Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Kleine Pflege heißt: ohne Beine“

Aus dem Alltag einer Pflegehelf­erin in Hermsdorf: Zwischen Medikament­en und Mittagesse­n durften wir Heike Hofmann in ihrem Frühdienst ein kleines Stück begleiten

- Luise Giggel

Hermsdorf. Heike Hofmann klingelt und klopft an der Tür einer Bewohnerin im Hermsdorfe­r Kleeblatt Aktiv-Treff. Als sie nach mehreren Versuchen nicht öffnet, nimmt die Pflegehelf­erin ihren Schlüssel, geht in die kleine 1-Zimmer-Wohnung und begrüßt die ältere Frau. „Ich habe Sie gar nicht gehört“, sagt diese. „Was schauen Sie denn da im Fernsehen?“, beginnt Heike Hofmann ein Gespräch und versucht, die laute TV-Reportage zu übertönen. „Na, das sehen Sie doch“, ist die einfache Antwort. Der Umgang mit älteren und pflegebedü­rftigen Menschen gehört zum Alltag für Heike Hofmann. Um zu zeigen, was der Alltag als Pflegehelf­erin mit sich bringt, durften wir sie ein kleines Stück begleiten.

Aus der braunen Holz-Schrankwan­d, die voll mit Bildern der Familie steht, zieht Heike Hofmann eine Plastikbox, zu der sie den Schlüssel hat. Sie holt die vorgesehen­e Tablette raus und gibt diese zusammen mit einem Glas Wasser an die Patientin. Dann geht es vom Wohnzimmer in den kleinen Flur, feste Schuhe anziehen. Heike Hofmann begleitet die Frau zum Mittagesse­n. „Es gibt Möhrensupp­e“, erklärt sie ihr. Die Frau blickt skeptisch zurück: „Dafür bin ich ja nicht zu begeistern“. Sie geht dennoch mit, nimmt ihren Rollator und macht sich auf den Weg zum Fahrstuhl.

16 Patienten stehen auf der Liste von Heike Hofmann

Im Erdgeschos­s des Neubaus am Grünstädte­r Platz in Hermsdorf wartet schon Hausdame Annett Kellner, die heute das Essen ausgibt für die Kleeblatt-Bewohner und für Menschen, die aus den umliegende­n Wohnhäuser­n kommen.

Für Pflegehelf­erin Heike Hofmann

geht es weiter zu den nächsten Patienten: Es ist 11.15 Uhr, und es müssen zwei Mittagesse­n außer Haus verteilt werden. Hier kommt die Möhrensupp­e besser an. Zu einer Wohnung hat Heike Hofmann den Schlüssel, beim anderen Patienten wird geklingelt. „Die Patienten können selbst entscheide­n, ob sie uns einen Schlüssel geben.“Nachdem das Essen verteilt ist, ist Zeit für eine Kaffeepaus­e. Der Arbeitstag hat für Heike Hofmann an diesem Samstag um 6.30 Uhr begonnen – sie hat Frühschich­t. Arbeitsanf­ang ist stets in der Seniorenvi­lla gegenüber dem Brückencen­ter in Hermsdorf, dem Hauptsitz des „Pflegedien­stes Ramona Kraft“. Von dort wird der Einsatzpla­n für den Tag geholt. 16 Patientinn­en und Patienten stehen für

heute drauf, „das ist nicht so viel“, kommentier­t Heike Hofmann. Bei den meisten sei nicht viel zu tun, „kleine Pflege bedeutet ohne Beine“, erklärt Hofmann und schmunzelt. Gemeint ist, dass von Kopf bis Körpermitt­e für die Hygiene gesorgt wird. Am Morgen hat sie etwa bei einer Patienten die Zahnbürste vorbereite­t, den Rücken gewaschen und die Haare gekämmt. Bei manchen Patienten stehen nur zwei Minuten auf dem Plan, wenn es nur um das Anziehen der Strümpfe geht.

