Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Kleine Pflege heißt: ohne Beine“
Aus dem Alltag einer Pflegehelferin in Hermsdorf: Zwischen Medikamenten und Mittagessen durften wir Heike Hofmann in ihrem Frühdienst ein kleines Stück begleiten
Hermsdorf. Heike Hofmann klingelt und klopft an der Tür einer Bewohnerin im Hermsdorfer Kleeblatt Aktiv-Treff. Als sie nach mehreren Versuchen nicht öffnet, nimmt die Pflegehelferin ihren Schlüssel, geht in die kleine 1-Zimmer-Wohnung und begrüßt die ältere Frau. „Ich habe Sie gar nicht gehört“, sagt diese. „Was schauen Sie denn da im Fernsehen?“, beginnt Heike Hofmann ein Gespräch und versucht, die laute TV-Reportage zu übertönen. „Na, das sehen Sie doch“, ist die einfache Antwort. Der Umgang mit älteren und pflegebedürftigen Menschen gehört zum Alltag für Heike Hofmann. Um zu zeigen, was der Alltag als Pflegehelferin mit sich bringt, durften wir sie ein kleines Stück begleiten.
Aus der braunen Holz-Schrankwand, die voll mit Bildern der Familie steht, zieht Heike Hofmann eine Plastikbox, zu der sie den Schlüssel hat. Sie holt die vorgesehene Tablette raus und gibt diese zusammen mit einem Glas Wasser an die Patientin. Dann geht es vom Wohnzimmer in den kleinen Flur, feste Schuhe anziehen. Heike Hofmann begleitet die Frau zum Mittagessen. „Es gibt Möhrensuppe“, erklärt sie ihr. Die Frau blickt skeptisch zurück: „Dafür bin ich ja nicht zu begeistern“. Sie geht dennoch mit, nimmt ihren Rollator und macht sich auf den Weg zum Fahrstuhl.
16 Patienten stehen auf der Liste von Heike Hofmann
Im Erdgeschoss des Neubaus am Grünstädter Platz in Hermsdorf wartet schon Hausdame Annett Kellner, die heute das Essen ausgibt für die Kleeblatt-Bewohner und für Menschen, die aus den umliegenden Wohnhäusern kommen.
Für Pflegehelferin Heike Hofmann
geht es weiter zu den nächsten Patienten: Es ist 11.15 Uhr, und es müssen zwei Mittagessen außer Haus verteilt werden. Hier kommt die Möhrensuppe besser an. Zu einer Wohnung hat Heike Hofmann den Schlüssel, beim anderen Patienten wird geklingelt. „Die Patienten können selbst entscheiden, ob sie uns einen Schlüssel geben.“Nachdem das Essen verteilt ist, ist Zeit für eine Kaffeepause. Der Arbeitstag hat für Heike Hofmann an diesem Samstag um 6.30 Uhr begonnen – sie hat Frühschicht. Arbeitsanfang ist stets in der Seniorenvilla gegenüber dem Brückencenter in Hermsdorf, dem Hauptsitz des „Pflegedienstes Ramona Kraft“. Von dort wird der Einsatzplan für den Tag geholt. 16 Patientinnen und Patienten stehen für
heute drauf, „das ist nicht so viel“, kommentiert Heike Hofmann. Bei den meisten sei nicht viel zu tun, „kleine Pflege bedeutet ohne Beine“, erklärt Hofmann und schmunzelt. Gemeint ist, dass von Kopf bis Körpermitte für die Hygiene gesorgt wird. Am Morgen hat sie etwa bei einer Patienten die Zahnbürste vorbereitet, den Rücken gewaschen und die Haare gekämmt. Bei manchen Patienten stehen nur zwei Minuten auf dem Plan, wenn es nur um das Anziehen der Strümpfe geht.
Wie viel die Menschen noch selbst erledigen können, variiert und wird zu Beginn der Pflegeleistungen besprochen. „Das sind die schwierigeren Situationen in dem Job, wenn man sich erst kennenlernt und erstmal alles zusammen suchen muss, was für die Pflege gebraucht wird“, sagt Heike Hofmann. Zu ihren Aufgaben gehören auch „Ersatzleistungen“, was fast alles sein kann, wie die Pflegehelferin berichtet. Heute Vormittag war sie beispielsweise für einen Patienten ein Sixpack Wasser kaufen, weil es für ihn selbst zu schwer ist. Mit einer
anderen Patientin war sie eine Dreiviertelstunde lang spazieren.
„Langweilig wird es in dem Job nie“
„Die meisten Leute pflegt man über Jahre, da baut sich schon eine Bindung auf“, sagt sie. Manche Patienten werden mehrfach pro Tag besucht. Wie jetzt bei „Herrn Kellner“. Morgens hat Heike Hofmann ihn gewaschen, nun bekommt er seine mittägliche Tablette.
Seit 24 Jahren macht die Eisenbergerin diesen Job schon. In Jena habe sie zuvor eine Ausbildung zur Familienpflegerin absolviert, die aber jetzt nicht anerkannt werde. „Damals wollte ich nach drei Jahren in der Schule nicht noch mehr Zeit dranhängen für den Altenpfleger, heute ärgert mich das ein bisschen“, sagt sie. Die 55-Jährige ist zufrieden mit ihrem Job, obwohl sie findet, dass es auch für Pflegehelfer mehr Geld geben sollte und nicht nur für Fachkräfte. Und die Maskenpflicht sei belastend – besonders, wenn man die Patienten in ihren Bädern wäscht, „da kommt man richtig ins
Schwitzen“. Coronahabe auch Auswirkungen auf die Personalsituation der Firma gehabt, berichtet Geschäftsführerin Melanie Vogel. Seit der Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht könne sich das Unternehmen endlich wieder über Bewerbungen freuen. Diese Bestimmung sei auch der Grund gewesen, weshalb sich einige Kolleginnen und Kollegen der Branche abgewandt haben. Mit Blick auf den demografischen Wandel geht die Geschäftsführerin davon aus, dass „die entstandene Personallücke nicht mehr zu schließen ist“. Weitere Herausforderung für die Betreiberin von zwei Einrichtungen für betreutes Wohnen: die Energiepreise. Dennoch blicke man als Team zuversichtlich auf das Jahr 2023, in dem der „Ramona Kraft Pflegeservice“30-jähriges Bestehen feiert.
Für Heike Hofmann geht es am frühen Nachmittag noch zu drei weiteren Patienten: Medikamentengabe und eine Stunde Hauswirtschaft stehen auf dem Plan. Dank der minutiös getakteten Einsatzpläne komme es trotz Personalengpässen nicht zu Überstunden. „Mehr als acht Stunden schafft man auch gar nicht“, sagt die 55-Jährige. Die Pflege bei einigen Patienten habe in den letzten Wochen personalbedingt pausieren müssen und laufe gerade wieder an. Eine Bestätigung ihrer Arbeit sieht sie darin, dass viele der Patienten zum Pflegeservice Ramona Kraft zurückkommen wollen: „Da haben wir wohl was richtig gemacht“. Außerdem werden derzeit neue Kolleginnen und Kollegen ins Team eingearbeitet. „Langweilig wird es in dem Job nie“, sagt Heike Hofmann und lacht. Nach der schriftlichen Übergabe ins vorgesehene Buch ist für sie an diesem Samstag Schluss. Ihr nächster Dienst beginnt am Sonntag, wieder um 6.30 Uhr.
„Die meisten Leute pflegt man über Jahre, da baut sich eine Bindung auf.“Heike Hofmann Pflegehelferin