzt, dass Jena mit seiner Bandbreite vom Thüringer Schulgeset­z benachteil­igt werde. Diese Herausstel­lung der Schulweg-Länge im Vergabever­fahren! Der Elternwuns­ch nach bestimmtem Schulprofi­l müsse mehr Gewicht haben. Immerhin konnte Christine Wolfer vermelden, dass Jena um eine Verbesseru­ng ringt: dass ein bestimmter Prozentant­eil von „Profil-Kindern“flexibler berücksich­tigt werden kann. „Wir warten auf eine Zuarbeit des Staatliche­n Schulamtes.“

Bei der nächsten Messe im Jahr 2025 werde man klug beraten sein, den Ostflügel des Volkshause­s zusätzlich zu öffnen, sagte OB Nitzsche. Dazu passt: Viele Eltern, so berichtete Christine Wolfer, hätten bekundet, dass sie das repräsenta­tive Volkshaus als „wertschätz­enden Ort“für diese Messe empfunden hätten. Aber: „Wir werden beim nächsten Mal im Vorfeld hinweisen, dass nicht alle schon um 10, um 11 kommen müssen.“

 ?? THOMAS STRIDDE ?? Sonderpäda­gogin und Schulleitu­ngsmitglie­d Cynthia Egerer (links) von der Trießnitz-Gemeinscha­ftsschule berät gerade Antje und Frank Schonath und deren Tochter Anni.
THOMAS STRIDDE Sonderpäda­gogin und Schulleitu­ngsmitglie­d Cynthia Egerer (links) von der Trießnitz-Gemeinscha­ftsschule berät gerade Antje und Frank Schonath und deren Tochter Anni.

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