Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Jemand, der mit der Truppe kann“
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) startet mit Vorschusslorbeeren. Aber ist er der Aufgabe gewachsen?
Berlin/Hannover. Boris Pistorius tritt in Hannover allein vor die Kameras, um über seine neue Aufgabe zu sprechen. Der SPD-Politiker dankt dem Bundeskanzler für das in ihn gesetzte Vertrauen und verspricht: „Ich will die Bundeswehr stark machen für die Zeit, die vor uns liegt.“In seine neue Aufgabe als Verteidigungsminister werde er sich vom ersten Tag an „mit 150 Prozent“stürzen. „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde“, versichert er den Soldatinnen und Soldaten.
In der Bundeswehr werden diese Worte gern gehört. Schließlich waren die Truppe und Pistorius‘ Vorgängerin Christine Lambrecht so gar nicht miteinander warm geworden. Auch Olaf Scholz hofft, dass es mit dem bisherigen Innenminister von Niedersachsen besser läuft. Pistorius habe die „Kraft und Ruhe“für die große Aufgabe, das Verteidigungsministerium in Zeiten eines Krieges in Europa zu führen, sagt Scholz. „Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann. Und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden.“
Scholz und Pistorius schneiden sich gegenseitig das Wort ab
Scholz äußert sich an diesem Dienstag in Brandenburg an der Havel, wo er das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten besucht. Der Kanzler hatte die Berufung des 62Jährigen bis dahin am Vormittag nur schriftlich verkündet, anstatt gemeinsam mit Pistorius an die Öffentlichkeit zu treten. Sein Statement gibt der Kanzler dann ausgerechnet zeitgleich zu Pistorius in Hannover ab. In den Nachrichtensendern schneiden sie sich gegenseitig das Wort ab. Die ungeschickte Kommunikation rund um den Rücktritt Lambrechts und die Nachfolgersuche setzt sich damit noch ein bisschen fort.
Den Überraschungseffekt hatte Scholz am Dienstag jedoch auf seiner Seite. Den Namen Pistorius hatte in den vergangenen Tagen niemand auf dem Zettel. Sogar Pistorius war nach eigenen Worten „sehr überrascht“, als er erst am Montag die Anfrage des Kanzlers erhielt. Ein Zeichen dafür, dass Scholz auf der Suche nach einem Nachfolger für Lambrecht über das Wochenende erst andere Kandidaten fragte – aber Absagen erhielt. „Das ist eine Besetzung aus der B-Mannschaft“, kritisiert der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul die Personalie.
Die SPD widerspricht und erklärt, warum der Landespolitiker der geeignete Mann ist, um in diesen Krisenzeiten das Wehrressort des größten europäischen Landes zu übernehmen. Ein „bedeutender Sicherheitspolitiker“sei Pistorius, sagte SPD-Chefin Saskia Esken dieser Redaktion. „Mit seiner langjährigen Erfahrung als niedersächsischer Innenminister, zuständig für die Sicherheitsbehörden sowie den Katastrophen-, Zivil- und Bevölkerungsschutz, ist er fachlich hoch geeignet für das Amt des Bundesverteidigungsministers.“
Pistorius hat ein Image als Mann klarer Kante. Zuletzt machte er sich
nach den Silvesterkrawallen und den Angriffen auf Rettungskräfte dafür stark, den Tätern den Führerschein zu entziehen. Er gilt als „Machertyp“, als ehrgeizig. Auch emotional soll er in bestimmten Situationen reagieren, berichten Menschen, die ihm seit vielen Jahren immer wieder begegnen. Er könne „gut mit Menschen“, sei „nahbar“.
Die innere Sicherheit ist das The- ma, das er nun seit 2013 hauptamtlich begleitet, als niedersächsischer Innenminister. Er ist einer der dienstältesten ranghohen Innen- politiker in Deutschland und seit mehreren Jahren Sprecher der SPD-Innenminister. In der SPD gilt er als gut vernetzt.
Pistorius ist verwitweter Vater von zwei Töchtern, seine Frau Sabi- ne starb 2015 nach einer Krebs- erkrankung. In den Jahren danach war er mit der SPD-Politikerin Doris Schröder-Köpf zusammen, der Ex-Frau von Altkanzler Gerhard Schröder. Das Paar trennte sich 2022. In Hannover soll Pistorius im- mer mal mit dem Amt des Minister- präsidenten geliebäugelt haben, er erkannte aber, dass er gegen Inha- ber Stephan Weil keine Chance hät- te. Und steckte zurück. Auch eine „menschliche Qualität“, sagen manche. Dass ein anderes politi- sches Ziel von Boris Pistorius in den letzten Jahren Berlin war, ist kein Geheimnis. Schon nach der Bun- destagswahl 2021 wurde er als Kan- didat für das Kabinett Scholz ge- handelt – als Bundesinnenminister. Nun wird er Verteidigungsminister.
Pistorius hat Anfang der 80er-Jah- re Wehrdienst geleistet. Doch in der Verteidigungspolitik fiel er nicht auf. Immerhin: Als niedersächsi- scher Innenminister hatte sich Pis- torius erfolgreich bei Lambrecht da- für eingesetzt, dass Niedersachsen ein neues Heimatschutzregiment ab 2024 bekommt. Stark gemacht hatte sich Pistorius auch für die Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanistan. Niedersachsen nahm nach der Machtergreifung der Taliban mehrere Hundert Menschen aus Afghanistan auf. Viele davon waren dort über Jahre bei den dorti- gen Bundeswehrsoldaten ange- stellt, halfen bei der Versorgung der Truppe im Kriegseinsatz.
„Das Amt des Innenministers und des Verteidigungsministers hat vieles gemeinsam“, meint Thürin- gens Innenminister und Landes- SPD-Chef Georg Maier, der mit Pis- torius befreundet ist. „Wir müssen uns mit Befehlsketten auskennen, wir arbeiten beide mit einer Sicher- heitsinstitution, die auf Hierarchien aufbaut.“Zu den Kernaufgaben eines Innenministers gehöre zudem die Beschaffung von Technik, Schutzausrüstung und Waffen – be- kanntlich ein Feld, auf dem es bei der Bundeswehr hapert.
Und doch: Als Minister für Vertei- digung wird es für Pistorius ein Kalt- start in der Bundesregierung – und das ohne Schonfrist.