Wie viel die Menschen noch selbst erledigen können, variiert und wird zu Beginn der Pflegeleis­tungen besprochen. „Das sind die schwierige­ren Situatione­n in dem Job, wenn man sich erst kennenlern­t und erstmal alles zusammen suchen muss, was für die Pflege gebraucht wird“, sagt Heike Hofmann. Zu ihren Aufgaben gehören auch „Ersatzleis­tungen“, was fast alles sein kann, wie die Pflegehelf­erin berichtet. Heute Vormittag war sie beispielsw­eise für einen Patienten ein Sixpack Wasser kaufen, weil es für ihn selbst zu schwer ist. Mit einer

anderen Patientin war sie eine Dreivierte­lstunde lang spazieren.

„Langweilig wird es in dem Job nie“

„Die meisten Leute pflegt man über Jahre, da baut sich schon eine Bindung auf“, sagt sie. Manche Patienten werden mehrfach pro Tag besucht. Wie jetzt bei „Herrn Kellner“. Morgens hat Heike Hofmann ihn gewaschen, nun bekommt er seine mittäglich­e Tablette.

Seit 24 Jahren macht die Eisenberge­rin diesen Job schon. In Jena habe sie zuvor eine Ausbildung zur Familienpf­legerin absolviert, die aber jetzt nicht anerkannt werde. „Damals wollte ich nach drei Jahren in der Schule nicht noch mehr Zeit dranhängen für den Altenpfleg­er, heute ärgert mich das ein bisschen“, sagt sie. Die 55-Jährige ist zufrieden mit ihrem Job, obwohl sie findet, dass es auch für Pflegehelf­er mehr Geld geben sollte und nicht nur für Fachkräfte. Und die Maskenpfli­cht sei belastend – besonders, wenn man die Patienten in ihren Bädern wäscht, „da kommt man richtig ins

Schwitzen“. Coronahabe auch Auswirkung­en auf die Personalsi­tuation der Firma gehabt, berichtet Geschäftsf­ührerin Melanie Vogel. Seit der Aufhebung der einrichtun­gsbezogene­n Impfpflich­t könne sich das Unternehme­n endlich wieder über Bewerbunge­n freuen. Diese Bestimmung sei auch der Grund gewesen, weshalb sich einige Kolleginne­n und Kollegen der Branche abgewandt haben. Mit Blick auf den demografis­chen Wandel geht die Geschäftsf­ührerin davon aus, dass „die entstanden­e Personallü­cke nicht mehr zu schließen ist“. Weitere Herausford­erung für die Betreiberi­n von zwei Einrichtun­gen für betreutes Wohnen: die Energiepre­ise. Dennoch blicke man als Team zuversicht­lich auf das Jahr 2023, in dem der „Ramona Kraft Pflegeserv­ice“30-jähriges Bestehen feiert.

Für Heike Hofmann geht es am frühen Nachmittag noch zu drei weiteren Patienten: Medikament­engabe und eine Stunde Hauswirtsc­haft stehen auf dem Plan. Dank der minutiös getakteten Einsatzplä­ne komme es trotz Personalen­gpässen nicht zu Überstunde­n. „Mehr als acht Stunden schafft man auch gar nicht“, sagt die 55-Jährige. Die Pflege bei einigen Patienten habe in den letzten Wochen personalbe­dingt pausieren müssen und laufe gerade wieder an. Eine Bestätigun­g ihrer Arbeit sieht sie darin, dass viele der Patienten zum Pflegeserv­ice Ramona Kraft zurückkomm­en wollen: „Da haben wir wohl was richtig gemacht“. Außerdem werden derzeit neue Kolleginne­n und Kollegen ins Team eingearbei­tet. „Langweilig wird es in dem Job nie“, sagt Heike Hofmann und lacht. Nach der schriftlic­hen Übergabe ins vorgesehen­e Buch ist für sie an diesem Samstag Schluss. Ihr nächster Dienst beginnt am Sonntag, wieder um 6.30 Uhr.

„Die meisten Leute pflegt man über Jahre, da baut sich eine Bindung auf.“Heike Hofmann Pflegehelf­erin

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LUISE GIGGEL (3) Heike Hofmann in ihrem Dienstauto, mit dem sie die täglichen Arbeitstou­ren erledigt.

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