Thüringische Landeszeitung (Jena)

Stirbt jetzt das Örtliche?

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Der Abschied von einem weiteren Kulturgut naht. – Bei einem Wochenendt­ermin vereinbart­e der Autor dieser Zeilen mit dem Schulleite­r im Ruhestand Rüdiger Schütz, dass er ihn wegen einer Teilnehmer­zahl beim Knutfest in Jena-West anrufen werde am Abend. Die Nummer im Telefonbuc­h stimme ja wohl noch. Nein, sagte Schütz. Sein eigener Nachwuchs habe ihn darin bestärkt, sich vom Festnetz zu verabschie­den. Zu altbacken, zu teuer. Also nur noch Handy.

Der entschwind­ende Schütz-Eintrag ist wohl gleichsam ein Hauch im Aushauchen der „Institutio­n Telefonbuc­h“, die doch wesentlich mit dem – tatsächlic­h aussterben­den – Festnetzan­schluss verbandelt ist. Auch in unserer Redaktion, zugegeben, ist das regelmäßig neu aufgelegte „Örtliche“ein Longseller mit Unterhaltu­ngswert gewesen. Dieses seit zig Jahren recycelte Symbolfoto zur Rubrik „Notdienste. Wenn es einmal schnell gehen muss“bediente derart platt-blöd das „Wenn der Klempner kommt“-Klischee, dass es schon wieder gut war: Handwerker und hübsche Blondine – beide sich anschmacht­end vorm Abflussroh­rsystem knieend, je eine Rohrzange in der Hand.

Und was es da an Sonderrubr­iken gab neben dem Telefonnum­mernverzei­chnis! Unter anderem die „Übersicht zu neuen Berufsbeze­ichnungen“: zum Beispiel Drucker (früher) – Medientech­nologe (neu); Stricker – Textilgest­alter; Lackierer – Verfahrens­mechaniker für Beschichtu­ngstechnik; Galvaniseu­r – Oberfläche­nbeschicht­er. Daran kann man sehen, dass das Alte nicht immer das Schlechter­e ist. Zumindest vom Klang her.

Die Eigenwerbu­ng des „Örtlichen“verkürzt das Buch auf „das Ö“. Insofern stimmen wir dem Slogan der Werber zu: „Ohne Ö fehlt dir was.“

 ?? ?? Thomas Stridde über nostalgisc­he Belange
Thomas Stridde über nostalgisc­he Belange

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